Am Kaffee verbranntDürfen wir Firmen bald dreist verklagen?

Verbrüht am heißen McDonald's-Kaffee: Opfer Stella Liebeck wurden 1992 zunächst 2,7 Millionen US-Dollar zugesprochen, der Richter verringerte die Summe später auf 640.000 Dollar. Solche Klagen sollen hierzulande aber nicht möglich werden.
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Die 80-jährige Stella Liebeck bestellte einen Becher Kaffee bei McDonald's - und schüttete sich diesen auf den Schoß. Sie erlitt Verbrühungen dritten Grades, musste ins Krankenhaus - und erhielt nach einer Klage 640.000 Dollar von McDonald's. In Deutschland bzw. Europa ist ein solcher Fall noch undenkbar: „Bislang sind die Hürden für Verbraucher viel zu hoch, um ihre Rechte, insbesondere Schadenersatzansprüche, durchzusetzen“, sagt Gerd Billen, Vorstand des Verbraucherzentrale Bundesverbands (vzbv).
Häufig ist der Streitwert hierzulande gering, ein Anwalt teuer - und der Prozess kann lange dauern. Verbraucherverbände fordern deswegen seit langem Muster- und Sammelklagen wie in den USA. Dort haben sogar Betroffene, die nicht selbst geklagt haben, Anspruch auf Schadenersatz - sofern die Kläger gewinnen. Für ein Unternehmen kann das teuer werden.
Immerhin will es die EU-Kommission Bürgern künftig leichter machen, gemeinsam gegen Unternehmen vor Gericht zu ziehen. Doch was genau ist geplant? Und dürfen Verbraucher bald auch auf Millionen-Schadenersatz hoffen? Wir haben die Antworten zusammengestellt:
Was kann ein geschädigter Verbraucher bisher tun?
Er muss vor Gericht gegen das Unternehmen klagen. In Deutschland macht dabei jeder Bürger seinen Anspruch individuell geltend. In einigen Fällen können Verbraucher aber gemeinsam vorgehen: Zum Beispiel, wenn geprellte Fonds-Anleger Interessengemeinschaften bilden oder Anlegerschutzvereine klagen.
Was ist eine „Kollektivklage“?
Hierbei schließt sich eine größere Zahl von Geschädigten in einem Prozess zusammen, um gleiche Interessen durchzusetzen. Es gibt zwei Arten von Kollektivklagen: Bei der Gruppenklage (Sammelklage) gilt das Urteil für alle Beteiligten. Ein Beispiel ist die Klage von NS-Zwangsarbeitern gegen deutsche Konzerne. Besonderheiten jedes einzelnen Falls werden dabei nicht berücksichtigt. Bei der Verbandsklage machen Verbände oder Interessenvereinigungen Ansprüche geltend, etwa im Natur- oder Umweltschutz. Verbandsklagen gibt es auch in Deutschland.
Was plant die EU-Kommission?
Sie will, dass alle EU-Staaten kollektive Rechtsschutzverfahren zulassen sollen. Und zwar in den Bereichen:
- Wettbewerb
- Verbraucher
- Umweltschutz und
- Finanzdienstleistungen.
Also dort, wo das EU-Recht den Bürgern bestimmte Rechte garantiert. Sammelklagen nach US-Vorbild empfiehlt Brüssel aber ausdrücklich nicht.
Was wird sich für uns ändern?
Gar nicht so viel. In Deutschland kennt man bisher keine Sammelklagen. Auch sollen sich Schadenersatz-Urteile in Europa weiter an dem tatsächlich entstandenen Verlust orientieren. Abschreckende höhere Strafen soll es nicht geben. Außerdem sollen Anwälte keine erfolgsabhängigen Honorare kassieren.
In den USA können Geschädigte sogar stellvertretend für andere Opfer klagen. Aber jeder Betroffene darf dort auch auf eigene Faust vor Gericht ziehen (sog. „opt-out“). In Europa soll sich eine Klagepartei grundsätzlich nur bilden dürfen, wenn die einzelnen Mitglieder ausdrücklich zustimmen.
Also keine Millionen-Klagen wie in den USA?
Astronomische Summen, wie sie in den USA üblich sind, sind hier nicht zu erwarten. „Die Gefahr von mutwilliger Prozessiererei und Klagemissbrauch wird vermieden“, sagt EU-Justizkommissarin Viviane Reding. Verbraucherschützer kritisieren dies als zu industriefreundlich.
Was ist, wenn Firmen überzogene Preise fordern?
Dann sollen EU-Bürger und kleine Firmen es künftig leichter haben, vor Gericht Entschädigung einzuklagen. Die EU-Kommission will ihnen mehr Rechte geben, etwa Akteneinsicht und Anspruch auf Offenlegung durch das Unternehmen. „Hindernisse und Rechtsunsicherheit müssen beseitigt werden“, sagt EU-Wettbewerbskommissar Joaquín Almunia. Hat etwa ein Hersteller von Flachbildschirmen zu hohe Preise verlangt, kann jeder Käufer die zuviel gezahlte Summe zurückverlangen. Zum Beispiel mit Hilfe einer Gruppenklage.
Wie geht es weiter?
Die EU-Staaten haben zwei Jahre Zeit, die Empfehlungen zum kollektiven Rechtsschutz umzusetzen. Doch letztlich müssen die EU-Staaten dem nicht folgen, da die Vorschläge unverbindlich sind. Ein EU-Diplomat sagt: „Die EU-Staaten können machen, was sie wollen.“ (mit Material von dpa)
Fälle aus den USA: In unserer Bildergalerie haben wir die absurdesten Schadenersatz-Klagen gesammelt: