Italienische Fischer klagen anEU-Regel zu Mindestgröße von Venusmuscheln bedroht Fischer

2,5 Zentimeter – oder etwa kleiner? Venusmuscheln (Mitte) müssen dieses Mindestmaß haben.
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Rom – „Spaghetti alle vongole“ sind eines der beliebtesten Gerichte der italienischen Küche. Bisher stammen die Venusmuscheln dafür aus dem Mittelmeer, wo sie bevorzugt in den sandigen Böden der Adria leben. Italien ist größter Produzent der Weichtiere in Europa und zweitgrößter weltweit nach China. Doch die dortigen Muschelfischer sehen sich in ihrer Existenz bedroht. Schuld soll die Brüsseler Reglementierungswut sein.
In Italien gibt es 1600 in Kooperativen zusammengeschlossene Muschelfischer. Sie sammeln frei lebende Venusmuscheln, auf Italienisch vongole veraci und lupini. Diese finden sich in sandigen Meeresböden, vor allem in der Adria. Die Fischer fangen pro Jahr rund 20 000 Tonnen.
Daneben gibt es rund 230 Muschelzuchten mit 3000 Mitarbeitern, die eine von den Philippinen stammende Art kultivieren, die größer wird als die heimischen. Die meisten Anlagen gibt es in der Region Venetien. Die Zuchtmuscheln sind billiger, haben aber auch eine geschmacklich geringere Qualität. Die Produktion liegt bei 40 000 Tonnen jährlich.
Knapp 100 Millionen Euro Jahresumsatz erzielt die Muschelbranche in Italien. Das bedeutet weltweit Platz 2 hinter China.
Es geht dabei um Millimeter: Laut EU-Vorschrift ist es strafbar, frei lebende Venusmuscheln mit einem Durchmesser von weniger als 2,5 Zentimeter aus dem Meer zu holen. Das soll ihre Fortpflanzung und den Bestand sichern. Doch kaum eine Muschel erreiche noch diese Größe, klagen die Fischer in den Fanggebieten von Chioggia nahe Venedig über Rimini bis ins süditalienische Brindisi. „Sie werden im Schnitt 2,2 Zentimeter groß, dann hören sie auf zu wachsen und sterben ab“, sagt Stefano Cecchini, Chef der Fischerei-Kooperative von Cattolica.
Viele der rund 700 Hydraulikbagger-Boote, die die Schalentiere aus dem Sandboden saugen, führen gar nicht mehr aufs Meer. Die anderen kommen fast leer zurück. „Wenn nicht sofort etwas passiert, dann ist unsere heimische Venusmuschel, die beste und zarteste aller Meere, bald nur noch eine Erinnerung“, sagte Cecchini.
Muscheln ertragen veränderten Lebensraum schlecht
Dass die frei lebenden Muscheln nicht mehr so groß werden wie früher, liegt unter anderem daran, dass Italiens längster Fluss, der Po, seit zwei Jahren deutlich mehr Süßwasser als früher in die Adria bringt. Der Salzgehalt des Meeres ist gesunken. Die Muscheln könnten das nur kurze Zeit ertragen, erklärt der Biologe Attilio Rinaldi vom Meeresforschungsinstitut der Region Emiglia Romagna. Dann drosseln sie Ernährung und Wachstum und werden anfällig für tödliche Bakterien.
Rinaldi sagt, die Po-Fluten seien eine vorübergehende klimatische Anomalie. Doch laut Welternährungsorganisation FAO setzen den Muscheln auch andere Faktoren zu. So ist der Sauerstoffgehalt des Wassers in vielen Adria-Lagunen zu niedrig. Verschmutzung könnte eine Rolle spielen. Tatsache ist, dass die Muschelfischer seit Jahren immer geringere Erträge haben. Sammelte ein Boot in den 80er Jahren noch mehrere hundert Kilogramm Muscheln täglich, sind es heute nur 20 oder 30 Kilo.
Harte Strafen bei Verstößen
Die verzweifelten Fischer richten ihren Zorn gegen Brüssel und die Muschel-Mindestgröße. Zwar gilt sie in Italien schon seit den 60er Jahren und wurde von der EU nur übernommen. Doch 2010 trat ein Zusatz in Kraft, wonach sich jeder Fischer oder Händler, bei dem sich unter Tausenden Venusmuscheln auch nur eine einzige findet, die kleiner als 2,5 Zentimeter ist, strafbar macht. Bis zu 4000 Euro werden fällig, und nach drei Verstößen droht der Lizenzentzug. Zwar sortieren Maschinen jeden Fang mehrfach, aber es komme immer mal vor, dass eine zu kleine durchrutscht, argumentiert der Fischereiverband Federcoopesca. Früher hatte eine Toleranzquote von zehn Prozent gegolten.
Seit Monaten organisieren die Fischer überall an der Adriaküste Protestaktionen. Sie fordern von der EU, die Mindestgröße zu senken. Schließlich sei eine Muschel schon ab zwei Zentimeter Durchmesser erwachsen und fortpflanzungsfähig, sagt Marco Boscolo.