WM-KommentarDer deutsche Fußball hat sportlich und moralisch alles falsch gemacht

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Das hat sich der DFB in Katar nicht getraut: One-Love-Binde am Arm von Kapitän Manuel Neuer.

Das hat sich der DFB in Katar nicht getraut: One-Love-Binde am Arm von Kapitän Manuel Neuer.

Dass der DFB aus Angst vor der Fifa auf die "One Love"-Binde verzichtet hat und das Zeigen von Haltung den Spielern überließ, führt nach dem sportlichen Aus zur These: Wir hätten es ganz lassen sollen. Das ist empörend und falsch. Ein Widerspruch.

Bei der Weltmeisterschaft in Katar ist durch den Deutschen Fußball-Bund ein Schaden entstanden, der weit über das Sportliche hinausgeht. Er gipfelt in der bislang unwidersprochenen Verknüpfung des fußballerischen Versagens unserer Nationalelf mit dem missglückten Versuch, zum ersten Auftritt bei diesem nach wie vor skandalösen Weltereignis Haltung zu zeigen.

Wenn jemand so lange über diese sonderbare, männerdominierte Welt des Fußballs berichtet wie ich und als Zeuge seit Jahrzehnten auch ein Teil von ihr ist, wird er zwangsläufig abgebrüht. Postengeschacher, Durchstechereien und krumme Seilschaften können einen da nicht aus der Fassung bringen. Die Vorgänge in Katar machen mich jedoch wütend, denn es wäre so einfach gewesen. Immer noch ist nicht klar geworden, worin die furchtbare Strafe gegen Deutschland bestanden hätte, wenn der Kapitän Manuel Neuer zum Spiel gegen Japan mit einem Stück Stoff am Arm eingelaufen wäre, das Respekt, Toleranz und ja: Nächstenliebe propagiert hätte. Gelbe Karte? Persönliche Sperre? Punktabzug? Je schärfer die Sanktion, desto größer wäre der Skandal gewesen. Genau das also, was der diktatorische Weltverband mit dem über jedem Spiel wie ein allmächtiger Herrscher thronenden Präsidenten Gianni Infantino um jeden Preis vermeiden wollte.

Noch Tage nach dem WM-Aus waren in einer repräsentativen Umfrage der ARD 48 Prozent der Deutschen der Meinung, unsere Repräsentanten bei dieser WM hätten zu wenig Haltung gezeigt. Halb so viele glaubten, die Pose sei ausreichend gewesen. Und nur 16 Prozent der befragten Deutschen waren der Ansicht, die Fußballer hätten es damit übertrieben. Klarer kann eine Bekenntnis zu Moral und Haltung von einer solch eher gespaltenen Öffentlichkeit wie unserer kaum artikuliert werden.

Der DFB hätte den Spielern den nationalen Auftrag erteilen müssen

Wer im Deutschen Fußball-Bund glaubt, einen großen Fehler gemacht zu haben, hat völlig Recht. Aber auf eine ganz falsche Art. Es ging nicht darum, diese Aktion mit der Fifa, also der zu kritisierenden Instanz, abzusprechen und zu koordinieren, wie es jetzt vielfach im Nachhinein gefordert wird. Wo kämen wir denn da hin? Der DFB hätte seinen Nationalspielern einfach den Auftrag erteilen und dafür die volle Verantwortung übernehmen müssen. Kein Nationalspieler hätte sich auch nur einen Gedanken darum machen müssen, in welcher Form er die Werte des Landes repräsentieren sollte, dem er so viel zu verdanken hat. Mit ausdrücklicher Rückendeckung der Bürger, Fans und Bundesregierung wäre der Kapitän unserer Mannschaft mit der Binde am Arm auf den Platz gelaufen. Um alles Weitere hätte sich der Verband gekümmert.

Im Nachhinein wissen wir: Schlimmer als das, was geschehen ist, hätte es sportlich nicht kommen können. Und gerade weil das Selbstverständliche – Einstehen für die Werte der Menschlichkeit – so schief gegangen war, können jetzt in einem katastrophalen Narrativ Geschichten aus der Kabine weiter geraunt werden, die davon handeln, dass sich Spieler von all den Versuchen, Haltung zu zeigen, überrumpelt gefühlt hätten und man sich hätte auf den Fußball konzentrieren sollen.

Vom imaginären und falschen Grundrecht der Deutschen auf Erfolg ihrer Nationalmannschaft

Das ist so falsch, dass einem die Spucke wegbleibt. Das imaginäre Grundrecht der Deutschen auf den Erfolg ihrer Nationalmannschaft soll plötzlich ein Unrecht überwiegen, das in Staaten wie Katar, Saudi Arabien, Iran, Russland und vielen anderen mehr eine große Zahl von Menschen das Leben, die Freiheit und die Selbstbestimmung kostet? Das billige Tragen eines unpolitischen Symbols der Humanität soll deshalb nicht möglich gewesen sein?

Die Vertreter dieses größten Einzelsportverbandes der Welt werden damit leben müssen, dass ich ihnen kein Wort mehr glaube, wenn sie über Themen sprechen, in denen sie sich noch weniger auskennen als im Fußball. Und selbst damit scheint es, wie wir gesehen haben, nicht weit her zu sein. Mit anderen Worten: Wenn der deutsche Fußball das Symbol der Menschlichkeit getragen hätte und dann aus diesem Turnier ausgeschieden wäre, hätte er zumindest eines richtig gemacht. So aber hat er alles falsch gemacht.

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