Kölner Turnerin Sarah Voss„Ich weiß nicht, wie ich damit umgehen soll“

Lesezeit 4 Minuten
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Die Kölner Turnerin Sarah Voss

  • Für die Kölner Turnerin Sarah Voss ist Olympia 2020 seit Kindheitstagen ein Traum.
  • Doch der droht zu platzen. Ob die Sommerspiele stattfinden, ist ungewiss.
  • In unserer Kolumne erzählt die 20-Jährige, wie ratlos sie die Situation zurücklässt.

Köln – Der Sport ruht während der Corona-Krise. Und Athleten bangen wie viele andere Menschen im Land um ihre Existenz. Sie wissen nicht, ob die Olympischen Spiele im Juli und August in Tokio stattfinden werden. Ihre Trainingsstätten sind geschlossen. Die Zukunft ist ungewiss. Drei Spitzensportler werden uns in den nächsten Wochen abwechselnd aus ihrem veränderten Leben berichten. Heute: Sarah Voss (20) vom Turnteam der Sporthochschule Köln. Die WM-Siebte am Schwebebalken und deutsche Mehrkampf-Meisterin und träumt seit Kindertagen von Olympia 2020. Jetzt hat sie genau das richtige Spitzenturnerinnen-Alter und ist in der vielleicht besten Form ihres Lebens.

Eigentlich wären wir jetzt mit der Nationalmannschaft der Turnerinnen im Trainingslager in Frankfurt und würden am Wochenende bei der Team Challenge im Rahmen des DTB-Pokals in Stuttgart turnen. Anfang Mai stünde für uns in Paris die EM auf dem Programm. Nun ist das alles abgesagt und unsere Trainingshalle an der Sporthochschule Köln ist geschlossen. Die Absagen kamen so nach und nach. Erst wurde Stuttgart abgesagt und es hieß, wir würden stattdessen einen internen Wettkampf in Frankfurt bestreiten. Dann wurde der Lehrgang gestrichen – und schließlich auch die EM.

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Der Sport ist mein Lebensmittelpunkt, alles ist darauf ausgerichtet, deshalb absolviere ich ein Fernstudium der Wirtschaftswissenschaften. Ich trainiere viele, viele Stunden am Tag. Jetzt sind alle Wettkämpfe bis zum 31. Mai abgesagt, die Deutschen Meisterschaften am 5. Juni und die zweite Olympiaqualifikation zwei Wochen später sind fraglich. Fast stündlich kommen neue Informationen rein, ich bin dauer-angespannt und dauer-beschäftigt mit dem Thema. Aber am Wichtigsten ist mir im Moment, dass es meiner Familie und mir und unseren Mitmenschen gut geht. Natürlich ist es sehr schade, dass ich meinen Sport gerade nicht so ausüben kann, wie ich gern möchte. Ich stehe da mit Leidenschaft dahinter. Aber das ist im Moment nun mal nicht das Wichtigste.

Joggen und Radfahren

Ich versuche jetzt, meine Fitness zu erhalten. Ich gehe Joggen und Radfahren, draußen an der frischen Luft mit viel Abstand zu anderen Menschen. Und wir haben Trainingsutensilien aus der Turnhalle geholt, Gewichtsmanschetten und Handstandklötze zum Beispiel, damit wird jetzt zu Hause im Wohnzimmer trainiert. Noch heißt es, dass die Olympischen Spiele wie geplant stattfinden werden. Olympia 2020 ist seit Kindheitstagen mein Traum. Es war immer klar, dass ich da im genau richtigen Alter sein würde. Und das letzte Jahr lief perfekt für mich. Ich habe es bei der WM ins Mehrkampffinale geschafft und bin am Schwebebalken Siebte geworden, das war wirklich grandios. Natürlich habe ich dann mit einer noch größeren Vorfreude auf 2020 geblickt. Der Gedanke an Olympia ist täglich in meinem Kopf.

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Sarah Voss in Aktion

Man kann es als Turnerin auch mit 24 noch zu den Spielen schaffen, wir haben mit Kim Bui und Elisabeth Seitz Athletinnen im deutschen Team, die das beweisen. Aber man weiß halt nicht, was in vier Jahren ist. Es werden junge Turnerinnen nachrücken, das ist dann eine ganz neue Situation. Ich weiß nicht, ob ich meine Leistung 2024 noch bringe, ob ich sie noch steigern kann. Deshalb will ich den Gedanken, dass Olympia in Tokio abgesagt werden könnte, noch nicht an mich heranlassen. Aber auch mir ist nicht entgangen, dass die Fußball-EM verschoben wurde – und die wäre kurz vor Olympia zu Ende gegangen. Noch sagt das IOC, dass die Spiele stattfinden werden. Aber ich weiß nicht, wie ich damit umgehen soll. Es ist alles so ungewiss. Ich versuche, mich auf mich zu konzentrieren, auf meinen Körper zu hören und mich so weit es geht fit zu halten.

Training auf die Basics zurückschrauben

Für uns Turnerinnen ist diese Situation sehr knifflig. Wir sind die Routine an den Geräten gewohnt und brauchen sie eigentlich. Wir sind am Sprung, Balken, Barren und Boden zu Hause, die Geräte haben wir nicht im Garten stehen. Deshalb müssen wir das Training jetzt auf die Basics zurückschrauben. Der Körper wird sich an die Bewegungsabläufe erinnern, die wir können. Jetzt ist es wichtig, nicht an Kraft und Kondition zu verlieren.

Natürlich ist es schwer vorstellbar, wochenlang nicht an die Geräte zu gehen. Aber es wäre machbar. Auch mit mentalem Training können wir eine gewisse Zeit überbrücken, das habe ich schon im letzten Jahr vor der WM nach einer Fuß-Verletzung praktiziert. Als ich dann wieder ins Gerätetraining eingestiegen bin, konnte ich schon nach einer Woche Höchstleistungen am Boden zeigen. Es ist also möglich, man muss nur dran bleiben.

Ehrlich gesagt finde ich es gerade ganz spannend, mal andere Sachen auszuprobieren. Ich versuche, die Situation zu einer angenehmen Zeit zu machen. Ich bin nicht allein zu Hause, meine Eltern und mein Freund sind da, ich verbringe Zeit mit der Familie und möchte das genießen. Das schweißt zusammen.

Aufgezeichnet von Susanne Rohlfing

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