NachrufFußball-Idol Pelé – der Mann der 1000 Tore

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Pelé im Jahr 1963

Pelé im Jahr 1963

Die brasilianische Fußball-Held Pelé ist im Alter von 82 Jahren gestorben. Wir blicken zurück auf eine fabelhafte Karriere.

Brasiliens Bevölkerung erfuhr Ende November über alle möglichen Kanäle sofort von der Einlieferung des wichtigsten Patienten des Landes in das Hospital Albert Einstein zu Sao Paulo. Es ging um Pelé, 82 Jahre alt inzwischen, sehr geschwächt, schwer krank, ein nationales Drama. Die Diagnose Darmkrebs steht schon länger, nun hieß es zum Entsetzen der Untertanen von „O Rei“, dem König, dass die Chemotherapie nicht mehr anschlage, dass nur noch Palliativmaßnahmen eingeleitet werden könnten. Nieren- und Herzprobleme kamen später auch noch hinzu.

Das Volk wusste also seit geraumer Zeit wie schlecht es um seinen Tribun steht. Nun aber, am Donnerstag, ist er für immer eingeschlafen, Pelé, der beste Fußballer aus dem mit fabelhaften Fußballern gesegneten Land Brasilien. Der beste seiner Generation. Vielleicht der beste aller Zeiten.

Der uruguayische Schriftsteller Eduardo Galeano hat einmal eine Ode an Pelé geschrieben, die an einer Stelle das Metaphysische beschreibt, das viele Menschen empfunden haben, wenn sie diesen Spieler bestaunen durften: „Die, die wir das Glück gehabt haben, ihn spielen zu sehen, haben ein Geschenk von seltener Schönheit erhalten: Augenblicke, die so sehr der Unsterblichkeit würdig sind, dass sie uns glauben lassen, die Unsterblichkeit gäbe es tatsächlich.“ Aber nein, sie gibt es nicht, auch nicht für den Wundermann Pelé.

Dreimal wurde Pelé Weltmeister

Dreimal wurde er Weltmeister, so oft wie sonst kein Spieler, 1958 mit 17, 1962, obwohl er sich früh im Turnier verletzt hatte, und 1970 auf dem Höhepunkt seiner fußballerischen Kompetenz. Das war in Mexiko, und dort erlebten ihn die Zuschauer als Torjäger, Vorbereiter, Pässe schlagend, dribbelnd, voller Ideen, nicht zu bremsen. Eine Sensation wie es der Argentinier Lionel Messi beim Turnier 2022 war, als er sein Team in Katar zum Titel lotste.

Pelé wurde am 23. Oktober 1940 als Edson Arantes do Nascimento in Tres Coracoes, gelegen im Südwesten des Landes, geboren. Sein Vater Dondinho war schon Fußballer, eine Knieverletzung verhinderte seinen Aufstieg, er spielte daher bei unterklassigen Klubs für wenig Geld. Die Mutter, Dona Celeste, arbeitete als Wäscherin. Mit Botengängen und als Schuhputzer verdiente der junge Pelé, da noch Dico genannt, auch noch Geld für die Familie dazu. In jener Zeit entstand auch der Name Pelé: „Warum weiß ich nicht. Aber ich habe irgendwann auf diesen Namen gehört.“

Pelé schaffte es mit Hilfe seines Entdeckers Waldemar de Brito aus den armen Verhältnissen der Provinz zum FC Santos, dem Klub mit den weißen Trikots, weißen Hosen und weißen Stutzen, Südamerikas weißes Ballett, für das er von 1956 bis 1974 tanzte – und Siege ohne Ende sammelte, was sich zu 26 Titeln mit Santos summierte. Schon mit 16 wurde er ins Nationalteam berufen und mit 17 für die WM ’58 in Schweden nominiert. Dort wurde er erstmals im dritten Gruppenspiel gegen die Sowjets eingesetzt.

Beim 2:0 spielte er glänzend, erzielte aber kein Tor, was er im Viertelfinale beim 1:0 gegen Wales nachholte. Ehe er sich in himmlische Sphären schoss mit drei Toren im Halbfinale gegen Frankreich (5:2) und zweien im Endspiel gegen Schweden (5:2).

Pelé auf den Schultern seines ihn liebenden Volkes nach dem 4:1-Erfolg im WM-Finale 1970 gegen Italien in Mexiko-Stadt. Pelé erzielte im Finale ein Tor und bereitete zwei weitere Treffer vor.

„O Rei“, der König, auf den Schultern seines ihn liebenden Volkes nach dem 4:1-Erfolg im WM-Finale 1970 gegen Italien in Mexiko-Stadt. Pelé erzielte im Finale ein Tor und bereitete zwei weitere Treffer vor.

1966 schied Brasilien bei der WM in der Vorrunde aus, auch weil sich die Teams aus Bulgarien und Portugal vor allem Pelé vorgenommen hatten und ihn brutal daran hinderten, Fußball zu spielen. Danach hatte er genug von den Weltmeisterschaften, er glaubte, sie brächten ihm Pech: „Zweimal schied ich früh aus, das brauchte ich nicht mehr.“ Doch er kam wieder, 1970, zum Turnier nach Mexiko, mit 29, überredet und überzeugt von seinen Mitspielern.

Längst schon war seine Rückennummer „10“ zur mystischsten Zahl des Fußballs geworden. Und das goldgelbe Trikot der Brasilianer zu einer Marke des Erfolgs. Im Finale gegen Italien erzielte Pelé das 1:0 mit dem Kopf und bereitete beim 4:1-Erfolg zwei weitere Treffer vor. Es war sein 77. und letztes Tor für die Nationalelf, für die er  92 Länderspiele bestritt. Dieser finale Triumph ist ein geradezu unwirkliches Happy End für Pelé, denn vor dem Turnier plagte er sich mit einer Formschwäche, die auch in geschäftlichen Misserfolgen ihre Ursache hatte.

Zudem wurde er zunehmend von den Generälen eingenommen, die eine  Militärdiktatur in Brasilien etabliert hatten, die das Land von 1964 bis 1985 brutal überzog. Schließlich wurde Brasiliens Trainer Joao Saldanha vor dem Turnier mit der abstrusen These auffällig, Pelé sei kurzsichtig, er wisse nicht, ob er ihn aufstellen werde.

Pelé wird 1970 in Mexiko gefeiert

Pelé war entsetzt, sein Team war es ebenfalls, die Brasilianer zudem und auch Diktator Emilio Medici. Es wurde gehandelt: Saldanha wurde zwei Monate vor dem Turnier von Mario Zagallo ersetzt, dem einstigen Stürmer, mit dem Pelé schon zwei Weltmeistertitel erspielt hatte. Und für den neuen Coach war Pelé unantastbar: „Pelé ist jetzt genauso gut wie er es 1958 und 1962 war.“ Zagallo gab seiner Nummer 10 auch auf diese Weise das Vertrauen in sich selbst zurück, das Pelé auch bald wieder spürte, trotz all des Drucks, der auf ihm lastete.

Denn er sollte dem Volk 1970 die Freude und das Glück schenken, die und das die Generäle und ihre Schergen ihm nahmen. Er schaffte es – auch deshalb wurde Pelé im Aztekenstadion von Mexiko-Stadt nach dem Schlusspfiff des Finales auf Schultern getragen und fast nackt der Menge präsentiert, die ihm, dem Fußball-Heiligen, die Klamotten vom Leib riss, als handele es sich dabei um Späne des Kreuzes Christi.

Pelé hatte sieben Kinder

Unwirklich überragend ist Pelés gesamte Bilanz: 1367 Spiele   für Brasilien, den FC Santos und Cosmos New York, wo er von 1975 bis 1977 spielte. Und: 1283 Tore. Sein 1000. Treffer wurde am 19. November 1969 gefeiert, ein mit zittrigen Beinen verwandelter Elfmeter in der 34. Minute   in einer Partie gegen Vasco da Gama im Maracana-Stadion. Was einen Jubel-Orkan zur Folge hatte.

Pelé hat Millionen verdient, er ist Vater von sieben Kindern, zwei davon unehelich. Zwei gescheiterte Ehen stehen in seiner Vita, einer seiner Söhne war in Drogengeschäfte verwickelt. Erfolglose Abstecher ins Schlager- und Filmbusiness schadeten seiner Popularität nicht. Und zwischen 1995 und 1998 war er Sportminister – dabei ging er nicht annähernd so konsequent gegen die Korruption in Brasiliens Fußball vor, wie es sich seine Landsleute gewünscht hätten.

Pelé ist Idol der Schwarzen in Brasilien

Kritik jedoch gab es auch über sein politisches Wirken hinaus an Pelé. In dem Buch „Futbolistas: Fußball und Lateinamerika“ etwa heißt es: „Es ist sein Kungeln mit den Reichen und Schönen, sein mangelndes politisches Rückgrat und das Bestreben, immer ganz oben am Tisch sitzen zu dürfen, das einige seiner Anhänger enttäuscht hat.“ Doch im selben Werk steht auch, dass die Mehrheit in Brasilien diesen Tadel nicht teile, denn Pelé sei für die Schwarzen und Armen in Brasilien eines der größten Idole.

In einer Netflix-Doku aus dem Jahr 2021 nähert sich Pelé, damals 81, mühsam und auf einen Rollator gestützt, dem Stuhl auf dem er über sein Leben reden sollte. Seine Stimme ist tief, seine Aura mit jeder Silbe und jedem Blick zu spüren. Dort sitzt ein großer, alter, stolzer Mann, dem die Erinnerung an die eigenen Taten und den ungeheuren Druck, dem er damals ausgesetzt war, Tränen über die Wangen laufen lassen.

Zuletzt hatte Pelé die Seleçao noch beim Turnier in Katar aus dem Krankenbett heraus angefeuert. Die revanchierte sich   nach dem Achtelfinal-Sieg gegen Südkorea mit einer   riesigen Pelé-Banderole. Aus Liebe und Mitgefühl für ihren Größten.

Brasiliens Einwohner trauern jetzt gewaltig. Ein Trost: Die famosen, fabelhaften, fantastischen Taten des Jahrhundertfußballers bleiben für immer. Sie sind tatsächlich unsterblich.


Pelé, als Edson Arantes do Nascimento am 23. Oktober 1940 in Tres Coracoes (zu Deutsch: drei Herzen) geboren, gestorben am 29. Dezember 2022. Pelé gewann die Wahl zu Südamerikas Fußballer des 20. Jahrhunderts. Am 4. Januar 2000 wurde er von der International Federation of Football History & Statistics zudem zum besten Fußballspieler des Jahrhunderts gewählt. Er erhielt   von der Fifa außerdem   die Auszeichnung „Weltfußballer des 20. Jahrhunderts“ (geteilt mit Maradona). Über Pelé gibt es Lieder, Bücher und Filme sowie Briefmarken, Gemälde, Skulpturen, die ihn darstellen.

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