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Kölner BrauereiEin seltener Einblick in das 131 Jahre alte Kölsch-Geschäft von Reissdorf

5 min
Ein Mann steht in einem Foyer neben dem Firmenschild Kölner Brautradition Seit 1894.

Die Pfandfässer werden gründlich gewaschen, bevor sie wieder mit Reissdorf Kölsch befüllt werden.

Christian von Rieff führt die Privatbrauerei Reissdorf in vierter Generation. Wie der Braumeister sein Unternehmen in die Zukunft führen will.

Zwei Kilometer lang ist die Strecke über das Brauereigelände, Christian von Rieff geht sie im Stechschritt. Er gewährt seltene Einblicke in das Unternehmen, das er mit seinem Vater Michael von Rieff als geschäftsführender Gesellschafter in vierter Generation leitet: die Privat-Brauerei Heinrich Reissdorf. In der Vergangenheit ließ Reissdorf kaum hinter die Kulissen blicken, geschweige denn in die Produktion. Das soll sich jetzt ändern. Ab Herbst soll es regelmäßig Führungen geben.

Privat-Brauerei Reissdorf will Unternehmen in die Neuzeit führen

Christian von Rieff möchte das Unternehmen in die Neuzeit führen, ohne sich zu verbiegen, macht er deutlich. Es gehe nicht nur um neue Produkte. „Wir wollen die Leute wieder hierhin bringen, uns öffnen“, sagt er, „ohne unsere Tradition zu vernachlässigen.“ Die Brauerei ist in vielen Teilen automatisiert. Auf einem Förderband werden leere Pfand-Fässchen transportiert. Bevor sie wieder gefüllt werden, durchlaufen sie eine intensive Reinigung. Das Personal befindet sich gerade in Mittagspause – aber Stillstand herrscht hier so gut wie nie, rund um die Uhr wird produziert. Etwa 100 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hat die Reissdorf-Brauerei derzeit.

Christian von Rieff leitet Reissdorf in vierter Generation.

„Wir sind eine mittelständische Brauerei, für Kölner Verhältnisse recht groß“, sagt Christian von Rieff und händigt einen Leitfaden aus: „How our beer is made“ – Wie unser Bier gebraut wird. Erster Halt ist am Sudhaus. Hier wird die Würze hergestellt. Das Gerstenmalz durchläuft mehrere Schritte, bis das Flüssige vom Festen getrennt wird. Entstehende Reste werden an Bauern verkauft – als Futtermittel. Der Reissdorf-Chef weiß, wovon er spricht, wenn er durch den Brauprozess führt. Er ist Diplomkaufmann und hat obendrein einen Abschluss als diplomierter Malz- und Braumeister.

Über eine Förderband mit Waschfunktion laufen rote Reissdorf-Fässer.

Die zurückgekommenen Pfandfässer werden gründlich gewaschen.

„Es ist genial. Eigentlich wird bei uns alles verwertet“, sagt Christian von Rieff. Kohlensäure und Hefe würden selbst hergestellt, das Wasser komme aus einem 80 Meter tiefen Brunnen, Photovoltaik sorge für Energie. Flaschen, Fässer und Kästen unterliegen zudem einem Kreislauf. Bundesweit werden Reissdorf-Flaschen eingesammelt und, wie auch die eigenen Reissdorf-Kästen und -Fässer, in Köln gründlich gewaschen. Vor allem die Flaschen einzusammeln sei ein großer logistischer Aufwand. „Wir haben Logistikdienstleister, die nichts anderes machen, als, salopp gesprochen, Flaschen zu tauschen.“

Blick in eine große Halle mit stählernen Rohren und großen Tanks

In den stählernen Tanks lagert das fertige Kölsch vor der Abfüllung.

Zurück zum Bottich: Im nächsten Schritt kommt der Hopfen hinzu. „Der riecht fast wie Weihnachten“, findet der Chef. Aufkochen, rotieren, viele Arbeitsschritte sind nötig. Vorsichtig werden flüssige Stoffe entzogen. Enzyme, die im Gerstenkorn stecken, übernehmen unterschiedliche Aufgaben, die je nach Temperatur aktiviert werden. Bier, geschweige denn Kölsch ist das hier noch nicht. Dafür fehlt noch die Hefe. Sie wird im Fermentierungstank zugesetzt, ehe das Kölsch in die riesigen Lagertanks aus Stahl geht, die jeweils 2000 Liter fassen.

Reissdorf-Kölsch wurde ursprünglich im Vringsveedel gebraut

Seit 1998 wird in Rodenkirchen an der Emil-Hoffmann-Straße gebraut. Damals siedelte das 1894 gegründete Unternehmen aus dem Severinsviertel um. Die alte Brauerei an der Severinstraße war halb so groß wie die heutige.

Mit neuen Marken möchte Christian von Rieff dem Trend nach Vielfalt im Glas nachkommen. Mit dem „Dröppche“ ist vor wenigen Monaten ein naturtrübes, obergäriges Bier in die Reissdorf-Familie eingezogen. Es schmeckt wie Kölsch, ist aber naturtrüb. „Wir wollten ein Bier schaffen, das Handwerkskunst und Heimatbezogenheit in kölscher Mundart vereint“, sagt der Geschäftsführer. Ein passendes Tulpenglas werde gerade entworfen. „Junger, frischer, freundlicher ist unser Ziel.“

Signalgrün ist das neue Radler mit Limettengeschmack. Die Flasche ist grün, das Etikett ist grün. Der Inhalt soll spritzig sein – „erfrischend anders“, bewirbt Reissdorf sein neues Getränk. „Früher hatten Biermischgetränke einen schlechten Ruf. Heute ist das ganz anders. Das Grün ist natürlich auch ein bisschen mehr Wagnis.“

Auf dem Weg zur Abfüllungshalle fällt ein kurzer Blick ins Labor, das die Qualitätssicherung im Blick hat. In einem Raum lagern sämtliche Rückstellproben der Abfüllungen, falls es mal eine Beanstandung gibt – die es bisher aber noch nie gegeben habe.

Cyber-Attacken und Schwarzmarkt machen Brauerei zu schaffen

Die Brauerei hat mit modernen Problemen zu kämpfen – Christian von Rieff berichtet von täglichen Cyber-Attacken. Außerdem verschwinden Fässer, weil sie auf dem Schwarzmarkt verscherbelt werden. Besonders häufig fehlen die Zehn-Liter-Fässer. Das trifft natürlich alle Brauereien. „Ich vermute, sogar überall in Westeuropa. Man vermutet dunkle Kanäle Richtung Osten. Der Schaden geht in die Millionen.“ Bei Reissdorf sind von rund 50.000 Fässern etwa 15.000 abgängig, grob geschätzt. Genau sagen kann von Rieff das nicht.

In langen Regalreihen stehen Flaschen mit Bierproben.

Zu jeder Abfüllung gibt es Rückstellproben zur Qualitätskontrolle.

Und auch sonst beschäftigt sich Reissdorf mit den Herausforderungen, die anderen Kölsch-Brauereien begegnen. Christian Kerner, Geschäftsführer des Kölner Brauerei-Verbands, berichtete dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ kürzlich von einem leicht gesunkenen Kölschabsatz im vergangenen Jahr um 2,5 Prozent auf rund 1,42 Millionen Hektoliter – das entspricht 142 Millionen Litern. Im Jahr 2019 wurden noch 1,785 Millionen Hektoliter Kölsch produziert. Einer der Gründe sei der ziemlich verregnete Sommer 2024 gewesen, der oft nicht gerade zum Ausflug in den Biergarten lockte.

Das laufende Jahr entwickle sich gegenüber dem vergangenen, regnerischen positiv, sagt Christian von Rieff. „Grund sind auch die neuen Vertriebsimpulse, die bereits gesetzt wurden und in den kommenden Jahren noch gesetzt werden.“

Mit gemischten Gefühlen blickt der Reissdorf-Chef auf die Einigung in den Tarifverhandlungen, die 5500 Beschäftigten in NRW-Brauereien in den nächsten Jahren höhere Löhne verschafft. In den vergangenen Monaten hatte die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) mit Warnstreiks – auch bei Reissdorf – den Anschein erweckt, das Bier könnte dadurch knapp werden. Das war nicht annähernd der Fall.

„Zwar ist der Wunsch nach höheren Einkommen aus Arbeitnehmersicht nachvollziehbar“, sagt Christian von Rieff, „unter Berücksichtigung der seit Jahren andauernden Biermarktentwicklung, bedingt durch die allgemein veränderte Konsumorientierung, aber auch die exorbitanten Kostensteigerungen durch den Ukraine-Krieg fehlt mir jedoch das Verständnis dafür, wie diese Tarifverhandlungen inhaltlich sowie in der Form seitens der NGG geführt wurden“. Gerade das anhaltende Brauereisterben in Köln – jüngstes Beispiel sei die Übernahme von Mühlen Kölsch durch Gaffel – „sollte allen Mahnung genug sein, wie schnell Unternehmen und Arbeitsplätze verloren gehen“.