Inflation und KonsumVerbraucher müssen sparen – Einzelhändler bekommen es zu spüren

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Lebensmittel auf einem Kassenband.

Lebensmittel auf einem Kassenband.

Der Umsatz des Handels bricht nach realen Zahlen ein. Die Kunden achten stärker auf Preise und halten sich beim Shopping zurück.

Es geht um Zucker, Brot, Eier oder Pflanzenöl. Vieles ist deutlich teurer geworden. Was die Budgets von zahlreichen Haushalte enorm belastet. Die Folge: Der reale Umsatz in Einzelhandel mit Lebensmitteln ist laut Statistischem Bundesamt (Destatis) im März um 10,3 Prozent im Vergleich zum Vorjahr gefallen. Ein neuer Höchstwert.

Besonders Familien mit schmalem Einkommen leiden unter einem massiven Verlust ihrer Kaufkraft. Kurzfristig dürfte sich daran nichts ändern. Besserung ist im günstigsten Fall im übernächsten Jahr zu erwarten.

„Realer“ Umsatz bedeutet, dass die Wiesbadener Statistiker die Teuerung herausgerechnet haben, um Preise besser vergleichen zu können. Bei den minus 10,3 Prozent handele es sich, so die Behörde, „um den „stärksten Umsatzrückgang zum Vorjahresmonat seit Beginn der Zeitreihe“. Das war im Jahr 1994. „Eine Ursache für diesen Rückgang dürften die im März 2023 noch einmal deutlich gestiegenen Nahrungsmittelpreise sein“, heißt es weiter. Diese waren im dritten Monat um fast ein Viertel teurer als ein Jahr zuvor.

Plus von 70 Prozent beim Zuckerpreis

Auch zahlreiche Molkereiprodukte sowie Eier, Gemüse, Brot und andere Lebensmittel mit Getreide trieben die Preise im Supermarkt nach oben. Und bei Zucker war es sogar ein Plus von 70 Prozent. Letzteres hat damit zu tun, dass in Europa die Produktion schrumpft und für Importe aus Ländern wie Brasilien oder Thailand deutlich mehr gezahlt werden muss.

Die von Destatis errechnete Steigerung der Nahrungsmittelpreise ist fast dreimal so hoch wie die Gesamtteuerung. Nahrungsmittel haben damit die Rolle von Gas, Strom und Sprit übernommen, die voriges Jahr die Treiber für die Inflation waren. Insgesamt hielten sich die Verkäufe des gesamten Einzelhandels im März zwar nominal nur leicht im Minus, real lagen sie aber 8,6 Prozent unter dem Vorjahr. Die große Differenz macht deutlich, wie stark das Preisniveau binnen zwölf Monaten gestiegen ist.

„Der Rückgang der Einzelhandelsumsätze reflektiert die durch Energiepreisschock und hohe Inflation fallende Kaufkraft der Privathaushalte in Deutschland“, sagte Sebastian Dullien, wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung. Die realen Werte lägen nicht nur niedriger als in den Corona-Jahren, sondern auch spürbar unter dem Niveau vom Frühjahr des letzten Vorpandemie-Jahres 2019.

Reallöhne sind so stark gefallen wie noch nie

Dullien bezeichnet diese Entwicklung als bedenklich: „Hier ist davon auszugehen, dass besonders ärmere Familien, die ohnehin oft qualitativ schlechtere Nahrungsmittel kaufen, nun noch einmal weiter sparen“, sagt der Chef des gewerkschaftsnahen Forschungsinstituts. Er macht auf eine fatale Entwicklung aufmerksam: Nach Analysen des IMK waren seit Beginn des Anziehens der Inflation Anfang 2022 regelmäßig Familien mit geringen Einkommen stärker von der Inflation betroffen als Besserverdienende. Zumal die Reallöhne im vorigen Jahr um vier Prozent gefallen sind – ein historisch einmaliger Negativrekord. „Das schlägt sich derzeit im Privatkonsum nieder und ist verantwortlich dafür, dass sich die deutsche Wirtschaft zur Jahreswende 2022/2023 am Rand der Rezession bewegt hat und diese nur ganz knapp vermieden hat“, so Dullien.

Der Trend mit den teuren Nahrungsmitteln dürfte sich weiter fortsetzen. Destatis hat bereits weiter steigende Erzeugerpreise festgestellt. Dabei handelt es sich um die Summen, die die Hersteller gegenüber dem Handel durchsetzen können. Diese Preise machen sich – wenn auch abgemildert und verzögert - bei den Verbrauchern bemerkbar. Nach wie vor steht Zucker ganz oben auf der Rangliste. Aber auch Schweinefleisch oder verarbeitete Kartoffeln (Pommes) wurden im Großhandel teurer. Dazu passt die Gesamt-Inflationsrate, die nach vorläufigen Berechnungen von Destatis hierzulande im April zurückging, aber immer noch bei 7,2 Prozent lag – nach 7,4 Prozent im März.

EZB erhöht Zinsen regelmäßig wegen der steigenden Preise

In der Euro-Zone sind nach den Angaben des Statistikamts Eurostat vom Dienstag die Verbraucherpreise im April gegenüber dem Vorjahresmonat um sieben Prozent gestiegen. Auch das war für Volkswirte eine Überraschung, hatten viele doch mit einem weiteren Abklingen der Inflation gerechnet, die im März noch bei 6,9 Prozent lag. Auch hier waren Nahrungs- und Genussmittel der wichtigste Faktor. Aber die sogenannte Kernrate – Energie und Nahrungsmittel werden herausgerechnet – liegt mit 5,6 Prozent nach wie vor ebenfalls auf hohem Niveau. Die notwendige Folge: Die Europäische Zentralbank (EZB) wird quasi gezwungen, die Zinsen weiter zu erhöhen, was die gesamtwirtschaftliche Entwicklung zusätzlich neben dem schwachen Konsum bremsen könnte. Der EZB-Rat berät darüber am Donnerstag.

Aber der IMK-Chef kann zumindest eine positive Nachricht verkünden: In den kommenden Monaten würden sich die Kaufkraftverluste wieder zurückbilden. Dank stärker steigender Löhne sowie steuer- und abgabenfreier Inflationsausgleichsprämien – so wie neulich für den öffentlichen Dienst ausgehandelt. Dann könnte sich auch der private Konsum wieder allmählich erholen.

Doch auch hier gibt es ein Aber: „Aufgrund der Schwäche zum Jahresbeginn dürfte für das Gesamtjahr ein Minus von einem Prozent beim Privatkonsum übrig bleiben“, erläutert Dullien. Er erwartet, dass das Konsumniveau von 2019 frühestens 2025 wieder erreicht werden kann: „Der Energie- und Nahrungsmittelpreisschocks bedeutet damit ein halbes verlorenes Jahrzehnt für die deutschen Konsumentinnen und Konsumenten.“ (RND)

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