Die Bahn will sich mit der Pünktlichkeit Zeit lassen. Das verkündete Verkehrsminister Schnieder am Montag. Was bedeutet das für Reisende?
Minister-AnkündigungWas Pünktlichkeit bei der Bahn überhaupt bedeutet – und was sich jetzt ändert

Bei einem Pressetermin der Bahn zu Zukunftsbahnhöfen in einem ehemaligen Ladengeschäft im Hauptbahnhof Berlin steht eine Uhr. (Symbolbild)
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Viele Reisende verzweifeln regelmäßig an der Bahn, insbesondere Pendler klagen seit Jahren über unpünktliche oder komplett ausfallende Züge und eine schlechte Informationspolitik der Deutschen Bahn. Nicht wenige Menschen, die täglich über weitere Entfernungen zur Arbeit kommen müssen, sind daher wieder aufs Auto umgestiegen. In den vergangenen Jahren verschärften sich die Probleme so, dass der bisherige Bahn-Chef Richard Lutz die Situation im Mai 2025 als die „größte Krise seit 30 Jahren“ bezeichnete, die eine Mischung aus tiefgreifenden strukturellen und operativen Problemen sei. Ursache sind eine marode Infrastruktur und ein Investitionsstau.
Die Pünktlichkeitswerte der Bahn waren in den vergangenen Monaten erneut heruntergegangen. So kamen im Juli 2025 lediglich gut die Hälfte der Fernzüge pünktlich an, genau genommen 56,1 Prozent.
Pünktliche Züge dürfen fast sechs Minuten verspätet sein
Dabei wissen die meisten Reisenden: Wenn die Bahn von pünktlich spricht, ist gar nicht unbedingt vorgesehen, dass der Zug zur im Fahrplan angezeigten Uhrzeit auch wirklich ankommt. Dies macht die Bilanz der Bahn zusätzlich brisant. Betriebliche Pünktlichkeit bei der Deutschen Bahn bedeutet, dass ein Zug mit weniger als 6 Minuten Verspätung an einem Halt ankommt. Im Fernverkehr wird außerdem die sogenannte „Reisendenpünktlichkeit“ berücksichtigt, wo Ankünfte mit bis zu 14,59 Minuten Verspätung bei funktionierenden Anschlüssen als pünktlich gewertet werden.
Bislang war geplant gewesen, dass im Rahmen der betrieblichen Pünktlichkeit bis 2026 70 Prozent aller Züge pünktlich ans Ziel kommen sollen. Diese Vorgabe wurde jetzt allerdings offenbar als unrealistisch eingestuft, sodass Verkehrsminister Patrick Schnieder (CDU) am Montag davon abrückte. Erst drei Jahre später, also Ende 2029, soll die Pünktlichkeit nun auf 70 Prozent gesteigert werden.
Heftige Kritik an Bahn wegen Pünktlichkeit
Schnieder verwies bei der Vorstellung der neuen Bahn-Chefin Evelyn Palla auf die in den kommenden Jahren geplanten Bauarbeiten im Schienennetz. Vor diesem Hintergrund sei schon das Ziel 70 Prozent bis 2029 „ambitioniert“. „Mittelfristig“ formulierte der Verkehrsminister eine Zielmarke von 80 Prozent Pünktlichkeit, langfristig sollen 90 Prozent der Züge pünktlich sein.
Nach Schnieders Ankündigung gab es teilweise heftige Kritik an der Bahn und dem Verkehrsminister, vor allem von der Opposition. Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann schrieb bei X, Schnieder solle zum besseren Verständnis der Auswirkungen zwei Wochen lang mit ihr die Strecke Berlin-Köln mit dem ICE fahren.
Sogar von Parteifreunden kam Kritik. Der Vorsitzende der CSU-Fraktion im Bayerischen Landtag, Klaus Holetschek, nannte es ein falsches Signal, eine neue Bahn-Chefin vorzustellen und gleichzeitig die eigenen Ziele zu senken.
Ein User weist darauf hin, dass es im benachbarten Ausland deutlich besser laufe als in Deutschland. Die sei sogar peinlich, da beispielsweise die Schweizer Bahn SBB die deutschen Züge wegen ständiger Verspätungen nur noch bis Basel fahren lässt.
Schönt die Deutsche Bahn ihre Pünktlichkeitsstatistik?
Für besondere Empörung unter Bahnkunden hatten in jüngster Zeit Meldungen gesorgt, dass die Deutsche Bahn ihre ohnehin sehr weit gefassten Pünktlichkeitszahlen manipuliere. Das Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) berichtete unter Berufung auf Gewerkschafter von „Zahlentricks und Leerfahrten“. Demnach lässt die Bahn offenbar gezielt Züge ausfallen, um die Pünktlichkeitsstatistik zu schönen.
Es sei ein offenes Geheimnis, dass Züge aus der Statistik genommen werden, um die Bilanz zu verbessern. Züge, die eine starke Verspätung aufweisen, würden dann zum Ärger der Reisenden einfach gestoppt und aus dem Plan genommen, beispielsweise mit dem Hinweis „kurzfristiger Personalausfall“. Die Bahnkunden müssen sich dann eine andere Verbindung suchen.
Hintergrund ist, dass ausfallende Züge nicht in der betrieblichen Pünktlichkeitsstatistik erfasst werden und diese damit auch nicht negativ beeinflussen können. Der Konzern stritt allerdings ein solches Vorgehen ab. (mit afp)