Ex-Siemens-Chef Joe Kaeser„AfD-nahe Manager glänzen selten mit Ansehen und Erfolgen“

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Unter Deutschlands Topmanagern bezieht Siemens Energy-Aufsichtsratschef Joe Kaeser so pointiert politisch Stellung wie sonst keiner.

Unter Deutschlands Topmanagern bezieht Siemens Energy-Aufsichtsratschef Joe Kaeser so pointiert politisch Stellung wie sonst keiner.

Joe Kaeser leitete eines der größten deutschen Unternehmen. Der Ex-Siemens-Chef vor den Folgen rechtsradikalen Gedankenguts für die Wirtschaft. 

Unter Deutschlands Topmanagern bezieht Siemens Energy-Aufsichtsratschef Joe Kaeser so pointiert politisch Stellung wie sonst keiner. Schon 2018 hat sich der heute 66-jährige als damaliger Siemens-Chef öffentlich mit AfD-Spitzenpolitikerin Alice Weidel angelegt. „Lieber Kopftuch-Mädel als Bund Deutscher Mädel“, hatte Kaeser damals getwittert. Zuvor hatte die AfD-Frontfrau im Bundestag über „Burkas, Kopftuchmädchen und alimentierte Messermänner“ schwadroniert, womit Migranten und Asylsuchende gemeint waren.

Heute sieht Kaeser noch größere Gefahren von Rechts als damals. Im warnt er vor wirtschaftlich fatalen Folgen für Deutschland, sollten rechtsradikale Parteien an die Macht kommen. Für den Fall sieht er das deutsche Exportmodell und viele Arbeitsplätze in Gefahr.

Herr Kaeser, Sie haben die heutige AfD-Chefin Alice Weidel schon 2018 für die Verwendung von Begriffen wie „Kopftuchmädchen“ und „Messermänner“ in Bezug auf Einwanderer kritisiert und vor Gefahren für den Wohlstand in Deutschland gewarnt. Wie ist die Lage heute?

Joe Kaeser: Damals war es nur eine einzige Person, die, wie meine internationalen Freunde sagen, „the ugly face of Germany“ (das hässliche Gesicht Deutschlands) war. Jetzt ist es eine ganze Partei mit über 20 Prozent Sympathien der wahlberechtigten Bürgerinnen und Bürger. Deshalb ist die Transparenz der Konsequenzen wichtig.

Welche Konsequenzen meinen Sie?

Alle national-populistischen Kräfte in Europa eint, dass Sie sich im Nationalstaat von der Welt abschotten und Binnenmärkte wie die EU schwächen wollen. Die Erfolgsformel unseres Wohlstands ist aber der Export. Direkt durch die Verkäufe inländischer Produkte in die Welt hinaus und indirekt dadurch, dass viele kleine und mittlere Unternehmen als Zulieferer für die großen Exporteure erfolgreich sind. Frau Weidel hat gerade erst den Brexit als „Modell für Deutschland“ bezeichnet. Und sie erklärt die EU als gescheitert. Die AfD – wie im übrigen auch die Wagenknechtpartei – will mit ihrer EU-feindlichen Haltung den Austritt Deutschlands aus dem größten Binnenmarkt der Welt. Das hätte verheerende Folgen vor allem auch für Landwirte. Über ein Drittel der EU-Subventionen gehen in die Landwirtschaft. Ein Abschneiden dieser Quellen katapultiert deutsche Bauern ins Nirgendwo. Wer solche Parteien wählt, entscheidet sich für den Verlust des Wohlstands unseres Landes und seiner Bürger.

Die deutsche Zivilgesellschaft hat dieser Tage mit Demonstrationen gegen Rechts vielerorts Zeichen gesetzt. Bewegt sich Deutschland jetzt in die richtige Richtung?

So viele Menschen für die Demokratie auf der Straße zu sehen, ist ein ermutigendes Zeichen. Aber mit einem – wenn auch sehr eindrucksvollen Demo-Wochenende – ist es nicht getan. Wir dürfen nicht müde werden darauf hinzuweisen, welche Konsequenzen die Wahl von nationalpopulistischen Parteien haben kann. Und damit meine ich für unser gesellschaftliches Miteinander und ganz besonders auch, dass unser Wohlstand bedroht ist. Das gilt für alle extremen politischen Spektren, egal von links oder rechts.

Joe Kaeser: Manager sind den Eigentümern verpflichtet

Damit nehmen Sie Manager-Kollegen in die Pflicht. Beziehen die ausreichend Stellung?

Es werden jetzt jedenfalls immer mehr und ich denke, da wird noch mehr kommen. Führende Manager großer und global agierender Unternehmen haben meines Erachtens die Pflicht auf die Zusammenhänge zwischen Wohlstand, Wirtschaft, Wachstum, Arbeitsplätzen und internationaler Zusammenarbeit hinzuweisen und sie den Menschen verständlich zu erklären. Aber Jede und Jeder muss am Ende selbst entscheiden.

Warum herrscht in deutschen Chefetagen oft noch Zurückhaltung?

Manager sind oft selbst nur leitende Angestellte eines Unternehmens, das ihnen nicht gehört. Damit sind sie zuerst den Eigentümern verpflichtet. Bei Unternehmern, die Investitionsgüter verkaufen, ist die Konsumentenmeinung weniger wichtig. Bei Autos, Hausgeräten oder Alltagsprodukten ist es schon anders. 20 Prozent oder mehr Wählerpotenzial heißt ja auch immer Käuferpotenzial. Deshalb ist es mit politischen Positionen und Präferenzen so eine Sache. Außerdem geht in Unternehmen auch immer wieder mal was schief. Da wird man schnell zur Ordnung gerufen, sich doch besser um die eigenen Probleme zu kümmern.

Beim Treffen Rechtsextremer in Potsdam, wo über Deportationen Deutscher mit Migrationshintergrund gesprochen wurde, waren auch Manager dabei. Wie groß ist die aktive Unterstützung in der Wirtschaft für die AfD?

Diese Manager, die dort angeblich dabei waren, glänzen jetzt nicht gerade durch internationales Ansehen und zählbare Erfolge. Wenn alles stimmt, was über das Treffen berichtet worden ist, ist es alarmierend. Andererseits sind Managerinnen und Manager auch nur Teil unserer Gesellschaft. Ich bin aber überzeugt davon, dass die überwältigende Mehrheit der Wirtschaft die menschenverachtenden Ansichten nicht teilt und die Programmatik auch wirtschaftlich für Harakiri hält.

Als Sie sich 2018 im Kopftuchmädchen-Disput mit Weidel AfD angelegt haben, wie war damals das Echo?

Im Saldo gab es damals sehr viel mehr Zustimmung als Kritik. Es gab seinerzeit auch Drohungen gegen Leib und Leben und teilweise in sehr drastischer Sprache formuliert.

Falls sich in Deutschland rechtsradikale Positionen durchsetzen, wäre dann drohender Wohlstandverlust marginal oder bedeutend?

Er wäre bedeutend und gefährdet genau die Jobs, die die Radikalen vorgeben, schützen zu wollen, nämlich die im Inland. Wenn unser Exportmodell kippt, dann müssen Unternehmen stärker in den Wachstumsmärkten dieser Welt investieren. Die größeren können das leichter, aber der Mittelstand, der unser Land in der Breite trägt, könnte ziemlich in Schwierigkeiten kommen. Außerdem würden sich viele ausländische Investoren und Fachkräfte überlegen, ob sie wirklich in unser Land kommen wollen. Ohne Kunden, Partner und Investoren im und aus dem Ausland gibt es keinen Wohlstand in Deutschland. Auf alle Fälle gingen viele Arbeitsplätze verloren.

Joe Kaeser wird auf AfD angesprochen

Beobachten Sie schon Reaktionen, die der deutschen Wirtschaft schaden?

Ich komme gerade vom Weltwirtschaftsforum in Davos. Ich habe mit vielen Kunden, Politikern und Freunden gesprochen. Es gab kein Gespräch, wo ich nicht gefragt worden bin, „was ist bei euch in Deutschland los?“ Natürlich ging es auch um die Ampel-Politik, aber besonders darum, ob Deutschland wieder ein hässliches Gesicht zeigt, von dem man dachte, dass des nie wieder passieren könnte.

Wie bedeutend sind Ihrer Meinung nach die Wahlen dieses Jahres?

Die Europawahl ist extrem wichtig. Wenn die rechtspopulistischen Parteien stärker werden, bedroht das die Funktionsfähigkeit der EU-Institutionen, die auf Konsens und teilweise Einstimmigkeit angelegt sind. Das wiederum führt im schlimmsten Fall zur Lähmung der EU. Und das ist genau der Plan der Populisten. Nach dem Motto „wir haben es ja schon immer gesagt, Brüssel kriegt es nicht auf die Kette“. Das wiederum füttert den Frust und man wählt beim nächsten Mal in noch größerer Zahl die Radikalen. Gleiches gilt vermutlich auch für die Landtagswahlen.

Sind sie für oder gegen ein Verbot von AfD oder der Wählbarkeit einzelner Personen?

Ich persönlich halte davon nicht sonderlich viel. Man würde doch wohl nur einen Täter zum Opfer stilisieren. Besonders unglücklich finde ich es, wenn führende Personen der Regierungsparteien lauthals ein solches Verbot fordern. Es wäre besser, wenn man diese Energie für bessere Politik für unsere Bürgerinnen und Bürger einsetzen würde. Dann können die selbst entscheiden.

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