Nachruf auf einen KämpferTim Lobinger hat in Köln Geschichte geschrieben

Lesezeit 4 Minuten
Tim Lobinger

Tim Lobinger ist im Alter von 50 Jahren an Leukämie gestorben. (Archivbild)

Der Stabhochspringer aus dem Rheinland war der schillerndste Athlet seiner Epoche und ein großer Kämpfer. Ein Nachruf auf Tim Lobinger.

Kämpfen konnte er. Schon immer. Und ganz besonders zuletzt, als es darum ging, noch möglichst viele Tage am Leben und bei seinen Kindern zu bleiben. Im Statement der Familie von Tim Lobinger zum Krebs-Tod des ehemaligen Stabhochspringers am Donnerstag ist deshalb auch nicht von einem verlorenen Kampf die Rede. Im Gegenteil. Er habe „auf seine Weise gewonnen“, steht dort.

Niemals aufgeben, die Opferrolle nicht akzeptieren, auch noch den letzten Tropfen Glück herauspressen aus diesem Leben mit Leukämie – das war in den letzten sechs Jahren Lobingers Mission. Und die ist ihm durchaus geglückt.

In seiner Art des Kampfes gegen den Krebs war Tim Lobinger ein Gewinner

„Er hat seinen jüngsten Sohn eingeschult und seine Enkelin erlebt“, sagte Lobingers langjähriger Trainer Leszek Klima dem Kölner Stadt-Anzeiger: „Er hat noch geschafft, was er sich vorgenommen hatte.“ Im vergangenen Juni führte Lobinger seine älteste Tochter Fee zum Altar. Das sei „eines meiner Lebensziele“ gewesen, sagte er dazu. Anfang des Jahres brachte Fee eine Tochter zur Welt, Lobingers erste Enkelin.

Sein Jüngster, Okkert, aus seiner zweiten Ehe mit Alina, kam im vergangenen Sommer in die Schule. Der 23-jährige Tyger, wie Fee ein Kind aus der ersten Ehe des Stabhochspringers mit der ehemaligen Dreispringerin Petra, ist Fußball-Profi beim 1. FC Kaiserslautern und hat im vergangenen Oktober sein erstes Zweitliga-Tor geschossen. Lauter kleine Etappen im Leben seiner Kinder – und für Lobinger große Siege in seinem Kampf gegen die Zeit.

Zum Stabhochsprung kam der in Rheinbach geborene Lobinger über seine Eltern, die ab 1977 in Meckenheim einen Leichtathletik-Verein aufbauten. Als 14-Jähriger ging er von dort zum TSV Bayer 04 Leverkusen, Leszek Klima übernahm als Trainer die Arbeit von Vater Achim. Noch im vergangenen Jahr bezeichnete Lobinger den Bayer-Coach in einem Instagram-Post als seinen „sportlichen Ziehvater“. Er sei damals im Trainingslager in München gewesen, erzählt Klima. „Tim kam vorbei, wir haben uns ausgetauscht, und er hat mir ein bisschen geholfen.“

So war Tim Lobinger. Er hat für den Sport gelebt. Hat mit unglaublicher Akribie an seiner eigenen Leistungsfähigkeit gearbeitet, dabei aber immer auch andere unterstützt. Lange als Kapitän der Leichtathletik-Nationalmannschaft, nach seiner Stabhochsprung-Karriere als Fitnesstrainer der Fußballer von RB Leipzig und Personal Coach von unter anderem Bayern-Profi Joshua Kimmich. „Tim war mein bester und fleißigster Athlet“, erinnerte sich Klima: „Er konnte im Training bis zu 50 Sprünge aus vollem Anlauf machen, das schafft heute keiner mehr, höchstens vielleicht der Franzose Renaud Lavillenie.“

Lobingers Devise sei immer gewesen: „Man kann alles schaffen, wenn man will – danach hat er gelebt.“ Nur so habe er die jahrelange Tortur der Krebstherapie ertragen können. „Was er durchgestanden hat, ist fast unmenschlich“, befand Klima. Die Diagnose Leukämie erhielt Lobinger im März 2017. Nach fünf Chemotherapien und einer Stammzellenspender schien er zunächst geheilt. Er veröffentlichte sein Krebs-Tagebuch unter dem Titel „Verlieren ist keine Option“, eigentlich mit Happy End und als Mutmacher gedacht. Da antwortet Lobinger am 28. Oktober 2017 seinem kleinen Sohn Okkert mit den Worten: „Nein, mein Schatz. Papa hat kein Aua mehr.“

Doch dabei blieb es nicht. Im Januar 2018, noch vor dem Druck des Buches, wurden wieder Krebszellen in Lobingers Knochenmark gefunden. So enden seine Aufzeichnungen mit der Aussage, Verlieren sei keine Option: „Weil es Menschen gibt, denen ich mit meinem Fortgehen große Schmerzen zufügen würde.“

Tim Lobinger hat den Stabhochsprung in Deutschland populär gemacht. 1997 gelang ihm beim damals schillernden ASV-Sportfest in Müngersdorf der erste Flug eines deutschen Athleten über die Sechsmeter-Marke. „Das war ein Knüller“, erinnert sich Manfred Germar, ehemaliger Weltklasse-Sprinter und 29 Jahre lang Präsident des ASV Köln, für den Lobinger anschließend einige Jahre startete. Die Nachricht vom Tod des einstigen ASV-Stars stimmte den 87-Jährigen traurig: „Er war ein sehr ehrgeiziger Athlet mit einer super Einstellung.“

Tim Lobinger war ein unbequemer Athlet, der immer seine Meinung gesagt hat

Lobinger, Hallen-Europameister 1998 und Hallen-Weltmeister 2003,  läutete damals eine große Ära des deutschen Stabhochsprungs ein. Als Sechsmeter-Springer folgten ihm Danny Ecker und Björn Otto, einige andere mischten in der Weltklasse mit. In diesem Kreis war Lobinger die auffälligste Erscheinung, nicht nur mit seiner langen Lockenmähne und weil er beim Jubeln schonmal seinen nackten Hintern zeigte, sondern auch, weil er immer klar und deutlich seine Meinung sagte.

Ihm war es egal, wenn er damit den damaligen Weltrekordler Sergej Bubka verärgerte, dem er nicht mehr viel zutraute. Oder das Umfeld seines südafrikanischen Freundes und Trainingskollegen Okkert Brits, dem er ein mentales Problem in großen Wettbewerben attestierte. „Es ist nun mal meine Art, die Dinge geradeheraus anzusprechen“, sagte Lobinger 1997 nach seinem Sechsmeter-Sprung dem „Kölner Stadt-Anzeiger“: „Wer damit nicht zurechtkommt, soll eben knatschen.“

Tim Lobinger war ehrlich, lustig, diszipliniert. Er war ein liebender Vater und herausragender Athlet. Sein Tod mit 50 Jahren kommt zu früh. Er wusste seit dem vergangenen Herbst, dass das unausweichlich war. Er hat das offen kommuniziert. Und das Beste aus der wenigen Zeit gemacht, die ihm noch blieb. Das ist absolut bewundernswert.

KStA abonnieren