Kommentar zur WM in KatarAlles an dieser Weltmeisterschaft fühlt sich falsch an

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Die Fußballweltmeisterschaft in Katar findet vom 20. November bis 18. Dezember 2022 statt.

Es sind noch zwei Wochen bis zur Eröffnung der Fußball-Weltmeisterschaft in Katar. Die neuen, aus dem Wüstensand gestampften Stadien werden in der Sonne gleißen. Die Skyline von Doha wird weltweit Abermillionen Menschen  faszinieren. Das größte Sport-Spektakel des Jahres, erstmals ausgetragen in einem arabischen Land, wird vom Fußballverband FIFA als bestes Turnier aller Zeiten gefeiert werden.

Doch Austragungsort dieser WM ist ein Land, in dem sich der milliardenschwere Herrscher Tamim bin Hamad al-Thani keinen Cent um Menschenrechte schert. Ein Land, in dem Oppositionelle ins Gefängnis geworfen, Frauen diskriminiert, Homosexuelle geächtet und verfolgt werden. In dem Leiharbeiter aus Nepal und anderen ärmeren Ländern wie Sklaven gehalten wurden und ums Leben kamen.

Nichts hat sich seit der von Korruption umwitterten Vergabe der WM vor zwölf Jahren an der Menschenrechtslage gebessert. Der Sport, der Fußball wird so  – in unterschiedlicher Ausprägung – zum Feigenblatt.

Geht beides: Kritisieren und trotzdem mitfiebern?

Nur noch zwei Wochen Zeit also, dann müssen wir uns endgültig die Frage beantworten: Können wir diese WM einerseits zynisch und menschenverachtend finden – und andererseits dann doch den Fernseher einschalten, uns wie bei früheren Weltmeisterschaften von der Begeisterung für den Fußball anstecken lassen?  

Wohl kaum. Unbeschwert WM gucken und genießen, so wie 2006 beim damals noch skandalbefreiten „Sommermärchen“ in Deutschland, das wird 2022 nicht funktionieren. Diese WM ist eine, wie sie die Welt noch nicht erlebt hat. Alles an ihr fühlt sich falsch an. Wie sollen wir alle mit diesem Gefühl umgehen – als eingefleischte Fußballfans oder als Turniergucker? Und wie soll der „Kölner Stadt-Anzeiger“ über diese WM berichten?

Vielleicht lässt es sich so auf den Punkt bringen: Alle, die einen privaten WM-Boykott praktizieren und diesmal konsequent wegschauen, haben Respekt verdient. Seien es die Kneipiers in ihren Lokalen oder die TV-Zuschauer daheim. Aber nicht jeder, der sich die Spiele dann doch nicht entgehen lassen und zum Beispiel mit der deutschen Mannschaft mitfiebern will, ist deshalb schon Sympathisant eines menschenverachtenden Systems.

Gleichgültigkeit ist keine Option

Was schwerlich geht, ist Gleichgültigkeit. Mehr denn je verlangt diese WM den informierten Zuschauer, die informierte Zuschauerin. Das bedeutet: kritisch hinsehen, vielleicht eine gezielte Auswahl von Spielen treffen, die Begleitumstände dieses Events verfolgen und darüber im Freundes- und Bekanntenkreis oder am Arbeitsplatz diskutieren. Die Freude am wichtigsten Sportturnier (nach Olympia) verträgt sich nicht mit einem permanent schlechten Gewissen. Aber das Wissen, womit in Katar der schöne Schein erkauft ist, verbietet den Scheuklappenblick in die Stadien und auf die Spiele.

Das Interesse eines Milliardenpublikums in aller Welt macht die Medien mit der Verpflichtung gegenüber ihren Leserinnen und Lesern und Zuschauerinnen und Zuschauern in gewisser Weise zu Geiseln des Regimes und seiner Interessen. Wir haben deshalb auch in der Redaktion des „Kölner Stadt-Anzeiger“ intensiv darüber diskutiert, wie wir über diese absurd anmutende WM berichten sollen. Ein Total-Boykott wäre weder durchzuhalten noch vermittelbar. Symbolische Aktionen bekommen allzu schnell etwas Hilfloses – ähnlich wie eine reine Empörungsrhetorik.

Stattdessen wollen wir dazu beitragen, dass Sie, liebe Leserinnen und Leser, tatsächlich informierte Zuschauer im eben erwähnten Sinne sein können. Wir werden das Geschehen auf dem Rasen deshalb in den politischen und gesellschaftlichen Kontext stellen. Neben den Spielberichten, den Kommentaren, Analysen und Vorschauen im Sportteil werden auch die sozialen Implikationen des Turniers und die Lebensverhältnisse der Menschen in Katar regelmäßig zur Sprache kommen.

In unseren Lokalteilen werden wir den WM-Kritikern eine Stimme geben. Wir werden aber auch berichten, wenn in den Kneipen und auf den Straßen die Erfolge der deutschen Mannschaft gefeiert werden – sollte es denn etwas zu feiern geben.

Dennoch: Das Dilemma bleibt bestehen. Und auch ein Unbehagen bleibt. Es bewahrheitet sich der Satz vom „Fluch der bösen Tat“: Die WM hätte niemals nach Katar vergeben werden dürfen. Jetzt spekulieren die Verantwortlichen darauf, dass ihr buntes Fußballfest das Dunkel der Missstände einfach überstrahlt und so der Machtsicherung der Herrschenden in Doha und der Fifa-Spitze in Zürich dient. Genau das darf nicht passieren.

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