Arbeitszeit-Erfassung für alleWarum Überstunden bei dieser Firma verboten sind

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Stechuhr im Eingangsbereich von Sipgate

Stechuhr im Eingangsbereich von Sipgate

  • Die Arbeitszeit wird bei Sipgate per Stechuhr genau erfasst – zur Freude der Angestellten.
  • Kommt es trotz des Verbots zu Überstunden, wird das Gespräch gesucht.
  • Andere Unternehmen sehen Arbeitszeiterfassung als große Gefahr.

Düsseldorf – Arbeitgeber müssen die Arbeitszeiten ihrer Angestellten genau aufzeichnen, entschied der Europäische Gerichtshof kürzlich. Innerhalb von Stunden reagierten Unternehmensverbände äußerst kritisch auf das Urteil: Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) bezeichnete das Urteil als „aus der Zeit gefallen“. Man könne „auf die Anforderungen der Arbeitswelt 4.0 nicht mit einer Arbeitszeiterfassung 1.0 reagieren“. Der Bundesverband Deutsche Start-ups erklärte: „Die Flexibilität, die Arbeitnehmer selbst einfordern, wird durch solche Vorgaben eingeschränkt.“ „Wir sind große Freunde der Zeiterfassung“, sagt hingegen Johanna Lange-Hegermann vom Düsseldorfer Digitaltelefonie-Unternehmen Sipgate.

Sie arbeitet in der Unternehmenskommunikation und Produktentwicklung – und registriert jeden Tag ihre Arbeitszeiten mit Hilfe einer Stechuhr. Das Gerät hängt im Eingangsbereich der Büroräume in Düsseldorf-Unterbilk, daneben die Maßgabe des Geschäftsführers Tim Mois: „Genau 40-Stunden-Woche“.

„Sozialer Druck“

Sipgate präsentiert die strikte 40-Stunden-Woche als „Work Hack“, als simplen Trick, der die Arbeit erleichtert und zum Erfolg verhilft. So verfährt die 2004 gegründete Firma seit einigen Jahren, obwohl sie ein digitales Geschäftsmodell mit innovationsstarken Wettbewerbern wie der Deutschen Telekom oder Vodafone hat. Es ist genau das Umfeld, in dem Firmen von ihren Angestellten oft zeitliche Flexibilität und unbedingten Einsatz einfordern.

Die meisten Start-ups und andere junge Unternehmen sind von einer Arbeitszeiterfassung per Stechuhr gedanklich so weit entfernt wie von einer Mondfahrt. Bei Sipgate ist die weit verbreitete „Vertrauensarbeitszeit“ hingegen ein Fremdwort: „Ohne Zeiterfassung herrscht oft sozialer Druck, weil Kollegen miteinander in den Wettbewerb treten, wer mehr und länger arbeitet“, sagt Lange-Hegermanns Kollegin Frieda Feld: „Das nutzt am Ende nur dem Arbeitgeber“. Die Stechuhr hingegen als Ausdruck von Misstrauen seitens des Arbeitgebers zu betrachten, liegt Feld und Lange-Hegermann fremd.

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Vor allem soll sie dabei helfen, Überstunden zu vermeiden. Denn die sind für die aktuell rund 170 Mitarbeiter auf Dauer nicht erlaubt. „Länger arbeiten führt nicht zu mehr Ergebnissen, jedenfalls nicht langfristig“, heißt es in einem Buch, das die Regeln der Arbeit bei Sipgate zusammenfasst. Wer zu Arbeitsbeginn oder bei Feierabend stempelt, sieht im Textfeld immer direkt, ob Überstunden angefallen sind. Mitarbeiter werden dazu angehalten, diese schnell abzugelten, indem sie zeitnah ein paar Stunden früher gehen.

„Keine Kernzeiten“

„Ein halber Tag kann ohne Probleme auch mal ausgeglichen werden“, sagt Feld. Wenn aber mehrere Tage angehäuft würden, 20 oder 30 Überstunden bestünden, bestehe ein grundsätzliches Problem bei der Erledigung der Arbeit. „Wir schauen dann vor allem: Welche Umstände hindern die Kollegin daran, die Arbeit in 40 Wochenstunden zu schaffen“, sagt Feld. „Wir ergründen immer zuerst, ob es ein systemisches Problem gibt“, ergänzt Lange-Hegermann. „Wer zu viel arbeitet, wird dezent auf Lebensgestaltungsmöglichkeiten außerhalb der Arbeit hingewiesen“, heißt es im Sipgate-Regelbuch: „Manchmal erinnern wir auch Leute, ihren Urlaub endlich mal zu nehmen.“

Kernzeiten gibt es trotz Arbeitszeiterfassung nicht. „Wir können kommen und gehen, wann wir wollen, auch einkaufen gehen oder zum Friseur“, sagt Frieda Feld: „Wir müssen uns dafür nur mit unserem Team absprechen.“

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