Streit der WocheWarum harte Strafen für Raser richtig sind – oder auch nicht

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Pling! Sollten Raser hart bestraft werden? Oder nicht?

  • Auf den roten Lichtblitz folgt einige Wochen später der Bußgeldbescheid, manchmal muss sogar der Führerschein abgegeben werden.
  • Die Strafen für Raser finden einige zu hart. So auch Stadtteilredaktionsleiterin Lioba Lepping.
  • Andere finden die harten Strafen angebracht. Zu ihnen zählt Wirtschafts-Redakteur Hendrik Geisler. Ein Pro und Contra

Pro: Wer die erlaubte Geschwindigkeit auf der Straße deutlich überschreitet, sollte nicht erwarten, dass irgendjemand Nachsicht zeigt. Wer innerhalb von Orten 21 km/h zu schnell fährt, ist bei erlaubten 50 km/h bereits 42 Prozent über dem zulässigen Wert. Wer mit 146 km/h auf der Autobahn unterwegs ist, fährt bei erlaubten 120 km/h immerhin fast 22 Prozent zu schnell. Das ist keine mäßige oder geringe Überschreitung, sondern eine im besten Fall fahrlässige Missachtung von Regeln, die einen zivilisierten Straßenverkehr erst ermöglichen. Sollte ein Mensch das Recht darauf haben, sanft bestraft zu werden, wenn er oder sie 22 oder 42 Prozent zu schnell fährt? Auf keinen Fall!

Ich habe deshalb kein Verständnis für jene, die rumjammern, dass sie künftig nicht mehr ohne die Gefahr eines Fahrverbots mit 80 durch die Stadt brettern können, wo 50 angezeigt ist, oder in Autobahn-Baustellen nur noch 105 fahren können, wenn 80 erlaubt sind. Zu hohe Geschwindigkeit gehört zu einer der häufigsten Unfallursachen auf deutschen Straßen. Begrenzungen hat sich der Gesetzgeber nicht ausgedacht, um Bürger zu gängeln oder ihnen den Fahrspaß zu verderben, sondern um Menschenleben zu schützen. Wer Fahrspaß sucht, soll sich auf einer Kartbahn austoben, nicht aber in der Öffentlichkeit.

Vorsicht und Rücksicht statt Nachsicht

Die Kritiker schärferer Strafen führen gerne an, dass aufgrund von Straßenarbeiten, Veranstaltungen oder anderer Umstände die erlaubte Geschwindigkeit auf einer Straße unangekündigt variieren kann. Sie fürchten, den Lappen abgeben zu müssen, weil sie auf einer 50er-Strecke wie immer 55 fahren und dort plötzlich nur noch 30 km/h erlaubt sind. Klar, die Gefahr besteht. Gefährdet sind jedoch vor allem jene Verkehrsteilnehmer, die wenig aufmerksam unterwegs sind und nicht auf ihre Umwelt achten. Sie lassen einen Grundsatz außer acht, der in Paragraf 1 der Straßenverkehrsordnung festgeschrieben ist: „Die Teilnahme am Straßenverkehr erfordert ständige Vorsicht und gegenseitige Rücksicht.“ Nachsicht ist daher nicht angebracht.

Viel zu viele Verkehrsteilnehmer fahren zudem bewusst gerade so schnell, dass sie im Zweifel mit einem Bußgeld davonkommen, aber ihren Führerschein noch behalten dürfen. Auch ich kenne das und habe mir als 18-Jähriger mit neuem Lappen immer wieder ausgerechnet, wie stark ich die Regeln ausreizen darf. Ich habe gejubelt, als endlich die Probezeit vorbei war und ich weitere zehn km/h drauflegen konnte. Was für ein kindisches Verhalten! Dabei hätte ich mir doch nicht einmal die Geldbuße leisten können, wäre ich oft erwischt worden. Wer die Grenze zwischen Bußgeld und Führerscheinverlust zum Maßstab des Fahrens macht, agiert ohne Rücksicht auf andere.

Jenen, die weiterhin meinen, es stehe ihnen zu, sich ihre Raserei erkaufen zu können, macht der Staat mit der neuen Straßenverkehrsordnung auch jetzt nur zum Teil einen Strich durch die Rechnung. Er bremst sie bloß ein wenig. Man kann schließlich auch heute noch deutlich zu schnell fahren, ohne gravierende Konsequenzen befürchten zu müssen. Die harmlos verschärften Regeln dürfen nicht wieder gelockert werden. Es gibt keinen Grund zum Einknicken vor der Autofahrerlobby, die Regeln lieber überschreitet, anstatt sie zu beachten.

Hendrik Geisler, 31, Wirtschaftsredakteur, fuhr den Wagen seiner Mutter auf einer Landstraße zu Schrott, als er gerade zwei Wochen den Führerschein besaß und zu schnell fuhr. Geblitzt wurde er erst einmal: Mit 42 bei erlaubten 30 km/h.

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Contra: Lappen weg bei 21 km/h Geschwindigkeitsüberschreitung innerorts, bei 26 km/h außerhalb – so regelt das der neue Bußgeldkatalog seit Ende April. Doch jetzt rudert Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) zurück. Gott sei Dank! Alle, die sich da über vermeintliche Rückgratlosigkeit echauffieren, sollten sich fragen, ob sie sich selbst klaglos damit zufrieden geben, ihren Kombi oder SUV mit der dreistelligen PS-Zahl auf Richtgeschwindigkeit zu drosseln.

Wer trotzig behauptet, dass er bei 130 km/h im Sportwagen maximales Fahrvergnügen empfindet, lügt sich in die Seitentasche seiner Mittelkonsole.

Straßenverkehrsapostel fordern ein beherztes Durchgreifen, doch nicht härtere Strafen sollten für ein flüssiges Vorwärtskommen sorgen, sondern stringentere Geschwindigkeitsregelungen. Auf meiner Heimatstrecke, die mich 120 Kilometer von Köln über die A3 bis kurz vor die holländische Grenze führt, gibt es derzeit schlanke sieben Baustellen. Bei Hilden, bei Duisburg, bei Oberhausen, um nur die markantesten zu nennen. Einige von ihnen stellen per Blitzer sicher, dass Autofahrer die gebotenen 80 km/h nicht überschreiten. Doch, was, wenn dort kaum Verkehr herrscht, wie zuletzt wegen Corona? Bremsen Sie dann gerne ab und zockeln auf freier Strecke gen Westen? Mir persönlich macht es keinen Spaß, mich sklavisch an Vorschriften zu halten, die zu gewissen Zeiten eben sinnlos sind. Blicken wir in die andere Richtung: Von Köln nach Frankfurt, auf einer Strecke von 180 Kilometern, gibt es 20 Geschwindigkeitseinschränkungen.

Freie Fahrt für freie Bürger? Ein Mythos

Wenn Sie keinen GPS-gesteuerten Bordcomputer besitzen, der Ihnen die gerade geltende Beschränkung ins Gaspedal funkt, haben Sie kaum eine Chance, die ständigen Wechsel zu parieren. Freie Fahrt für freie Bürger? Eh ein Mythos, nur rund die Hälfte aller in Deutschland zur Verfügung stehenden 25.690 Autobahnkilometer sind von Tempobeschränkungen befreit. Wenn Sie den jüngsten deutschen Autofahrerverein „Mobil in Deutschland“ fragen, sind es sogar nur zwei Prozent.

Natürlich müssen notorische Raser bestraft werden, aber ist es sinnvoll, bei nur mäßig zu schnell fahrenden Autonutzern abzukassieren, die eh schon per Kfz- und Mineralölsteuer ihren großzügigen Anteil am Steuereinkommen tragen? Politik und Zeitgeist fördern derzeit mit Macht den Zweiradverkehr. Besonders Autofahrer in der Innenstadt bekommen das zu spüren. Radler bekommen immer mehr Platz eingeräumt, doch schlüssige Verkehrskonzepte, die den Raum für alle gerecht aufteilen, fehlen.

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Bußgeld-Erhöhung ist da ein reiner Nebenkriegsschauplatz, genau wie die immer wieder aufpoppende Frage nach einem Tempolimit auf Autobahnen. Beides lenkt ab von den wirklich wichtigen Fragen: Wie wollen wir den Verkehr der Zukunft regeln? Vor allem in der Stadt. Wie können wir Autofahren tatsächlich unattraktiv machen in einer Weise, die allen nützt? Wie bekomme ich Pendler auf die Schiene?

Ob es sinnvoll ist, auf der Inneren Kanalstraße mal Tempo 70 und mal Tempo 50 zuzulassen, bleibt dahingestellt, hat aber mit Stringenz nichts zu tun. Positive Anreize, wie Geschwindigkeitsmesstafeln, die diejenigen mit einem Smiley belohnen, die nicht zu schnell fahren, kommen bei mündigen Bürgern jedenfalls deutlich besser an als der strafende Staat.

Lioba Lepping, 47, Leiterin der Stadtteilredaktion, liebt Autos und fährt grundsätzlich so schnell wie eben erlaubt ist. Ab und zu auch schneller. Vor allem im Urlaub in der Schweiz wird ihr das jährlich zum teuren Verhängnis

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