Rechte Szene„Man kann seinen Hass herausbrüllen“

Nicht immer sind rechtsextreme Symbole wie diese Springerstiefel mit weißen Schnürsenkeln so leicht der Szene zuzuordnen.
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Herr Killguss, wie groß ist die rechte Szene im Rheinland?
HANS-PETER KILLGUSS: Einerseits gibt es neonazistische Kameradschaften mit vielleicht 15 bis 20 Mitgliedern. In Städten wie Aachen oder Dortmund waren es mehr. Außerdem gibt es Aktivisten, die auf Demos gehen, Plakate kleben oder mit auf Konzerte gehen, sowie ein subkulturelles Umfeld. Im Rheinland gibt es vermutlich mehrere Hundert Aktivisten, bei rechtsorientierten Menschen gehen die Zahlen wohl in die Tausende.
Laut Bundesinnenministerium haben knapp 15 Prozent der Jugendlichen Vorbehalte gegen Migranten.
KILLGUSS: Die Zahlen zeigen nicht die Eingebundenheit in eine Szene, drücken aber ein rassistisches Weltbild aus. Ich denke, dass die Zahl sogar zu niedrig gegriffen ist. Die Heitmeyer-Studie der Universität Bielefeld hat das Phänomen über zehn Jahre untersucht und kommt zu dem Schluss, dass ein Drittel der Befragten rassistischen Gedanken zustimmen. Das trifft auch auf Jugendliche zu. Man muss aber vorsichtig sein, weil nicht alle ein geschlossenes rechtsextremes Weltbild haben.
Gibt es Jugendliche, die besonders zu rechtsextremen Gedanken neigen?
ERIKA WAGNER-RIXIUS: Es scheint so zu sein, dass vor allem die Beziehungsqualität zwischen Eltern und Kindern eine Rolle spielt, neben dem Erziehungsstil oder der vorliegenden politischen Einstellung im Elternhaus. Nicht wenige Eltern von Jugendlichen mit rechtsextremer Orientierung sind politisch wenig interessiert. Eine gute Eltern-Kind-Beziehung ist die Basis dafür, wie sich Erziehung auswirkt und was Jugendliche von ihren Eltern annehmen oder nicht. Erfahren Heranwachsende dauerhaft wenig Respekt, Wertschätzung und Anerkennung ihrer Person und wachsen außerdem mit einem autoritären Erziehungsstil auf, besteht für diese Jugendlichen offenbar eine größere Gefahr, sich rechten Gruppierungen anzuschließen.
Welche Rolle spielt das soziale Umfeld?
WAGNER-RIXIUS: Das soziale Umfeld spielt für die Entwicklung von Heranwachsenden sicher eine Rolle. Allerdings haben wir es offenbar nicht nur mit Jugendlichen zu tun, die einer bestimmten sozialen Schicht angehören. Im Jugendalter gewinnen neben den klassischen Sozialisationsinstanzen wie Familie, Schule und Ausbildung vor allem die Gruppe der Gleichaltrigen enorm an Bedeutung. Einstiege in die rechtsextreme Szene sind auch kontextabhängig. So kann das Vorhandensein einer rechtsextrem orientierten Gruppe vor Ort den Einstieg erleichtern.
Viele Jugendliche haben keine Ausbildung, keinen Job. Verstärkt wirtschaftliche Perspektivlosigkeit den Einstieg in die rechte Szene?
KILLGUSS: Es gibt keinen Automatismus, aber die sozialen Faktoren können die Situation verschärfen. Wenn es mir schlecht geht, suche ich nach einem Erklärungsmuster – und in der rechten Ideologie finde ich ein sehr einfaches. Schuld sind nämlich immer die anderen, die Ausländer, die Juden und so weiter.
Wie geraten Jugendliche in rechtsextreme Kreise?
KILLGUSS: Eine große Rolle spielen Bekanntschaften in Cliquen und in der Schule. Verstärkend kommt die Musik hinzu. Ich höre mir ein Lied an und finde dort meine Gedanken bestätigt. Der emotionale Faktor ist wichtig bei der Musik: Ich kann gemeinsam mit anderen Leuten meine Ideologie ausleben, man kann tanzen, auf Konzerte gehen und seinen Hass herausbrüllen.
Welche Rolle spielt das Internet?
KILLGUSS: Das Internet spielt bei allen Jugendlichen eine große Rolle, natürlich auch bei den rechten. Übers Internet lassen sich einfach rechte Inhalte transportieren. Musik kann ich mir bei Youtube hochladen, und jeder kann es sich anhören. Früher musste ich mir einen Katalog oder die CD bestellen – und konnte von den Eltern erwischt werden. Heute ist alles mit einem Klick gemacht, der Zugang ist einfacher, die Verbreitung größer. Bei Facebook zum Beispiel verleitet die Anonymität des Internets dazu, unter Nicknames mehr oder weniger Stellung zu beziehen. Da kann man einfach Gruppen wie „Nach Frankreich nur auf Ketten“, also Panzern, oder „Todesstrafe für Kinderschänder“ beitreten.
Oft sind Eltern ahnungslos, dass sich ihre Kinder in der rechten Szene bewegen. Wann sollten sie aufmerksam werden?
WAGNER-RIXIUS: Eltern sollten generell aufmerksam sein, was das Leben ihrer Kinder betrifft. Sie sollten sich dafür interessieren, wie sie ihren Alltag gestalten, mit welchen Themen sie sich beschäftigen, welche Musik sie hören und mit welchen Symbolen sie sich schmücken. Der Einstieg in die rechtsextreme Szene erfolgt in der Regel schrittweise und oftmals auch versteckt. Einige Symbole aus bestimmten Szenen sind auch nicht leicht zu erkennen und vermischen sich mit Symbolen aus anderen Jugendkulturen.
Wie reagiert man am besten?
WAGNER-RIXIUS: Nachfragen, Interesse zeigen, was interessiert mein Kind an der Szene? Wichtig ist eine klare Haltung der Eltern gegenüber der politischen Einstellung ihrer Kinder. Eltern müssen Präsenz zeigen und sich positionieren, sie dürfen nicht schweigen, sich nicht gleichgültig zeigen oder tolerieren und darauf hoffen, dass diese Phase von selbst vorbeigeht. Wenn es gelingt, möglichst souverän und unaufgeregt mit dem eigenen Kind in Kontakt zu bleiben, viele Fragen zu stellen, ist schon viel gewonnen. Ich denke, Eltern, denen die rechtsextreme Haltung ihrer Kinder nicht egal ist, sind dringend auf Hilfe angewiesen – in der Einschätzung dessen, ob und wieweit das Kind in der Szene drin ist. Es ist eine große Herausforderung, einerseits den Kontakt zu den Kindern zu halten und gleichzeitig inhaltlich Stellung zu beziehen. Hier sollten die Eltern entsprechende Beratungsstellen aufsuchen oder sich mit anderen betroffenen Eltern gemeinsam Hilfe suchen.
Wie kommt das Kind aus der Szene heraus?
KILLGUSS: Eltern müssen Grenzen setzen. Aber da muss auch ein eigener Antrieb vorhanden sein. Neue Beziehungen sind oft eine gute Motivation, einen Bruch zur rechten Szene zu vollziehen. Man kann versuchen, die Motivation des Kindes von außen zu stärken, in dem man einen Sportverein mit dem Kind aussucht. Dort findet es vielleicht andere Freunde und merkt: Die sind ja ganz anders drauf als meine rechten Freunde. Möglicherweise muss man die Schule wechseln.
Welche professionelle Hilfen gibt es?
KILLGUSS: Wir können weiterhelfen bei der Analyse. Zu uns kommen beispielsweise Eltern, die einen komischen Aufkleber gefunden haben und ihn nicht einordnen können. Erziehungsberatungsstellen können die Familien besser in den Blick nehmen. Oft gibt es ein Bündel von Problemen. Da sind die Familienstrukturen schon belastet und dann kommt der Rechtsextremismus hinzu. Das Gespräch führte Dirk Riße