Jahrhundert-HandballerErhard Wunderlich ist tot

Erhard Wunderlich 1983 mit dem Europapokal für Gummersbach, rechts von ihm Heiner Brand.
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Köln – Einen wie Erhard Wunderlich, urteilte einst Bundestrainer Vlado Stenzel, der ein Faible für hünenhafte Spieler hatte, „gibt es nur alle hundert Jahre“. Insofern erschien die Wahl des 2,04 Meter großen Rückraumspielers zum „deutschen Handballer des Jahrhunderts“, zu dem ihn eine Jury aus Trainern 1999 kürte, irgendwie logisch. Wunderlich selbst freute sich zwar darüber sehr, blieb aber bescheiden: „Ich habe Bernhard Kempa vor mir gesehen, Herbert Lübking, Hansi Schmidt, auch Jo Deckarm, und nur gedacht, was die Großes für den deutschen Handball geleistet haben.“ Gestern ist Wunderlich im Alter von nur 55 Jahren im Kölner Krankenhaus St. Hildegardis einem Krebsleiden erlegen. Er hinterlässt seine Frau Pia und ihre zwei Kinder.
Geboren am 14. Dezember 1956 in Augsburg, war Wunderlich schon mit fünf Jahren in den FC Augsburg eingetreten, wo sein Vater schon aktiv war. Er war blond wie Bernd Schuster, der andere berühmte Sohn der Stadt, und seine Karriere verlief ähnlich steil. Als er im Juli 1976 ein Freundschaftsspiel gegen den VfL Gummersbach absolvierte, warf der 19-Jährige 13 Tore. Daraufhin nahm VfL-Manager Eugen Haas den gelernten Elektrotechniker sofort unter Vertrag, und es dauerte nur ein paar Monate, bis Wunderlich am 19. November 1976 in Brasov sein Länderspieldebüt gegen Rumänien feierte. Fortan gehörte der Mann mit den wuchtigen Sprungwürfen zum Kreis der Nationalmannschaft, auch wenn Joachim Deckarm auf seiner halblinken Position erste Wahl war.
Beim WM-Triumph 1978 in Kopenhagen war er kein Ersatzspieler, sondern eine wichtige Waffe, meistens auf halbrechts eingesetzt. Nach dem tragischen Unfall Deckarms 1979 kam Wunderlich viel mehr Verantwortung zu, denn nun hatte er die wichtige halblinke Position nahezu allein auszufüllen – im Verein wie in der Nationalmannschaft. Das gelang ihm, wie der Gewinn des Doubles 1982 und 1983 bewies, der von zwei Titeln auf europäischer Ebene begleitet war (IHF-Pokal 1982 und Landesmeistercup 1983). Danach bot ihm der CF Barcelona die Chance des Lebens: Einen mit 2,5 Millionen D-Mark dotierten Vierjahresvertrag. Wunderlich wurde mit 30 000 Mark netto im Monat der am besten bezahlte Handballer der Welt. In dieser Zeit galt Wunderlich als der beste Torschütze auf dem Globus, der zudem über ein glänzendes Auge bei Anspielen verfügte. Allerdings auch einer mit Allüren, auch hier das Pendant zu Schuster. Auch er galt als störrisch und unbequem, und er pochte zuweilen auf Sonderrechte.
In der Nationalmannschaft waren dem „Riesen mit den Polypen-Armen“ (Süddeutsche Zeitung) einmal nannte, nach dem Titel 1978 keine weiteren Erfolge vergönnt. Im Gegenteil: Wunderlich wurde für die mäßigen Platzierungen bei den Weltturnieren 1982 und 1986 verantwortlich gemacht. Das war ein wenig ungerecht gegenüber dem „Bauchspieler“, der sich auf seine großartige Intuition verließ. Aber die Schelte wirkte. Nach der WM 1986 erhielt Wunderlich, als Sündenbock gebrandmarkt, keine Einberufungen mehr, nach 140 Länderspielen und 503 Tore für die Auswahl des Deutschen Handballbundes. Als größte Enttäuschung bezeichnete er aber den Olympia-Boykott von 1980. Denn da, meinte er später, „hätten wir als eingespielter Weltmeister unseren Titel bestätigen können“. Die Silbermedaille von Los Angeles vier Jahre später aber feierte auch er.
Seine Vereinskarriere beendete Wunderlich beim TSV Milbertshofen. Dorthin war er bereits 1985 gewechselt, nach nur einem Jahr in Barcelona. Wunderlich stieg 1986 mit dem MTSV auf, konzentrierte sich aber schon auf seine Laufbahn nach dem Berufssport. 1989, als er 32-jährig seine Karriere ausklingen ließ, hatte er sich bereits eine Existenz mit einer Firma in der Kopiergerätebranche aufgebaut, später versuchte er sein Glück im Hotelwesen. Aber dem Handball blieb er immer treu. Noch 2009 in Kairo war er Lobbyist für den Luxemburger Jean Kaiser, der aber die Wahl gegen den umstrittenen Weltverbandspräsidenten Hassan Moustafa unterlag. Damals trauerte Wunderlich um den Handball. Nun trauert der Handball um einen seinen größten Spieler.