Caritas Jugendhilfe-GesellschaftRaum, in Ruhe groß zu werden

Die Therapeutinnen Ulla Altwicker (v.l.) und Anna Mütsch mit Diplom-Heilpädagogin Rebecca Reiß und Franz Klose aus der Verwaltung
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Bergheim – Schwere Geschütze werden aufgefahren. Soldaten ziehen sich zurück. Und lassen den Kleinsten hilflos zurück. Panzer rollen dazu auf. Kriegsähnliche Zustände kommen oft zum Vorschein, wenn Ulla Altwicker „ihre“ Jungs (zu ihrem Schutz werden sie hier nicht gezeigt, Anm. d. Red.) im Sand bauen lässt. Nicht, weil Jungs gerne Krieg spielen. Meterweise andere Figuren stünden ihnen in den Regalen zur Verfügung. Sondern, weil diese Kinder sich wie im Krieg fühlen – und darüber krank geworden sind.
Die Szenen sind kein Produkt der Kinderfantasie, die die Traumatherapeutin im Sandspiel der Kinder abliest, die hier in Bergheim-Zieverich leben, weil sie sich in einer schlimmen Krise befinden. „Sie bauen ihr Leben“, sagt Altwicker über die Jungen und Mädchen im Alter zwischen acht und 16 Jahren, die da wohnen, wo sie arbeitet: In einer der Wohngruppen des Hauses Haus St. Gereon der Caritas-Jugendhilfe-Gesellschaft (CJG) für Kinder aus dem gesamten Rhein-Erft-Kreis. Sie bauen Häuser anders als andere Kinder. Mit auffällig dickem Fundament. Weil sie sich des Fundaments in ihrem Leben beraubt fühlen, nachdem sie etwa verlassen oder geschlagen wurden. Oder weil ein Elternteil psychisch krank geworden ist und die Kinder keinen Halt mehr finden konnten.
Sie schnitzen Wellen in ein Stück Balken. Wie die Wellen, die sie immer wieder über sich hereinbrechen fühlen, wenn sie etwa bindungstraumatisiert sind, verwahrlost gelebt haben, Gewalt ausgesetzt waren oder sexuelle Übergriffe über sich ergehen lassen mussten. Sie bauen sich in der Themenwoche Ritter mit besonders starken Schutzschilden und Schwertern und wählen als Stärketier für ihr persönliches Wappen dazu mitunter überraschend kleine Tiere wie Fische oder Schnecken. Weil sie sich vor lauter Angst wünschen, abzutauchen, und sie Schnecken darum beneiden, sich jederzeit in ihr Haus zurückziehen zu können.
Im Sandspielzimmer können sie nonverbal Erlebtes ausdrücken, was zuvor in der Gesprächstherapie oder sonstigen Spieltherapie unaussprechlich war. In den Szenen, die sie nachstellen, kann Altwicker oft auf den ersten Blick ablesen, wo genau das Problem liegt. „Danach sind sie wieder in der Lage, Emotionen zu fühlen und zu benennen. Die Therapie geht wieder mehr in die Tiefe, und das Kind macht Fortschritte.“ Die Behandlung beginnt nach einer gründlichen Persönlichkeits- und Leistungsdiagnostik etwa in Spieltherapie nach verhaltenstherapeutischem oder systemischem Ansatz. Den Rahmen bilden Unterricht und freizeitpädagogische Angebote, die den Kindern eine verlässliche Tagesstruktur in ihrem Leben geben.
Zudem gibt es ein Regulationskonzept, das Raum für Wut lässt, mit dem die Kinder und Jugendlichen lernen, solche Gefühle und Impulse zu kontrollieren.
Kunsttherapie mit Künstlern
Das klingt nach Luxus, gehört aber zu der intensiven Therapie nach heutigen Standards, die damit schneller Erfolg zeigt. Trotzdem müsse jedes Plus an Hilfe erkämpft werden, wie Franz Klose, stellvertretender pädagogischer Leiter des Hauses, berichtet. Jahrelange Überzeugungsarbeit sei nötig gewesen, um die Fördergelder und Kredite für die Kernsanierung nur des einen Hauses zu bekommen, die 700.000 gekostet hat.
Besondere Projekte wie Kunsttherapie mit Künstlern aus der Region sind nur über Fonds wie den der Kreissparkasse möglich. Und der Bedarf wird immer größer, so Therapeutin Anna Mütsch. „Psychische Auffälligkeiten in Familien nehmen zu.“ Dazu registriert sie mehr Fälle von Überforderung und Unsicherheit in und mit der Erziehung. Noch mehr Begleitung der Kinder auch über ihre Entlassung hinaus wäre nötig. „Es fehlen mehr Einzelfallhelfer, die in die Familien reingehen oder die Kinder und Jugendlichen danach weiter in der Schule begleiten“, sagt Franz Klose. Damit die Kinder auch nach ihrer Behandlung hier nicht allein sind und endlich ihren Frieden finden.