Sparkassen-Präsident im Interview„Die EZB schädigt die deutschen Sparer“

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Sparkassenpräsident Michael Breuer

  • Michael Breuer, seit 2008 Präsident des Rheinischen Sparkassen- und Giroverbandes, kritisiert im Interview die Negativ-Zinspolitik der EZB.
  • Die niedrigen Zinsen führten zu einem dramatischen Wertewandel, sagt er.
  • Was das aus seiner Sicht für Unternehmen und Sparer noch bedeutet.

Herr Breuer, am Donnerstag tagt die EZB. Welche Auswirkungen befürchten Sie, wenn die Zinsen wie erwartet weiter gesenkt werden? Die Europäische Zentralbank (EZB), sorgt mit ihrer Geldpolitik für massive gesellschafts- und sozialpolitische Umbrüche, deren Folgen wir noch Jahrzehnte spüren werden. Es ist schon paradox, dass ausgerechnet eine Institution, die eigentlich die Geldwertstabilität garantieren soll, mit ihrer Geldpolitik die Inflation anheizen will.

Wie wirkt sich die Negativzinspolitik auf Ihre Kunden, die Sparer aus?

Der massivste gesellschaftspolitische Eingriff durch die EZB-Politik ist eine breite Umverteilung von Vermögen von unten nach oben. Die breite Masse der Kleinsparer erhält keine Zinsen mehr auf das Ersparte oder die Altersvorsorge. Die angestrebte Inflation von zwei Prozent nagt zusätzlich an der Kaufkraft des Ersparten. Und zusätzliche Negativzinsen, die jetzt drohen, führen zu weiterem Kaufkraftverlust.

Können Sie das konkretisieren?

Wer heute 10.000 Euro auf einem Sparkonto liegen hat, dem würde bis 2025 bei jährlich zwei Prozent Inflation und möglichen Negativzinsen ein Kaufkraftverlust von 1500 Euro entstehen. Das, was die EZB anstrebt, schädigt die deutschen Sparer.

Aber gerade Ihre Branche predigt doch seit Jahren, dass Aktien die Alternative sind…

Der Vorhalt, dass jeder, der sein Geld zurücklegen wolle, ja in alternative Anlageformen investieren könne, greift viel zu kurz. Die Kenntnisse und Kapazitäten, um an der Börse nachhaltig zu profitieren, haben Kleinsparer nicht. Währenddessen profitieren größere Vermögen überproportional. Professionell gemanagt, auf verschiedene Risikoklassen verteilt oder in Immobilien angelegt, wachsen sie beständig. Der durch die EZB-Politik angeheizte Immobilien- und Börsenboom sorgt zudem dafür, dass die ohnehin schon stark in Immobilien und Aktien investierten Besserverdiener ihr Vermögen ohne eigenes Zutun massiv erhöhen konnten.

Rendite bekommt man immer nur, wenn man Risiken eingeht, wo sehen Sie das Problem?

Um eine positive Rendite oberhalb der Inflationsrate zu erzielen ist es für die Anleger quasi unvermeidlich, Risiken einzugehen, insofern gebe ich Ihnen Recht. Doch vielfach fehlen den Sparern einfach aufgrund des überschaubaren Anlagevolumens die Diversifikationsmöglichkeiten. Problematisch ist vor allem, dass die Risikoprämie derzeit Haupttreiber ist, um überhaupt noch eine positive Rendite im festverzinslichen Anlagebereich erzielen zu können. Sicherheit wird damit bestraft, Risiko wird stattdessen belohnt.

Verband vertritt 29 Sparkassen im Rheinland

Michael Breuer ist seit dem Jahr 2008 Präsident des Rheinischen Sparkassen- und Giroverbandes mit Sitz in Düsseldorf.

Der gebürtige Brühler (Jahrgang 1965) ist Steuerberater, Wirtschaftsprüfer und war von 1995 bis 2007 Mitglieds des NRW-Landtages für die CDU. Von Juni 2005 bis Oktober 2007 war er zudem NRW-Minister für Bundes- und Europaangelegenheiten.

Der Rheinische Sparkassen- und Giroverband ist der Dachverband aller Sparkassen im Rheinland. Er wurde 1881 als Verband der Sparkassen in Rheinland und Westfalen gegründet. Der RSGV ist als Körperschaft des öffentlichen Rechts organisiert. Die angeschlossenen Sparkassen beschäftigen mehr als 28.000 Mitarbeiter und repräsentieren ein Geschäftsvolumen von rund 158 Milliarden Euro.

Die 29 Sparkassen im Rheinland sind Pflichtmitglied im Verband. Sie verfügen zusammen über 1180 Geschäftsstellen (davon über 336 SB-Geschäftsstellen) und 2515 Geldautomaten. (tb)

Werden die Sparer durch den Negativzins dazu erzogen, nicht mehr zu sparen?

Exakt so ist es. Dies ist ein dramatischer Paradigmenwechsel und Wertewandel. Volkswirtschaftliche Theorien und die jahrhundertelange Praxis basieren auf dem Grundsatz, dass derjenige, der Geld verleiht, also auf Liquidität oder Konsum verzichtet, mit einem Zins „entlohnt“ wird. Eine negative Verzinsung widerspricht diesem Grundsatz diametral. Weitsicht, Vorsorge und Konsumverzicht sind out und nicht erwünscht. Bald wird eine ganze Generation in der paradoxen Zinslandschaft, in der wir jetzt leben und weiter leben werden, aufgewachsen sein. Eine Generation, die den Wert von Vorsorge und Sparen nicht gelernt hat. Die bewusst aufgefordert wird, zu konsumieren. Die vielleicht nur noch von den Eltern weiß, dass Geld, das auf dem Sparbuch liegt, sich vermehrt. Dass es sich also lohnt, jetzt auf etwas zu verzichten, um sich später mehr leisten zu können. Die jungen Menschen verlieren den Grundgedanken des Sparens und lernen nur das Leben „auf Pump“.

Aber gesamtwirtschaftlich betrachtet stabilisiert Konsum doch die Konjunktur…

Die EZB will aber vor allem den unmittelbaren Konsum ankurbeln – auch Konsumentscheidungen, die ökonomisch überhaupt nicht erforderlich sind. Darauf reagieren – wie in einer Marktwirtschaft üblich – Unternehmen. Statt langfristige und nachhaltige Innovationen und Investitionen zu planen, begegnen diesen viele mit Kapazitätsausweitungen auf den kurzfristigen Konsum. Nachhaltig ist diese Politik schon gar nicht. Künstlich angeheizter Konsum bedeutet zusätzlichen, unnötigen Ressourcenverbrauch statt innovativer und nachhaltiger Konzepte.

Sie argumentieren also, der niedrige Zins schade Unternehmen?

Es besteht zumindest die Gefahr, dass Unternehmen künstlich am Leben gehalten werden, deren Strukturen oder Geschäftsmodelle nicht mehr zeitgemäß sind. Geringe Risikoaufschläge und somit ein geringer Zinssatz reduzieren die Zinslast, die sich die Unternehmen in einem „normalen“ Zinsumfeld ansonsten nicht leisten könnten. Durch die große Liquidität am Markt findet eine natürliche Selektion nicht oder nur noch unzureichend statt. Die Marktmechanismen sind außer Kraft gesetzt.

Was bedeutet das für Sparer?

Die Fokussierung auf das Hier und Jetzt lässt bei vielen die Vorsorge für das Alter aus dem Blick geraten. Doch wer heute nicht vorsorgt, dem fehlt im Alter die nötige Absicherung. Dies umso mehr, weil durch die EZB-Politik klassische Vorsorgeprodukte wie Lebens- und Rentenversicherungen stark unter Druck sind. Aufgrund des Zinsniveaus können prognostizierte Überschüsse nicht mehr erwirtschaftet werden. Leistungen fallen deshalb zum Renteneintritt deutlich geringer aus als vorher angenommen. Es entsteht eine zusätzliche Rentenlücke, die gerade durch den Abschluss einer privaten Altersvorsorge eigentlich geschlossen oder verringert werden sollte.

Ist Wohneigentum die Alternative?

Auch der Abschluss eines Bausparvertrages, um sich zukünftig den Traum eines Eigenheims erfüllen zu können, hat durch die aktuelle Zinssituation deutlich an Attraktivität verloren. Durch die Niedrigzinsphase gepaart mit der Entwicklung der Immobilienpreise, wird es zukünftig immer weniger „Normalverdienern“ möglich sein sich Wohneigentum anzuschaffen.

Doch warum erfolgt kein politisches Aufbegehren gegen die Politik der EZB?

Die größten Profiteure der EZB-Politik sind die Staaten, ja die gesamte öffentliche Hand. Inzwischen werden Staatsanleihen zu negativen Renditen begeben. Die EZB hat den Markt für sichere deutsche Staatsanleihen durch ihre Anleihekäufe derart leer gefegt, dass selbst bei einem Erwerb einer 30-jährigen Staatsanleihe eine negative Rendite erzielt wird. Wenn Staaten zur Endfälligkeit weniger tilgen müssen als den Betrag, den sie bei ihren Gläubigern aufgenommen haben, können Sie sich paradoxerweise mit neuen Schulden entschulden und noch teure Wahlversprechen einlösen. Die Hoffnung, durch den geldpolitischen Kurs neben der Konjunkturankurbelung auch eine Sanierung der Staatsfinanzen zu erreichen, ist zerstoben. Wenn es einfacher und günstiger ist, neue Schulden aufzunehmen statt unbequeme, aber sinnvolle Reformvorhaben durchzusetzen, kann und wird eine Sanierung maroder Staatshaushalte nicht gelingen. Die öffentliche Hand hat aufgrund dieser für sie so komfortablen Situation keinerlei Interesse, die Null- und Negativzinspolitik zurückzudrehen, selbst wenn dies zu Lasten künftiger Generationen geht.

Was würden Sie EZB-Chef Draghi sagen, wenn er an meiner Stelle hier säße?

Die Aussage von EZB-Chef Mario Draghi „whatever it takes“ hat eine fatale Unbegrenztheit der EZB-Möglichkeiten suggeriert. Doch alles Irdische ist begrenzt. Auch die EZB kann langfristig ökonomische Grundsätze nicht außer Kraft setzen. Das Wasser fließt nicht den Berg hinauf. Es muss hochgepumpt werden. Und wenn die Pumpkraft einst nachlässt, schießt es kräftig zurück. Es ist deshalb zu hoffen, dass die Grundsätze einer soliden und nachhaltigen Geldpolitik bald wieder die Oberhand gewinnen.

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