Gefängnis-TheaterTätowierte Schuld und andere Gefühle

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Voller Körpereinsatz: Regisseurin Elisabeth Pleß studiert in der JVA mit Insassen die Theaterperformance „Antikörper“ ein.

Voller Körpereinsatz: Regisseurin Elisabeth Pleß studiert in der JVA mit Insassen die Theaterperformance „Antikörper“ ein.

Köln – Heute sind sie wieder zusammen, die 20 „Antikörper der Gesellschaft“. Wie jeden Donnerstag seit Mitte Februar. Umgeben von Bretterwänden – und einem Geruch, der die Nase unweigerlich darauf stößt, dass hinter meterdicken Mauern Frischluft keine Chance hat. Weil auch Abwechslung und Ablenkung Luxus im Gefängnisalltag sind, fiebern die jungen Insassen der JVA-Ossendorf schon Tage zuvor den Probennachmittagen entgegen.

Die Innenwelt der Insassen

Ein Teil des Gefangenen-Ensembles mit den Theater-Profis, Hedwig Neven DuMont (Mitte) und JVA-Mitarbeiter Frank Prösdorf (re.)

Ein Teil des Gefangenen-Ensembles mit den Theater-Profis, Hedwig Neven DuMont (Mitte) und JVA-Mitarbeiter Frank Prösdorf (re.)

Heute, zwei Wochen vor der Premiere ihrer Theaterperformance „Antikörper“, die im Rahmen des „Sommerblut“-Festivals in der JVA aufgeführt wird, sitzen sie im Kreis auf der schwarzen Bühne. Lassen ihren Gedanken freien Lauf. Führen Monologe über das, wovor sie sich am meisten fürchten. Was sie belastet. Und hoffen.

Was durch dicke Mauern nicht nach außen dringt, haben die 20 Insassen gemeinsam mit Regisseurin Elisabeth Pleß und Dramaturgin Anna-Mareen Henke zu Papier – und auf die Bühne gebracht. Vorgaben gab es keine, nur die eine: „Die Texte sollen sich um das Thema Körper drehen, den Schwerpunkt unserer 17. Sommerblut-Ausgabe“, sagt Rolf Emmerich. Der Leiter des Kulturfestivals besucht heute gemeinsam mit der „wir helfen“-Vorsitzenden Hedwig Neven DuMont und Geschäftsführer Karl-Heinz Goßmann das von ihrer Aktion unterstützte Theater-Projekt.

„Sommerblut“-Leiter Rolf Emmerich (li.) und „Antikörper“-Produktionsleiter Felix Dornseifer (re.) im Gespräch mit den Teilnehmern.

„Sommerblut“-Leiter Rolf Emmerich (li.) und „Antikörper“-Produktionsleiter Felix Dornseifer (re.) im Gespräch mit den Teilnehmern.

Für die Gesellschaft nicht wahrnehmbar

Eine kleine Generalprobe für das Ensemble sozusagen. Und ein Vorgeschmack auf das, was das Publikum erwartet: Sehr intime Einblicke in das Innenleben der JVA-Insassen, von dem die meisten der Besucher keinen Schimmer haben. „Weil unsere Welt für den Rest der Gesellschaft nicht existiert“, sagt eine Teilnehmerin. „Nichtwissen schürt Vorurteile, Unsicherheiten, Ängste“, kommentiert eine andere und hofft, dass sie mit ihren Texten zeigt, „dass wir nicht in Schubladen passen, keine homogene Masse der Schlechten sind, sondern genau wie die da draußen mit vielen verschiedenen Charakteren, aus ganz unterschiedlichen Gesellschaften hier zusammentreffen“.

Die bedrückende Welt hinter Gittern

Neugierde im Publikum zu wecken, Vorurteile zu hinterfragen und um Verständnis für die Situation hinter Gittern zu werben sei das, was die Performance bewirken soll, bringt Regisseurin Elisabeth Pleß die Intention des sehr persönlichen Stücks auf den Punkt.

Der Klang der Sehnsucht

Wie erträgt man die erste Nacht in Untersuchungshaft, 23 Stunden in einem Zimmer eingeschlossen zu sein? Wie klingt die Stille der Gefängniszelle, wie die Schmerzen und Sehnsüchte der Mitgefangenen? Wie langsam vergeht die Zeit des Wartens, auf den Gerichtstermin, den nächsten Besuch? Wie fühlt sie sich an, die auf den Körper und in sich hineintätowierte Schuld, die Angst, auf ewig gebrandmarkt zu sein? „In jedem Wort steckt ein Teil unserer Persönlichkeit. Und Ausdruck unseres Daseins. Die Beschenkten unserer Zeilen, sind sich dessen vielleicht gar nicht bewusst. Wie auch?“

Ensemble-Mitglieder beobachtnt die Proben auf der JVA-Bühne.

Ensemble-Mitglieder beobachtnt die Proben auf der JVA-Bühne.

Kussmünder auf dem Handgelenk

„Während der Vorgespräche und ersten Proben kristallisierten sich schnell vier Themen heraus“, sagt Pleß. Es geht um Familie, ums Vermissen, um Zeit, die nicht vergeht und sehr viel um Tattoos. „Tattoos sind im Gefängnis allgegenwärtig. Sie sind Ausdruck vergangener Zeiten, von Momenten des Hier und Jetzt und dazu da der Seele im Körper ein schönes Zuhause zu geben“, heißt es an einer Stelle des Stücks. Und Tattoos erzählen Geschichten.

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Die Vergangenheit darf den Weg in die Freiheit nicht behindern

Da geht es um den kleinen Vogel, den sich eine Inhaftierte in den Oberarm stechen ließ, um stets daran erinnert zu werden, dass sie in Gedanken immer frei sein wird. Um das Loch inmitten des Tattoos eines Mitgefangenen, weil der Tätowierer während seiner Arbeit verstarb. Und um die Kussmünder auf der Hand der erwachsenen Eingesperrten, die ihr die Zeiten zurückbringen, in denen ihre Kinder klein waren. „Wir haben Angst, dass auch der Gefängnisaufenthalt, diese Lücke in unserem Lebenslauf zum ewigen Brandmal wird.“

Eigener Soundtrack, eigene Kostüme

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Hartes Schauspiel- und Körpertraining in der JVA

In drei Monaten haben die Inhaftierten, von denen nur die wenigsten Bühnenerfahrung haben, unter Anleitung von Elisabeth Pleß, Anna-Mareen Henke und Produktionsleiter Felix Dornseifer die 80-minütige Performance entwickelt. Zuvor mussten sie Vorgespräche führen, ein Casting absolvieren und die Erlaubnis der Anstaltsleitung beantragen. Es folgten Schauspiel-, Stimm- und Improvisationstrainings, erst einmal, später zweimal und seit Kurzem dreimal pro Woche.

Gefühle und Gedanken teilen

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Regisseurin Elisabeth Pleß

Auch den Soundtrack haben die Gefangenen selbst eingespielt – mit professioneller Hilfe des Kölner Jazzmusikers Pablo Giw. Und die von ihnen entworfenen Kostüme hat ein Teil der Ensemble-Mitglieder in der JVA-eigenen Schneiderei genäht. Neben Bestätigung, Lob und – hoffentlich – langanhaltendem Applaus für ihre Mühen, hat ihnen die Arbeit im Theater-Projekt vor allem Eines gebracht: „Die Erkenntnis, nicht alleine zu sein mit seinen Gedanken, Zweifeln, Ängsten. Es macht weniger einsam, wenn man weiß, dass man die selben Gefühle und Gedanken teilt“ , sagt Produktionsleiter Felix Dornseifer. „Und die Bestätigung dafür, dass man in der Gruppe mit harter Arbeit sehr viel erreichen kann“, fügt Elisabeth Pleß an.

Starthilfe für das Leben danach

So gesehen ist das Theaterprojekt auch eine Starthilfe für das Leben danach. Und Hoffnungsspender. „Weil es den Inhaftierten zeigt, dass sie mit Disziplin, Ausdauer und Teamarbeit das erreichen können, was sie sich nie zugetraut hätten“, so Pleß. „Was ich besonders schätze ist, dass das Profi-Team nichts von dem Grund unserer Inhaftierung wissen wollte“, schwärmt eine Gefangene. So konnte sich das Ensemble von Mensch zu Mensch begegnen, ohne den Stempel des Verbrechers auf der Stirn, ohne Stigma. Und zeigen, was den Einzelnen ausmacht, als Mutter, Tochter und Geliebte, Vater, Freund und Sportler.

Einmal Mensch sein eben, kein „Antikörper“, weg- und ausgeschlossen von der Gesellschaft.

Tickets und Anmeldung: Karten für 15 Euro gibt es nur im Vorverkauf bis Sonntag, 6. Mai unter ☎ 0221/2801. Ein Ticketkauf an der Abendkasse ist nicht möglich. Die Vorstellungen am 15./16./17. Mai in der JVA Köln-Ossendorf, Rochusstraße 350, 50827 Köln, beginnen um 18 Uhr und dauern 80 Minuten. Einlass ist von 17 bis 17.30 Uhr

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