Neue Studie zeigt: Gleichberechtigte Teilhabe junger Menschen hängt stark vom Wohnort ab.
Teilhabe-Chancen„Auch in Köln gibt es Barrieren für junge Menschen“

Experten fordern von der Politik, sich stärker für gleichberechtigte Teilhabe-Chancen von Jugendlichen starkzumachen.
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Teilhabe am gesellschaftlichen Leben scheint für viele Menschen eine Selbstverständlichkeit – und damit auch nicht der Rede wert zu sein. So gerät häufig aus dem Blick, dass Teilhabe, genauso wie Bildung, zwar ein universelles Menschenrecht ist, was bedeutet, dass das Recht und die Möglichkeit, gleichberechtigt und selbstbestimmt am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen – theoretisch – jedem Menschen gleichermaßen zusteht. Dass das aber in der Praxis gerade auf junge – ebenso wie auf beeinträchtigte und anderweitig benachteiligte – Menschen allzu oft nicht zutrifft.
Vor allem, wenn sie in einer Metropole wie Köln leben, wie eine aktuelle Studie bestätigt. Denn gleichberechtigt würde bedeuten, dass alle Kinder und Jugendlichen dort Zugang zu den sozialen Errungenschaften unserer Gesellschaft hätten, wie zu guter Bildung, vielfältigen Freizeitangeboten und attraktiven Übergangsmöglichkeiten von der Schule in den Beruf. Selbstbestimmt wäre, wenn junge Menschen ihr Leben in ihrem Heimatort nach den eigenen Vorstellungen gestalten könnten und die Chance hätten, bei Entscheidungen, die sie und ihre Zukunft betreffen, mitzusprechen und mitzubestimmen.
Von wegen Chancengleichheit
Der neue „Teilhabeatlas“, eine Studie des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung in Zusammenarbeit mit der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung (DKJS) zeigt: Wie sehr Kinder und Jugendliche am gesellschaftlichen Leben teilhaben, mitreden und -bestimmen können, hängt hierzulande enorm von ihrem Wohnort ab.
Für die Studie analysierten die beteiligten Autorinnen und Autoren umfangreiche Daten von 400 Kreisen und kreisfreien Städten – erfasst wurden zum Beispiel der Anteil der von Kinderarmut betroffener junger Menschen, der Schulabgängerinnen und -abgänger ohne ersten Schulabschluss, die Erreichbarkeit von Bushaltestellen, Grundschulen und Kinderarztpraxen oder das Angebot an Freizeitmöglichkeiten. Dabei stellte sich heraus, dass eingeschränkte Teilhabemöglichkeiten selten isoliert auftreten. So ist in Regionen mit teils bis zu 30 Prozent hoher Kinderarmut sehr häufig auch der Anteil der Jugendlichen ohne Ersten Schulabschluss (mit bis zu 15 Prozent) und folglich auch die Jugendarbeitslosigkeit sehr hoch. Echte Chancengleichheit sieht anders aus!
Studie attestiert Köln Teilhabe-Barrieren
Bei den von der Studie als städtisch identifizierten Kommunen und Kreisen erreicht in Nordrhein-Westfalen keine die beste Kategorie, was die Teilhabe von Kindern und Jugendlichen angeht. Die schlechtesten Noten bekamen viele Kommunen aus dem Ruhrgebiet, aber auch Wuppertal, Solingen, Remscheid, Hagen und Mönchengladbach. Hier, ebenso wie in Düsseldorf, Aachen, Leverkusen, Krefeld und Bonn ist die Kinderarmut besonders hoch – wie auch in Köln.
Die mit dem Prädikat „kinderfreundliche Kommune“ dekorierte Großstadt belegt in der Studie zwar keinen der untersten Plätze im Teilhabe-Ranking, ihr werden aber diesbezüglich Hürden und Barrieren attestiert. So erschweren neben der hohen Kinderarmut auch ein relativ hoher Anteil an Schülerinnen und Schülern ohne Abschluss sowie ein geringes Angebot an Ausbildungsplätzen Kindern und Jugendlichen einen guten Start ins Leben. Anders als in städtischen Regionen und ländlichen Kreisen mit hohen Teilhabe-Hürden ist hier aber der Anteil der jungen Menschen an der Bevölkerung sowie deren Lebenserwartung sehr hoch – und damit auch das Potenzial, ihr Umfeld mitzugestalten.
Mehr jugendliche Orte und Freiräume
Da Zahlen und Statistiken allein jedoch nicht ausreichen, um Teilhabe und Mitbestimmung umfassend zu beurteilen, hat das Forschungsteam der „Teilhabeatlas“-Studie auch intensive Gespräche mit 222 jungen Menschen und 39 Fachkräften aus der Kinder- und Jugendarbeit geführt, um herauszufinden, wie Kinder und Jugendliche ihre Lebenssituation selbst bewerten: Was schätzen sie an ihrem Umfeld? Was fehlt ihnen? Wofür engagieren sie sich?
Dabei kristallisierten sich drei Aspekte heraus, die Kindern und Jugendlichen an ihrem Wohnort besonders wichtig sind: Sie wünschen sich Mitgestaltungsmöglichkeiten und öffentliche Aufenthaltsorte, die ihnen Raum für Gestaltung geben, an denen sie aber auch unter sich sein können. Junge Menschen möchten Freundschaften pflegen, Sport treiben, Musik machen oder digitale Medien nutzen – idealerweise in Räumen, die sie selbst gestalten können. Doch selbst dort, wo Platz vorhanden sei, fehle es, laut Studienergebnissen, oft am politischen Willen, diese Räume jungen Menschen zur Verfügung zu stellen.
Unabhängig von den Eltern mobil sein
Besonders wichtig sei Jugendlichen aber die Chance, mobil und unabhängig (von der Unterstützung der Eltern) zu sein. Wenn etwa Teenager auf dem Land nach einer Jugendbeiratssitzung nicht eigenständig nach Hause kommen, behindert das ihre gesellschaftliche Teilhabe. Auch der Schulweg, die Freizeitgestaltung und soziale Kontakte hängen von einer guten Infrastruktur ab – gerade dort, wo Angebote selten sind. Eine gute Bus- und Bahnanbindung sowie sichere Fahrradwege sind für junge Menschen entscheidend, um selbstbestimmt zur Schule zu kommen, Hobbys auszuüben oder Freude zu treffen.
Eine weitere wichtige Erkenntnis aus den Interviews: Junge Menschen wollen sich beteiligen und sie haben Ideen, wie sie ihre Umgebung besser gestalten können. Sie haben jedoch häufig das Gefühl, nicht ernst genommen zu werden. Zudem fehlen dafür oft echte Beteiligungsformate, die ihnen Mitsprache und Mitbestimmung an Entscheidungen, die sie selbst betreffen, auf Augenhöhe ermöglichen.
Politik soll bessere Startchancen schaffen
Um bessere Startbedingungen für alle Kinder und Jugendlichen in Deutschland zu erreichen, gibt es politischen Handlungsbedarf auf vielen verschiedenen Ebenen, weshalb die Expertinnen und Experten im Teilhabeatlas auch konkrete Handlungsempfehlungen formulieren: Kinder und Jugendliche sollen mitsprechen und mitbestimmen – sei es in der Schule, der Kommune oder bei Landes- und bundespolitischen Entscheidungen, insbesondere wenn es um Bildung, Klimapolitik und Soziale Gerechtigkeit geht.
Für ein selbstbestimmtes Leben müssen junge Menschen unabhängig von der Unterstützung ihrer Eltern agieren können. Dafür brauchen sie kostenlose Angebote, einen gut ausgebauten öffentlichen Personennahverkehr sowie gute Fuß- & Fahrradwege und ein Gefühl von Sicherheit.
Mehr finanzielle Hilfe für Jugendtreffs
Weil junge Menschen Räume brauchen, in denen sie ihre Freizeit selbst gestalten und auch mal unter sich sein können, sollten Jugend- und Freizeittreffs, die genau diesen Wunsch abbilden und gerade junge Menschen aus sozial schwierigen Lagen besonders gut ansprechen, finanziell besser unterstützt und als Orte der Selbstbestimmung und Vielfalt etabliert werden.
Die Studie zeigt: Es gibt große regionale Unterschiede in den Bildungschancen junger Menschen in Deutschland. Deshalb empfehlen die Autorinnen und Autoren, gezielt in Bildungsorte und Regionen zu investieren, in denen junge Menschen mit geringen Teilhabe-Chancen leben. Schließlich sollten öffentliche Räume für junge Menschen besser erschließbar sein, da sich ein Großteil der Befragten an ihren Wohnorten unerwünscht fühlt, etwa durch Zäune, Konflikte mit Anwohnern oder der Polizei.