RadsportWie Mathieu van der Poel die Cross-Welt beherrscht

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Schlamm auf den Schuhen, den Socken, den Beinen, den Armen, im Gesicht und auf dem Rad: Mathieu van der Poel nach seinem WM-Sieg in Tabor.

Schlamm auf den Schuhen, den Socken, den Beinen, den Armen, im Gesicht und auf dem Rad: Mathieu van der Poel nach seinem WM-Sieg in Tabor.

Der Niederländer ist ein Radsport-Phänomen. Inzwischen hat er zehn WM-Titel erobert. Das ist unglaublich.

Es gibt wieder Neuigkeiten aus dem an Ereignissen sehr reichen Leben des erstaunlichen Radprofis Mathieu van der Poel. Also von dem Mann aus den Niederlanden, der auf nahezu allen mechanisch zu bewegenden Zweirädern das Korps der Weltklasse besetzt und zum Teil auch anführt. Van der Poel, gerade 29 Jahre alt geworden, sammelt Siege in der Disziplin Straßenradsport, er ist erfolgreich mit dem Mountainbike und erst recht im Cyclo-Cross.

Da ist er sogar die alles beherrschende Instanz, der König des Matsches sozusagen, denn der Weg zum Ziel führt beim Ausflug ins Gelände querfeldein über durchnässte Feldwege, Wiesen und schlammige Anstiege mit Schikanen und steilen Rampen, die einen Ausdauersportler für eine Stunde aufs Extremste fordern. Am Sonntag im tschechischen Tabor hat   van der Poel seine Cross-Saison veredelt: Weltmeister-Titel. Es war sein sechster in dieser Disziplin.

Start-Zielsieg im tschechischen Tabor

Die Folge davon: Van der Poel verfügt nun bereits über eine zweistellige Anzahl an Regenbogentrikots, die einen Weltmeister schmücken. Sechs für seine Cyclo-Cross-Titel im Gelände, hinzu kommen zwei Erfolge bei den Junioren. Dazu ist er aktueller Straßen-Weltmeister, was bedeutet, dass er mit dem wohl schönsten Dress des Radsports eine Saison lang bei Asphaltrennen sehr leicht zu erkennen ist. Schließlich ergänzt ein Junioren-Titel auf der Straße diese außergewöhnliche Sammlung.

In Tabor stand das Feld nur bis kurz nach der Startfreigabe zusammen. Danach sprintete van der Poel nach vorne und blieb bis zum Ende in Führung, weil ihm nach ein paar Kurven und Matschpassagen im Gelände niemand mehr folgen konnte. Die sechs Runden à 3,45 Kilometer schaffte er in 58:47 Minuten. Er war damit 37 Sekunden vor seinem ersten Verfolger Joris Nieuwenhuis, einem Landsmann, im Ziel und 1:06 Minuten vor dem Bronzegewinner Michael Vanthourenhout aus Belgien. Das sind Welten auf einer zwar sehr anspruchsvollen, aber eben auch nur knapp 20 Kilometer kurzen Strecke.

Unwiderstehlich auf dem Weg zum Ziel: Mathieu van der Poel in Tabor.

Unwiderstehlich auf dem Weg zum Ziel: Mathieu van der Poel in Tabor.

Van der Poel krönte damit seine Cross-Saison. Vor dem WM-Titel gewann er zwölf von den 13 Rennen, an denen er teilgenommen hatte, und stets absolvierte er den Parcours nach demselben Prinzip: Start, Sprint nach vorn, dort bleiben, gewinnen. Mit einer Ausnahme. Es geschah beim Weltcup in Benidorm, Spanien, van der Poel kam in der Frühphase des Rennens in einer Kurve zu Fall, und war dadurch entscheidend abgehängt. Seine Aufholjagd jedoch, bergaufsprintend vor ihm fahrende Kollegen einsammelnd, ist ein viraler Hit auf Youtube. Es ist in der Tat faszinierend, mit welchem Speed dieser vielseitige Fahrer Konkurrenten stehen lässt, selbst wenn es ausnahmsweise mal nicht zum Sieg reicht.

Kolossale Gene

Van der Poel verfügt über kolossale Gene, die ihm geholfen haben dürften, eine derartige Karriere zu schaffen. Sein Vater Adrie van der Poel gewann unter anderem den Klassiker Amstel Gold Race, die Monumente Lüttich-Bastogne-Lüttich und Flandern-Rundfahrt, zwei Etappen bei der Tour de France und das schwere Eintagesrennen von San Sebastian. 1996 wurde er außerdem Cross-Weltmeister. Mathieu van der Poels Großvater wiederum heißt Raymond Poulidor und ist ein französischer Nationalheld. Acht Mal schaffte er es aufs Podium der Tour, Rekord bis heute. Gewonnen hat er sie aber nie. Auch das Gelbe Trikot trug Poulidor nie, dafür aber sein Enkel Mathieu für sechs Tage im Jahre 2021. Und auch wenn der auf jedem Terrain zurechtkommt – für die Gesamtwertung von schweren Rundfahrten kommt er nicht in Frage, dafür ist er zu schwer und in den Bergen auf Dauer zu limitiert.

Die Eintageskurse aber kann er dominieren, wie neben ihm womöglich nur noch Wout van Aert, von Kindesbeinen an van der Poels belgischer Konkurrent. An erfolgreich beendeten Monumenten hat Mathieu seinen Vater Adrie van der Poel bereits überholt, der Sohn gewann Mailand-Sanremo (2023), die Flandern-Rundfahrt (2020, 2022), das Amstel Gold Race (2019), zudem 2023 Paris-Roubaix, die Königin der Klassiker. Lüttich-Bastogne-Lüttich, das älteste Monument des Straßenradsports will Mathieu van der Poel sich in diesem Spätapril zumuten. Wer so vielseitig ist, muss auswählen, und die Auswahl gut überlegen, um Kräfte zu sparen, die van der Poel jetzt schon, im Januar, sehr strapaziert hat.

Titel Nummer sieben motiviert mich. Der aktuelle Rekord stammt aus dem Jahr 1973 - und die Leute reden immer noch darüber.
Mathieu van der Poel

Deshalb überlegt er in den kommenden Jahren in Bezug auf die Ausflüge ins Gelände etwas kürzer zu treten. Einen siebten WM-Sieg jedoch strebt er weiter an, denn sieben Cross-Titel hat erst ein Fahrer gewonnen, der Belgier Erik de Vlaeminck: „Das ist meine einzige Motivation, mit dem Cyclo-Cross weiterzumachen. Diesen Rekord hat Eric de Vlaeminck 1973 erobert – und die Menschen sprechen heute noch davon. Also ja: Das motiviert mich“, sagt er. Wie es weitergeht in seiner Saison ist allerdings noch offen: Startet er bei den Olympischen Spielen auf der Straße oder mit dem Mountainbike? Fährt er die Tour de France durch? Oder steigt er vorher aus, um seinen Olympia-Traum zu verwirklichen?

Erst einmal macht er nun zwei Wochen Pause und Urlaub, danach geht er seine Straßensaison an – „mit großen Zielen“. In Tabor sagte Mathieu van der Poel, dass er in zwei Wochen sein „Programm für den Sommer“ vorstellen werde. Seine Konkurrenten wird das sehr interessieren, denn bei den großen Eintagesklassikern ist vor allem er der Favorit, Mathieu van der Poel, der Ausnahmefahrer mit den zehn Regenbogentrikots.

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