Den fest mit der Plastikflasche verbundenen Deckel gibt es seit gut einem Jahr - und immer noch stören sich viele Konsumenten daran.
Umstrittene EU-RichtlinieNervige Verschlusssache: Bringt der Plastikdeckel überhaupt etwas?

Treibt es die EU zu bunt? 2019 wurde beschlossen, dass der Deckel jetzt an der Flasche bleibt.
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Mike Krüger hat ihm ein Lied gewidmet, Mario Barth hat ihn verspottet, Hans-Georg Maaßen hat sich furchtbar über ihn aufgeregt: Ein kleiner Deckel sorgt seit einer Weile für große Emotionen. Denn der Verschluss muss mit den meisten Einweg-Plastikflaschen nun fest verbunden sein – so will es die EU.
Genauer: eine Richtlinie, die 2019 vom Europaparlament und den Mitgliedsstaaten beschlossen wurde und die dafür sorgen soll, dass weniger Plastik in der Umwelt landet. Auf sie geht zurück, dass in Restaurants der Strohhalm aus Kunststoff verschwunden ist, dass Imbisse keine Plastikgabeln mehr ausgegeben – und eben, dass der Deckel jetzt an der Flasche bleibt.
„Für Konsumenten ist das nicht schlüssig“
Zumindest, wenn die Flasche oder ein anderer Getränkebehälter aus Kunststoff besteht, ein Einwegartikel ist und bis zu drei Liter umfasst. Ist die Flasche aus Glas oder ein Mehrwegartikel, gilt das nicht. Für Sebastian Klaus, Professor für Verpackungstechnik an der Berliner Hochschule für Technik, ist das eine mögliche Erklärung, wieso der Deckel die Menschen so in Rage bringt. „Für Konsumenten ist das nicht schlüssig“, sagt er dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND).
Klaus beschäftigt sich schon länger mit dem Deckel, seinem Design und den Emotionen, die er hervorruft. „Das Thema ist irrational aufgeladen“, sagt er. „Wir sind Gewohnheitstiere und lehnen Veränderung oft ab. Dabei ist der Deckel eigentlich gar nicht so verkehrt.“
Frust über Brüssel
Das sehen längst nicht alle so. In den Kommentarspalten des Internets überschlagen sich Nutzerinnen und Nutzer mit Klagen darüber, wie genervt sie von dem Verschluss sind. „Ich hasse diese Dinger“, schreibt jemand, „Deshalb raus aus der EU“, findet ein anderer.
Am Anfang war das Verständnis dafür nicht hoch.
Der Frust richtet sich vor allem gegen Europa und die von vielen empfundene Bevormundung durch die Bürokraten in Brüssel. Der Verschluss ist dabei nur ein Symbol – ähnlich der früher einmal festgelegten Maximalkrümmung der Salatgurke. In Wahrheit geht es um mehr: um Politikverdrossenheit, Ohnmachtsgefühle, Angst vor Gängelei. Der Deckel ist zum Sinnbild geworden für eine Entfremdung zwischen den Institutionen der EU und ihren Bürgern.
Richtlinie trat 2019 in Kraft
Wer verstehen will, wie der Deckel auf die Flasche kam, muss ein wenig zurückgehen. 2018 machte die EU-Kommission mehrere Kunststoff-Einwegartikel aus, die besonders häufig an Europas Küsten gefunden wurden. Darunter: Plastikflaschendeckel. „Insbesondere wurden sie mehr als doppelt so oft gefunden wie die Flaschen selbst“, heißt es dazu aus der Kommission auf RND-Anfrage. Auf dem Weg zu einer Richtlinie seien auch Bürgerinnen und Bürger konsultiert und Sachverständige herangezogen worden.
Frans Timmermans, der damals für nachhaltige Entwicklung zuständige Erste Vizepräsident der Kommission, fand: „Plastikmüll ist zweifellos ein großes Problem und die Europäer müssen mit vereinten Kräften dagegen vorgehen, denn der Plastikmüll landet letztlich in unserer Luft, unseren Böden, unseren Ozeanen und unserem Essen.“
Die Deckel sind seit Juli 2024 EU-weit Pflicht
Ein Jahr später wurde die Einwegkunststoffrichtlinie beschlossen. Die Mitgliedsstaaten bekamen anschließend Zeit, um sie in nationales Recht zu gießen, was Deutschland in Form der „Einwegkunststoffkennzeichnungsverordnung“ tat. Die Vorgaben sehen vor, dass die „Tethered Caps“, wie die fest verbundenen Deckel auch genannt werden, im Juli 2024 in allen Mitgliedsstaaten Pflicht wurden.
Ein Jahr ist das nun her. Ob die Beamten in Brüssel damals schon wussten, welche Wut der Deckel entfachen würde?
Gerade erst hat eine Umfrage gezeigt, dass sich die Mehrheit der Verbraucherinnen und Verbraucher damit noch immer nicht anfreunden kann. Gut zwei Drittel der Befragten finden, dass sich die Flaschen jetzt schlechter handhaben lassen, zeigt die Erhebung des Nürnberger Konsumforschungsinstituts NIM.
Deckel wird als unhandlich empfunden
Auch das ist eine Beschwerde, die Verpackungsprofessor Klaus oft hört. Kinder und körperlich eingeschränkte Personen hätten nun mehr Probleme als früher. „Am Anfang war das Verständnis dafür nicht hoch. Das lag auch daran, dass es in Deutschland bereits ein gutes Pfandsystem gibt. Viele haben die Notwendigkeit nicht gesehen“, sagt der Experte.
Denn hierzulande landen nur wenige Flaschen in der Umwelt. „Jede Einwegkunststoffflasche hat einen Restwert von 25 Cent. Es gibt ein Eigeninteresse, dass sie nicht verloren geht.“
Dass der Deckel verschwunden gehe, komme zwar selten vor, sagt der Verpackungsprofessor. Und doch sieht er einen positiven Einfluss auf den Umweltschutz. „Das hat insbesondere damit zu tun, dass in anderen Ländern die Vermüllung ein viel größeres Problem ist als in Deutschland. Dort hat er auch einen Effekt.“
Und Klaus hat noch ein anderes Argument, das auf einem groben Überschlag beruht: Selbst, wenn 95 Prozent der Flaschen mit Deckel zurückgegeben werden, sind das bei 16,4 Milliarden Einweg-Plastikflaschen - die Zahlen kommen vom europäischen Wirtschaftsdienst und der Deutschen Umwelthilfe - immer noch Millionen Deckel, deren Verbleib offen ist und die damit auch in der Umwelt landen können.
Und die Verbraucher? 47 Prozent der von den Nürnberger Marktforschern Befragten halten die fest verbundenen Deckel mit Blick auf den Umweltschutz für Unsinn, nur ein knappes Drittel bewertet sie als sinnvoll.
Greenpeace: Deckel lösen das Problem nicht
Für Greenpeace ist nicht der Deckel, sondern Kunststoff insgesamt das Problem. „Die fest verbundenen Deckel sind gut gemeint – aber sie lösen das eigentliche Problem nicht“, sagt Moritz Jäger-Roschko, der bei der Umweltorganisation für den Ressourcenschutz zuständig ist. „Um wirklich etwas für den Schutz der Umwelt und der menschlichen Gesundheit zu tun, müssen wir an die Ursachen ran: Weniger Plastik produzieren und nutzen“, so sein Credo. Greenpeace hofft deshalb auf Bewegung bei einem Regelwerk, über das die UN-Staaten im August in Genf verhandeln: Ein globales Plastikabkommen, so Jäger-Roschko, biete eine historische Chance, endlich an der Quelle anzusetzen.
Geht es nach Greenpeace, sollten sich die Staaten dort darauf einigen, die Plastikproduktion bis 2040 um 75 Prozent zu senken. Zudem brauche es klare Verbote für Einwegplastik, meint der Greenpeace-Mann.
Die Hersteller mussten umdenken
Eine Auswirkung hatte der fest verbundene Deckel aber definitiv: Die Hersteller mussten sich neu sortieren. „Verschlüsse sehen immer einfach aus, sind aber absolutes Hightech“, sagt Sven Boomgaarden, Geschäftsführer beim europäischen Ableger des Coca-Cola-Konzerns. Es sei herausfordernd gewesen, eine komplett neue Technologie wie diese einzuführen.
In zehn der 13 Produktionsstandorte hierzulande wurde umgerüstet. „Die Umstellung betraf allein in Deutschland mehrere Milliarden Flaschen pro Jahr“, sagt Boomgaarden. Die habe der Konzern aber auch genutzt, um gleichzeitig das Gewinde schmaler zu machen und damit Material einzusparen - „je nach Flaschengröße bis zu 1,3 Gramm Plastik“.
Vor der neuen Deckelung hat das US-Unternehmen mit Verbraucherinnen und Verbrauchern verschiedene Möglichkeiten ausprobiert. „Die Testgruppe entschied sich für Scharnier-Verschlüsse als beste Lösung“, erklärt der Manager. Mehrere Millionen Euro habe der Konzern für die Umstellung in die Hand genommen. Auch Bloomgaarden hat beobachtet, dass sich die Konsumenten zunächst mit den neuen Verschlüssen schwergetan hätten. „Inzwischen sind sie aber das neue Normal und die allermeisten haben sich an die fest verbundenen Deckel gewöhnt“, meint er.
„Dahinter stehen sehr große Investitionen“
Verpackungstechnologe Klaus lobt die Designideen. „Dahinter stecken definitiv sehr große Investitionen“, sagt er. Die Maschinen mussten umgestellt, neue Werkzeuge besorgt werden: „Die Umstellung hat für einen Innovationsimpuls gesorgt“, ist der Experte sicher. Er hält insgesamt die Umstellung für nachvollziehbar. „Die EU hat sich auf die Fahnen geschrieben, Kunststoffmüll und dessen negative Auswirkungen zu reduzieren. Und das ist erst mal ehrbar“, sagt er. „Es ist doch offensichtlich, dass es da ein Problem gibt.“
Ob nun jeder einzelne Aspekt sinnvoll sei, sei eine andere Frage, sagt Klaus – und verweist auf das in Deutschland vergleichsweise kleinere Müllproblem. „Und ich halte den fest verbundenen Deckel auf Milchkartons auch nicht für sinnvoll”, gibt er zu bedenken. „Aber insgesamt sehe ich seinen Nutzen.“
Umweltministerium: Richtlinie entfaltet ihre Wirkung
Zwar halten sich EU-Beamte mit einer Bewertung zurück und die Kommission verweist auf RND-Anfrage auf einen Bericht, der erst Ende des Jahres veröffentlicht wird. Belastbare Zahlen zu den Auswirkungen der neuen Deckel gibt es deshalb noch nicht. Ein Sprecher des deutschen Umweltministeriums betont aber, die Einwegkunststoffrichtlinie entfalte mittlerweile deutlich ihre Wirkung. „Die zehn häufigsten Plastikartikel, die immer wieder in der Umwelt landeten, sind mittlerweile verboten und das lief recht geräuschlos ab. Viele Menschen gehen heute bewusster mit Plastik um“, teilt er mit. „In Parks, an Stränden in Europa und vor allem auf und unter der Wasseroberfläche finden wir heute weniger losen Plastikmüll. Das schützt Meeresvögel, Fische, unsere Strände sind sauberer.“
Die befestigten Flaschendeckel seien dabei nur ein Detail, räumt der Sprecher des von Carsten Schneider (SPD) geführten Hauses ein. Doch jeder Deckel, der nicht im Meer lande, schütze auch die Meere. „Die Einwegkunststoffrichtlinie demonstriert, wie passgenaue europäische Vorgaben Umweltschutz greifbar machen und gleichzeitig Innovation bei der Wirtschaft anstoßen“, heißt es weiter. „Sie bleibt damit ein wesentlicher Baustein auf unserem Weg hin zu weniger Plastikmüll und einer echten Kreislaufwirtschaft.“
Die Verbrauchermeinung ist geteilt: Manche betonen die Vorteile, etwa dass der Deckel nun nicht mehr im Auto herumfliegt, andere üben noch das Flaschentrinken nebst Kappe und wieder andere finden die Aufregung übertrieben. Die Mehrheit aber fremdelt noch immer mit dem Verschluss, der damit irgendwie auch wieder für eine Verbundenheit unter Konsumentinnen und Konsumenten sorgt. Wenn auch anders als ursprünglich gedacht.