Smart FarmingWenn der Kuhstall sich selbst organisiert

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Drohne über Felder

Eine Drohne fliegt über einem Maisfeld

  • Automaten melken Kühe, Drohnen überwachen Weiden, und der Traktor fährt bald ohne Bauer: Die digitale Revolution wird auch die Landwirtschaft verändern.
  • Was bedeutet das für die Bauern, Tiere und Felder in Deutschland?
  • Wir haben recherchiert.

Auf den ersten Blick ist es einfach nur eine gigantische Maschine: Vier Meter hoch ist der Mähdrescher und zehn Meter lang, und wer auf der Leiter zur Fahrerkabine steht, sollte schwindelfrei sein. Was dieses Gerät aber wirklich besonders macht, ist ihm nicht anzusehen. Zum Leidwesen von Stefan Böttinger.

Der Professor steht in der Maschinenhalle des Instituts für Argrartechnik an der Universität Hohenheim in Stuttgart und schaut zu seinem Forschungsobjekt auf. Groß, schnell und schlau sei die Landmaschine, sagt der Ingenieur stolz. 14 Computer arbeiten in ihr. Damit kann sie die Welt nicht revolutionieren. Aber im Rahmen der Möglichkeiten optimieren.

Mit Hilfe von technischen Daten gezielt düngen

Zum Beispiel, indem Maschinen wie diese dem Landwirt dabei helfen, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Wie viel wurde geerntet? Wie viele Nährstoffe dadurch dem Boden entzogen? Wie optimiere ich den Kraftstoffverbrauch? Wie viel Dünger brauchen Boden und Pflanzen?

Dazu werden Bodenproben entnommen, untersucht und über den Monitor Empfehlungen gegeben oder gleich die entsprechenden Befehle an den Düngerstreuer weitergegeben. So kann gezielt und sparsam gedüngt und der Energie- und somit CO2-Verbrauch auf das Minimum reduziert werden. Das hilft auch der Umwelt. Denn ein überdüngter Boden schadet den darin lebenden Organismen, dem Grundwasser und damit letztlich auch den angebauten Pflanzen.

Weil der Einsatz von Dünger und Spritzmitteln mit einer Software dokumentiert wird, kann der Landwirt die eingesetzte Düngermenge nicht nur genauer dosieren, sondern auch einfacher nachweisen. Die Landwirte der Zukunft müssen sich nicht mehr nur gut mit Pflanzen, Tieren und Maschinen auskennen, sondern auch mit Computern und Robotern.

Kühe lassen sich melken, wenn es ihnen passt

Schon jetzt werden Kühe nicht mehr von Hand, sondern von Melkmaschinen gemolken, die sie aufsuchen können, wann es ihnen passt. „Smart farming“ heißt der Einsatz von modernen Technologien in der Landwirtschaft. Der Professor weiß: Wer Maschinen wie den Mähdrescher in der Maschinenhalle der Uni Hohenheim sieht, denkt an riesige Felder wie in den USA. An Monokulturen, Überdüngung, gespritzte Pflanzen, Böden, die von den schweren Maschinen verdichtet werden.

Beispiele für Smart Farming

Drohnen: Drohnen helfen dem Landwirt, einen Überblick über seine Felder zu bekommen, sie zu vermessen und die Entwicklung seiner Pflanzen zu überwachen.

Autonome Roboter: Der „Phoenix“, ein 500 Kilo schwerer Raupenroboter, könnte bereits genutzt werden, sagt Reiser. Es müsse sich nur jemand finden, der sie vermarktet. Der autonome Roboter kann Unkraut entfernen, säen, das Feld erkunden und Dinge transportieren. Bodenproben nehmen Ein Gerät dieser Art, das punktuell Körner säen kann, ist bereits auf dem Markt: Xaver von Fendt.

Abkalbsensor: Kann die Kuh den Landwirt per SMS zur Kalbsgeburt rufen? Mithilfe der richtigen Technik schon. Dafür wird beispielsweise ein Gerät wird am Schwanz der Kuh befestigt. Die Bewegungen des Schwanzes weisen auf Wehen hin. Das Gerät registriert die Schwanzbewegungen, die auf Wehenschmerz hinweisen, und meldet es dem Landwirt über eine App. Der weiß so, wenn die Geburt eines Kalbes bevorsteht und kann zur Hilfe eilen.

Gesundheitsmonitoring: Halsbänder oder Sensoren am Ohr der Kuh erkennen, wann das Tier brünstig ist. Sie messen außerdem Fress- und Widerkäu-Aktivität und lassen so Schlüsse zu, ob das Tier gesund ist. Pedimeter erfassen, ob und wie viel sich ein Tier bewegt und ob es eventuell lahmt. Eine Auswertungssoftware stellt die Daten für jedes einzelne Tier dar.

Ortung: In einem großen Stall kann ein Landwirt schon mal den Überblick verlieren. Die Lösung: Bänder an den Kühen senden GPS-Signale aus. Der Landwirt wird dann per App zu dem Tier, das er aufsuchen möchte, navigiert.

Augmented Reality im Stall: Ist das virtuell oder real? Beides! Verschiedene Systeme bieten dem Landwirt so etwas wie eine elektronische Stallkarte: Er geht mit dem Tablet in den Stall und betrachtet seine Tiere über den Bildschirm. Darauf sieht er, welche Kuh wo steht. Außerdem werden ihm dort die von Sensoren gesammelten Daten etwa zu Gesundheit und Fruchtbarkeit und Aufgabenlisten angezeigt.

Virtual Fencing: Zäune waren gestern. Per “virtual fencing“ kann ein Tier, zum Beispiel ein Rind auf der Alm, per GPS geortet werden und erhält zur Lenkung akustische und andere Reize.

Stallklimasensoren: Die richtige Belüftung und Temperatur ist ein wichtiges Thema in großen Ställen. Ist es zu heiß oder der CO2-Wert zu hoch, geht es den Tieren schlecht. Sensoren können die Werte erfassen und automatisch für Zuluft oder Kühlung sorgen.

Einstreuroboter: Zeit und Geld sparen können Einstreuroboter, die nicht flächendeckend neu einstreuen, wenn nur eine Ecke feucht ist, sondern Mistbereiche gezielt anvisieren.

Dabei weiß doch jeder, dass die heilbringende Agrarwende zurückgehen muss zu kleineren Betrieben, zur natürlichen Bewirtschaftung, zu Permakultur, am besten zu Pferdepflügen. Für Umwelt und Klima wäre das sicherlich besser, es hapert aber an der Wirtschaftlichkeit, Praktikabilität und damit an der Umsetzung. Landwirte müssen Geld verdienen. „Alles, was Extras für die Umwelt sind, sind Leistungen für die Gesellschaft und die müssen deshalb über Agrarsubventionen finanziert werden“, sagt Böttinger.

Das Problem dabei: Die EU koppelt die Höhe von Agrarsubventionen an die Größe der Betriebe. Kleine Felder und Höfe rechnen sich ohnehin kaum noch in einer Zeit, in der alles mehr, billiger und schneller sein muss. Können uns intelligente Maschinen dabei helfen, die Anforderungen der Zukunft zu meistern?

Smarte Maschinen sollen Fehlentscheidungen von Bauern verhindern

Stefan Böttinger glaubt daran. „Landwirte kennen ihre Felder. Sie wissen, was wo wächst und was die Pflanzen brauchen“, sagt Böttinger. „Bei großen Betrieben, wie wir sie heute häufig haben, kann der Landwirt das alles aber gar nicht mehr so einfach überblicken.“ An dieser Stelle helfen smarte Maschinen, um Fehlentscheidungen der Landwirte zu verhindern, die auch die Umwelt belasten können.

Noch sind solche Maschinen allerdings eine Investition, die sich kaum ein Landwirt leisten kann. Der Mähdrescher der Uni Hohenheim kostet rund eine halbe Million Euro. Die hohen Anschaffungskosten sind auch der Grund, warum viele Innovationen der Agrartechnik bislang nur als Prototypen existieren. Obwohl der smarte Mähdrescher seit 20 Jahren in der Entwicklung ist, ist erst ein kleiner Teil der Technik auch in der Praxis angekommen. Wer das High-Tech-Gerät bedienen möchte, braucht außerdem zunächst eine spezielle Fahrerschulung. In der Fahrerkabine steckt ein Cockpit, das Ehrfurcht gebietet: Monitore, unzählige Schalter und Knöpfe, ein Sitz, der sich automatisch dem Gewicht des Fahrers anpasst.

Beim neuesten Traktor, der ebenfalls riesig in der Maschinenhalle steht, arbeitet Böttingers Team derzeit daran, dass der Landwirt während der Feldarbeit von der Fahrerkabine aus Büroarbeit erledigen kann. Dank der intelligenten Maschinen hat er schließlich mehr Zeit. Kein Betrieb würde so viel Geld ausgeben, allein um der Umwelt zu helfen. Weniger Aufwand, mehr Ernte – das sind Argumente, die dafür sorgen, dass sich Maschinen wie diese vielleicht irgendwann durchsetzen.

Unkrautvernichtung ohne Gift

Weniger beeindruckend in der Größe, dafür auf den ersten Blick ziemlich smart sehen die Roboter aus, die ebenfalls in der Maschinenhalle stehen. Zwischen Schrauben und Kartons sind die Gefährte aufgebaut, die möglicherweise einmal die Felder der Zukunft beackern – und zwar völlig autonom. Das größte sieht aus wie ein Mini-Traktor, das kleinste kann Ingenieur David Reiser auf einer Hand balancieren. Ihre Einsatzmöglichkeiten sind vielfältig, erklärt der Ingenieur der Agrartechnik: Zum Beispiel könnten sie zur mechanischen Unkraut- und Schädlingsvernichtung eingesetzt werden.

Auf diese Weise könnte auf Gift verzichtet werden. „Als Landwirt ohne Spritzmittel zu arbeiten, ist sehr, sehr viel Arbeit“, erklärt Reiser, der diese kleinen, intelligenten Maschinen an der Uni betreut. „Mit so einer Maschine könnte ich so arbeiten, wie es im ökologischen Landbau gemacht wird, aber viel effizienter.“ Theoretisch kann so ein kleiner Roboter 24 Stunden am Tag auf der Suche nach Unkrautpflanzen übers Feld fahren. Findet er ein unerwünschtes Kraut, kann er es mechanisch entfernen oder genau den einen Tropfen Unkrautmittel ausbringen, der nötig ist. „Precision farming“, Präzisionslandwirtschaft, nennt sich das.

Sicherheit der maschinen ist großes Problem von smart farming

„Vielleicht gelingt es uns, mit kleinen autonomen Fahrzeugen die Strukturen der großen landwirtschaftlichen Betriebe zu verändern“, sagt Stefan Böttinger. Denkbar wären zum Beispiel kleinere Felder mit Hecken und Blühstreifen, die Insekten und Vögeln zugute kämen. Noch ist das für große Betriebe eher unpraktikabel, weil große Landmaschinen Platz brauchen. Außerdem belasten und verdichten kleine Gefährte den Boden viel weniger, als es große, schwere Maschinen tun. Ein großes Problem stellt derzeit allerdings noch die Sicherheit der Maschinen dar. Unfälle von unbeaufsichtigten Maschinen mit Menschen müssen schließlich ausgeschlossen werden.

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Die Tierärztin Anita Idel und die Agrarwissenschaftlerin Andrea Beste warnen in ihrer Studie „Vom Mythos der klimasmarten Landwirtschaft – oder warum weniger vom Schlechten nicht gut ist“ jedoch vor „Technikgläubigkeit“. Im Auftrag des grünen Europa-Abgeordneten Martin Häusling haben sie den Zusammenhang von Klimawandel und Landwirtschaft untersucht. Präzisionslandwirtschaft setze auf einen effizienteren Stickstoffdüngereinsatz und könne auf diese Weise Treibhausgas-Emissionen einsparen, räumen sie ein.

Dies sei aber kein Ersatz für eine ausgewogene Pflanzenernährung. Das Gleichgewicht des Bodens müsse nachhaltig geschützt werden. Allein der Einsatz moderner Maschinen könne die Landwirtschaft nicht besser machen. Idel und Beste betonen, dass es nicht Aufgabe der Landwirte sei, Treibhausgase einzufangen. Wichtiger sei es, die richtigen Anbauverfahren zu entwickeln – und Landwirte finanziell zu unterstützen, damit sie die richtige Richtung einschlagen.

Smart farming kann Landwirtschaft ökologischer machen

Smart farming, betont auch Stefan Böttinger, sei nur ein Werkzeug. Es käme darauf an, wie es eingesetzt wird. „Richtig angewandt kann es einem Landwirt helfen, seine intensive Landwirtschaft schonender zu betreiben.“ Genauso könne es ökologisch wirtschaftenden Bauern dabei helfen, ökonomischer zu arbeiten.

Wer es aber dazu benutzen will, nur noch mehr aus seinem Boden herauszuholen, der schafft auch das. Böttinger ist überzeugt davon, dass mit Hilfe von noch besserer Technik in Zukunft Flächen sowohl ökologischer als auch ökonomischer bewirtschaftet werden können.

Klima im Kuhstall über Computer überprüfen

Eva Gallmann, Professorin der Uni Hohenheim, beschäftigt sich mit Smart farming in Tierhaltungssystemen. Ihre Rinder stehen rund 40 Minuten von der Universität in einem Stall. Eva Gallmann aber kann sie wann immer sie möchte an ihrem Computerbildschirm verfolgen. Wo befinden sie sich im Stall? Sind sie aktiv? Fressen sie? Mit Schrittzählern und Bewegungssensoren werden diese Daten übermittelt. Auch das Stallklima lässt sich auf diese Weise fernüberwachen.

„Die Vision ist, irgendwann einen Stall zu haben, der sich selbst organisiert“, sagt die Professorin. Tierwohl und wirtschaftliche Interessen gehen dabei Hand-in-Hand. Der Landwirt kann anhand der Daten früh feststellen, wenn ein Tier gesundheitliche Probleme hat und Hilfe braucht. So kann auch der Einsatz von Medikamenten reduziert werden. „Man kann die Tierhaltung nicht mit einem Fingerschnips revolutionieren“, sagt sie. „Aber wäre es nicht schon ein Fortschritt, wenn es vielen Schweinen etwas besser ginge?“Solange der Fleischkonsum und der Fleischpreis unverändert bleiben, vermutlich schon.

Landwirtschaft ist in digitaler Welt angekommen

Eva Gallmann forscht an „smarten Wegen für Tierwohlsysteme“ für Landwirte, die ihr Schweinefleisch mit dem Tierschutzlabel des Deutschen Tierschutzbunds verkaufen möchten. Das Projekt ist vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft gefördert. Für die Schweine bedeutet das Label bessere Haltungsbedingungen. Für die Landwirte mehr Geld fürs Fleisch. Allerdings auch erstmal Investitionen, denn dafür sind in 90 Prozent der Fälle Umbaumaßnahmen fällig: Die Tiere sollen mehr Platz bekommen, der in in Komfortliege-, Aktivitäts-, Fress- und Kotbereiche unterteilt wird. Goldstandard für die Tiere ist das nicht.

Über den Mindeststandard geht es aber deutlich hinaus. „Ist es nicht schon viel wert, wenn es vielen Schweinen ein wenig besser geht?“, fragt Gallmann. Smart Farming kann den Landwirten Arbeit abnehmen und Kosten sparen. Zum Beispiel könnte ein automatischer Einstreuroboter nasse Stellen identifizieren und gezielt dort neue Streu einbringen. Auch für Beschäftigung kann automatisch gesorgt werden, indem etwa Häckselstroh in regelmäßigen Abständen von der Decke rieselt, anstatt dass es einmal am Tag einfach hingelegt wird. Solche Futterereignisse sind Lichtblicke für Stallschweine. „Den meisten Schweinen in unseren Ställen ist totlangweilig“, weiß Gallmann.

Auch die Landwirtschaft ist mittlerweile in der digitalen Welt angekommen. Sind es letztlich große, smarte Maschinen, die sich durchsetzen oder kleine, wendige Roboter und Drohnen? Oder beides? Momentan scheint vieles möglich. „Das ist wie ein Blick in die Glaskugel“, sagt Ingenieur Daniel Reiser und lacht. „Früher haben die Leute geglaubt, dass es im Jahr 2019 fliegende Autos geben wird. Haben wir nicht, aber dafür haben wir Smartphones und Computer. Ich kann mir aber gut vorstellen, dass Roboter die nächste Evolutionsstufe in der Landwirtschaft sein werden.“

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