Analyse vor der HauptversammlungWarum Bayer in der Krise so gut dasteht

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Bayer-Werk Bayerkreuz

Bayerkreuz am Leverkusener Stammsitz

  • Trotz der Corona-Pandemie steigern die Leverkusener Umsatz und Gewinn. Unser Autor erläutert die Gründe dafür.
  • Im vergangenen Jahr wurde Vorstandschef Werner Baumann nicht entlastet, ein einmaliges Debakel in der deutschen Wirtschaftsgeschichte.
  • Wie es in diesem Jahr für Baumann aussieht bewerten Aktionärsvertreter im „Kölner Stadt-Anzeiger“ deutlich.

Köln/Leverkusen – Ein Jahr nach der historischen Nicht-Entlastung von Vorstandschef Werner Baumann hält Bayer am Dienstag seine Hauptversammlung ab. Wegen der Corona-Krise nicht wie ursprünglich geplant in Bonn, sondern per Videoübertragung. Was bedeutet das für den Leverkusener Konzern, wie lief das Geschäft im ersten Quartal, und was gibt es Neues vom Rechtskomplex Glyphosat in den USA – eine Analyse:

Wie liefen Bayers Geschäfte im ersten Quartal 2020?

Die Ausbreitung des Coronavirus hatte erhebliche Auswirkungen auf das Geschäft des Pharma- und Agrarchemiekonzerns. So stieg die Nachfrage nach Bayers Produkten an, auch weil Unternehmen und Verbraucher angesichts der globalen Unsicherheiten Vorräte anlegen. Das macht sich vor allem bei den rezeptfreien Medikamenten bemerkbar: Hier wuchs der Umsatz um 13,5 Prozent, aber auch die Divisionen Pharma und Agrarchemie legten deutlich zu.

Eine Einschränkung gab es dennoch: Das Geschäft werde „durch die mit der Pandemie verbundenen Einschränkungen partiell negativ beeinflusst“, teilte Bayer mit. Insgesamt dürfte das Dax-Unternehmen für den Moment aber von der Situation profitieren. „Es hat sich gezeigt, dass wir unter schwierigen Rahmenbedingungen mit unserem Life-Science-Produktportfolio in den Bereichen Gesundheit und Ernährung erfolgreich weiter wirtschaften konnten und so auch in Zeiten der Krise einen positiven Beitrag für unsere Stakeholder leisten“, wird Bayer-Chef Baumann in einer Unternehmensmitteilung zitiert.

Insgesamt setzten die Leverkusener im Vorjahresvergleich von Februar bis März 2020 mit rund 12,85 Milliarden Euro sechs Prozent mehr um. Der Gewinn vor Zinsen, Steuern, Abschreibungen und Sondereinflüssen legte gar um 10,2 Prozent auf 4,39 Milliarden Euro zu. Unter dem Strich verdiente Bayer im ersten Quartal 1,49 Milliarden Euro – ein Fünftel mehr als 2019.

Warum wurde Baumann auf der Hauptversammlung 2019 nicht entlastet und welche Folgen hatte das?

Nach der Übernahme des US-Konzerns Monsanto sah sich Bayer seit 2018 einer Flut von Klagen wegen angeblicher Krebsrisiken durch Monsantos Glyphosat-haltigen Unkrautvernichter Roundup ausgesetzt. Deren Zahl stieg rasch an, mehrere millionenschwere Schadenersatz-Urteil brachten Bayers Aktienkurs in den freien Fall. Nach dem ersten Urteil im August 2018 brach der Wert der Aktie innerhalb von zehn Monaten beinahe um die Hälfte ein.

Viele Aktionäre warfen dem Vorstand vor, die Risiken durch die Übernahme unterschätzt und so das Unternehmen in Gefahr gebracht zu haben. Die Wut der Anteilseigner mündete in der Nicht-Entlastung auf der Hauptversammlung 2019. Sie billigten also ausdrücklich nicht die Arbeit des Vorstands. Baumann konnte sich dennoch auf seinem Posten halten, auch weil er vom Aufsichtsrat und Betriebsrat das volle Vertrauen ausgesprochen bekam.

Wann ist mit einer Einigung über einen finanziellen Vergleich mit den Klägern zu rechnen?

Bis zum 14. April wurden Bayer in den USA Klagen von 52 500 Klägern zugestellt. Das sind 3900 mehr als Anfang Februar. Die meisten Beobachter hatten damit gerechnet, dass Bayer noch vor der diesjährigen Hauptversammlung einen milliardenschweren Vergleich abschließen könnte, um die Aktionäre zu besänftigen. Das ist nicht gelungen.

Bayer habe Fortschritte erzielt, „bis der Ausbruch von Covid-19 und die globale Pandemie das Mediationsverfahren erheblich verlangsamt haben“, teilten die Leverkusener mit. Der Konzern wolle sich weiterhin konstruktiv an den Verhandlungen beteiligen, eine Lösung aber nur in Betracht ziehen, „wenn sie wirtschaftlich sinnvoll und so strukturiert ist, dass zukünftige Fälle effizient zu einem Abschluss gebracht werden“.

Dass ein Vergleich nicht vor dem Aktionärstreffen gefunden wurde, bewertet die Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) nicht als Malus: „Entscheidend ist, dass ein nicht zu schmerzhafter Vergleich kommt. Nicht, wann er kommt“, sagt Hauptgeschäftsführer Marc Tüngler. Die Summe, die Bayer am Ende den Klägern zahlt, könnte indes niedriger ausfallen als erwartet. So verweist Bayer-Chef Baumann auf die sich abzeichnende Rezession und „teils erhebliche Liquiditätsherausforderungen“.

Welche Gegenanträge gibt es auf der Hauptversammlung?

Wie in jedem Jahr tut sich hier besonders der Verein „Coordination gegen Bayer-Gefahren“ hervor, dem neun von zehn Anträgen zuzurechnen sind. Unter anderem will er die Entlastung des Vorstands und Aufsichtsrats sowie neue Vergütungsregeln verhindern. In Teilen schließt sich der Dachverband der kritischen Aktionäre diesen Forderungen mit einem Gegenantrag an.

Ist also eine erneute Nicht-Entlastung zu erwarten?

Nein, im Gegensatz zu 2019 gibt es nur vereinzelte Aufrufe von Stimmrechtsberatern, den Vorstand nicht zu entlasten. Die einflussreichen Institutional Shareholder Services (ISS) hatten vergangenes Jahr nicht entlastet, empfehlen 2020 aber die Entlastung. Glass Lewis, von Baumann später wie ISS für die Pleite verantwortlich gemacht, rät zur Enthaltung.

Insgesamt war das Votum des vergangenen Jahres mehr Warnung als Versuch der Entmachtung. „Management und Aufsichtsrat haben auf die Kritik der Aktionäre reagiert und so zumindest teilweise das Vertrauen des Kapitalmarkts zurückgewonnen“, sagt etwa Ingo Speich, der 2019 für die Deka Fondsgesellschaft rund 1,1 Prozent der Stimmen vertreten und gegen die Entlastung gestimmt hatte. In diesem Jahr werde Deka der Entlastung zustimmen, so Speich: „Das ist uns nicht leichtgefallen, da das Grundproblem nicht gelöst ist.“ Die Rechtsfragen würden weiter die Aktie belasten, bei deren Lösung sei zu wenig geschehen. „Solange sich Bayer nicht von den Klagen befreien kann, werden wir wahrscheinlich keine Erholung des Aktienkurses sehen“, sagt Speich.

Auch DSW-Experte Tüngler kündigt an, für die Entlastung zu stimmen. Es sei beispielsweise positiv, dass Bayer im Aufsichtsrat für mehr Erfahrung bei Rechtsfragen und im Agrargeschäft gesorgt habe. Eine – sicher auch moralische – Generalabrechnung sei im letzten Jahr erfolgt. Nun spüre man „förmlich, dass es bei Bayer vorangeht“, sagt er.

Welche Kritik äußern Aktionärsvertreter dennoch?

Deka-Experte Speich bemängelt den Wechsel im Aufsichtsratsvorsitz – Werner Wenning, Bayer-Urgestein, Ex-Vorstandschef und Intimus von Werner Baumann, geht in den Ruhestand. Auf ihn folgt Norbert Winkeljohann, bis 2018 Europa-Chef des Beratungsunternehmens PwC. Winkeljohann fehle die notwendige Expertise in den Bereichen Pharma und Agrar, sagt Speich. Auch Bayers neue Nachhaltigkeitsstrategie lasse viele Fragen offen und müsse eigentlich Konsequenzen für das Geschäftsmodell von Monsanto haben.

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Union Investment kündigte an, gegen den Dividendenvorschlag zu stimmen. „2,80 Euro sind zu viel“, sagte Analyst Janne Werning der „Wirtschaftswoche“ mit Blick auf die je Aktie vorgeschlagene Ausschüttung:. „Wir halten es nicht für sinnvoll, dass Bayer den gesamten Bilanzgewinn für die Dividende ausschüttet, solange nicht klar ist, wie viel ein möglicher Glyphosat-Vergleich in den USA kostet und auch die finanziellen Folgen der Corona-Pandemie noch unbestimmt sind.“

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