Surfen als TherapieWellen und Ängste bezwingen

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Coronabedingt findet das Surfcamp in Langenfeld statt.

Coronabedingt findet das Surfcamp in Langenfeld statt.

Langenfeld – Avo wirft sein Surfboard auf das Wasser. Die Wellen lassen es zappeln, ein paar Sekunden fixiert er es mit seinem Blick – dann macht einen beherzten Sprung darauf. Ein paar Sekunden kann Avo sich halten, von draußen kommen Anfeuerungsrufe. Dann zieht ihn die nächste Welle unter Wasser. Kaum ist er wieder aufgetaucht, stellt er sich wieder schon wieder hinten in der Schlange an der „Welle“ in Langenfeld an.

Der 18-Jährige aus Porz hat in der letzten Ferienwoche am Projekt „Wellenbezwingen“ teilgenommen. Der gleichnamige neue Kölner Verein will Kindern und Jugendlichen aus finanziell schwachen Familien über das Surfen ihr Potenzial aufzeigen und Selbstbewusstsein vermitteln. „Beim Surfen passiert unglaublich viel“, sagt Michael Baldauf, Gründer von Wellenbezwingen. „Es geht um den Umgang mit Angst, Wasser ist für viele Kinder ein unbekanntes Element. Das Wasser ist unplanbar – damit lernt man Schritt für Schritt umzugehen, die Angst zu verkleinern und an sich zu glauben.“ Das lasse sich dann auf vieles im Leben übertragen.

Surfen als Therapiemethode etablieren

In der Kurswoche spricht Baldauf in der Einweisung vor der eigentlichen Surfeinheit daher täglich mit den Teilnehmenden über ihre Wohlfühl-, Wachstums- und Panikzonen. „Viele der Kinder kommen mit nicht-diagnostizierten Traumata oder Problemen. Das Wasser kann da therapeutisch wirken – du konzentrierst dich voll auf den Moment, kannst Stress abbauen“, sagt Baldauf. Er selbst wuchs in Peru auf und lebte lange Zeit in Costa Rica, wo er in der Entwicklungshilfe tätig war.

Wellenreiten als therapeutisches Element ist dort bereits verbreiteter und wissenschaftlich erforscht, erzählt er. „In Deutschland hängen wir noch sehr hinterher.“ Baldauf ist auch im Vorstand des Dachverbandes Surftherapie aktiv. Der Verband setzt sich dafür ein, Surfen als Therapiemethode hierzulande zu etablieren.

Michael Baldauf leitet den Verein Wellenbezwingen.

Michael Baldauf leitet den Verein Wellenbezwingen.

„Man verbindet mit dem Surfen oftmals einfach einen coolen Lifestyle – dabei ist es so viel mehr“, sagt auch Helferin Rahel Klein. Außer Baldauf sind alle Unterstützerinnen und Unterstützer im Verein ehrenamtlich engagiert, der Verein finanziert sich über Spenden. „Du siehst täglich deinen Fortschritt, obwohl du deine Umgebung nicht beeinflussen kannst. Das ist eine Metapher für das ganze Leben“, so Klein. „Und es ist toll zu sehen, wie sich hier alle gegenseitig coachen und unterstützen. Jugendliche, die sonst keinerlei Berührungspunkte zueinander hätten.“

„Meine Freunde haben mich motiviert“

Das berichtet auch der 19-jährige Muhamed aus Köln. Er nimmt schon zum dritten Mal am Projekt teil. „Am Anfang hatte ich Angst vor dem Wasser. Ich dachte, die Welle ist so stark, ich werde mich verletzen“, sagt er. „Aber meine Freunde haben mich motiviert, dann habe ich mich getraut. Jetzt macht es total viel Spaß.“

Avo aus Porz will nächstes Jahr das erste Mal im Meer surfen.

Avo aus Porz will nächstes Jahr das erste Mal im Meer surfen.

Die Teilnehmer im Surfkurs sind zwischen acht und 21 Jahren alt, vermittelt haben sie lokale Partner wie das Weigle-Haus in Essen oder die Arche in Köln. Wellenbezwingen unterhält in diesen Städten auch „Surfclubs“. In diesen werden die Jugendlichen das ganze Jahr über betreut, bekommen Theorieunterricht und können beim „Surfskaten“, also beim Skaten auf speziellen Brettern, mit denen die Surfbewegungen nachempfunden werden, die Bewegungsabläufe trainieren. Das soll sie auf das Highlight, die Surfwoche im Sommer oder Herbst, vorbereiten. Dazu wollte man eigentlich gemeinsam in die Niederlande fahren – in Coronazeiten fanden die Surfeinheiten nun an der Wasserskianlage in Langenfeld statt.

Surfen liegt im Trend

„Wir wollen auch gerade den Jugendlichen einen Zugang zum Surfen bieten, die sonst keine Möglichkeit dazu hätten“, sagt Rahel Klein. „Uns kommt natürlich entgegen, dass Surfen gerade im Trend liegt“, ergänzt Baldauf. „Der Trip ans Meer bietet den Jugendlichen den Anreiz, das ganze Jahr über regelmäßig an den Treffen in den Surfclubs teilzunehmen.“

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Der Verein plane bereits, das Surfen zukünftig auch in Zusammenarbeit mit Justizvollzugsanstalten oder Geflüchtetenorganisationen anzubieten. Auch Avo, der 2016 aus dem Irak nach Deutschland kam, hat das Surfen bereits geholfen, wie er erzählt: „Man lernt sich selbst viel besser kennen und wird mutiger. Am Anfang hatte ich wirklich Angst, runterzufallen – jetzt habe ich keine Angst mehr. Micha hat mir da sehr geholfen. Das Surfen nächstes Jahr am Meer auszuprobieren wäre mega.“

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