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Streik bei FordDas harte Ringen um die Zukunft einer Marke, die Köln so sehr geprägt hat

Lesezeit 8 Minuten
14.05.2025
Köln
Erster Streik (nach einer Urabstimmung) bei den Kölner Ford-Werken. Alle Schichten bis zum frühen Donnerstagmorgen werden bestreikt. Um 9 Uhr ist eine Infoveranstaltung der IG Metall am Tor 3 der Ford-Werke geplant. Bislang gab es bei Ford nur sogenannte Warnstreiks. 
Foto: Martina Goyert

Das Ford-Werkstor wurde von den Streikenden versperrt.

Am Mittwoch rollte in Köln kein Ford vom Band, erstmals in der langen Werksgeschichte wurde gestreikt. Wie es dazu kommen konnte.

Sie sind wie immer pünktlich und es sind viele, die am ersten Streiktag vor den Toren bei den Kölner Ford-Werken in Niehl und Merkenich stehen. Der sonnige Mai-Morgen könnte in keinem härteren Kontrast stehen zur Stimmung der Belegschaft bei Kölns größtem Arbeitgeber. Auf den Transparenten steht „Wir sind Ford“ und „wir stehen zusammen“. Die IG Metall hat Streikposten an den Werkstoren aufgestellt. Auf der Bühne spielt die Werks-Band „I'm still standing“ und „Wunder gibt es immer wieder“. Gewerkschaftsvertreter vom ebenfalls angeschlagenen VW-Konzern sind aus Solidarität mit der Ford-Belegschaft angereist.

1973 gab es einen „wilden“ Streik

Es ist nicht der erste Arbeitskampf in der fast hundertjährigen Geschichte des US-Konzerns in Deutschland. Vielleicht aber, mit Blick auf die Zukunft des Standortes, der entscheidende. Einen Streik einer Gewerkschaft gab es bei den Ford-Werken noch nie. 1973 war es zu einem „wilden“ – also nicht gewerkschaftlich organisierten – Ausstand von türkischen Mitarbeitern gekommen, die sich gegen die Entlassung von 300 Landsleuten und generell gegen Diskriminierung wehrten. Ihr Protest blieb damals ergebnislos, weder Betriebsrat noch Gewerkschaft unterstützten sie.

14.05.2025
Köln
Erster Streik (nach einer Urabstimmung) bei den Kölner Ford-Werken. Alle Schichten bis zum frühen Donnerstagmorgen werden bestreikt. Um 9 Uhr ist eine Infoveranstaltung der IG Metall am Tor 3 der Ford-Werke geplant. Bislang gab es bei Ford nur sogenannte Warnstreiks. 
Foto: Martina Goyert

Mitarbeiter haben das Ford-Logo zum Streik-Logo verfremdet.

Mit diesem lange zurückliegenden Arbeitskampf hat der aktuelle Streik nichts mehr zu tun. Für ihn hatte die IG Metall Anfang Mai eine Urabstimmung durchgeführt, die eine Streik-Zustimmung von 93,5 Prozent der bei Ford arbeitenden IG-Metall-Mitglieder ergab.

Von den aktuell etwa 11.500 Stellen will die Firma bis Ende 2027 2900 allein nur in Köln abbauen. Die IG Metall fordert eine Kurskorrektur und hohe Abfindungen für die Beschäftigten, die freiwillig gehen oder deren Jobs an andere Firmen ausgelagert werden. Betriebsbedingte Kündigungen sind bis 2032 ausgeschlossen.

14.05.2025
Köln
Erster Streik (nach einer Urabstimmung) bei den Kölner Ford-Werken. Alle Schichten bis zum frühen Donnerstagmorgen werden bestreikt. Um 9 Uhr ist eine Infoveranstaltung der IG Metall am Tor 3 der Ford-Werke geplant. Bislang gab es bei Ford nur sogenannte Warnstreiks. 
Stephan Brings auf der Bühne
Foto: Martina Goyert

Stephan Brings unterstützte die streikenden Fordler mit Musik.

„Die Arbeit ruht hier komplett“, sagt der IG-Metall-Sprecher bei Ford Köln, David Lüdtke. Die Arbeitsniederlegung betreffe den ganzen Standort – also Produktion, Entwicklung, Verwaltung und andere Bereiche. „Wir lassen niemanden rein.“ Am Donnerstagmorgen soll die Arbeitsniederlegung mit dem Ende der Nachtschicht vorbei sein.

Nach Einschätzung des Betriebsratschefs von Ford Deutschland und Europa, Benjamin Gruschka, erhöht sich der Druck auf den Arbeitgeber durch den Streik nun deutlich. „Das tut schon weh, das kostet ein paar Millionen heute“, sagt der Betriebsrat. Sollte sich das Management inhaltlich nicht bewegen, werde es weitere Ausstände geben. „Dann werden wir weitere Streiktage anlegen und dann tut es immer mehr weh.“

14.05.2025
Köln
Erster Streik (nach einer Urabstimmung) bei den Kölner Ford-Werken. Alle Schichten bis zum frühen Donnerstagmorgen werden bestreikt. Um 9 Uhr ist eine Infoveranstaltung der IG Metall am Tor 3 der Ford-Werke geplant. Bislang gab es bei Ford nur sogenannte Warnstreiks. 
Benjamin Gruschka, Ford-Betriebsratschef
Foto: Martina Goyert

Benjamin Gruschka, Vorsitzender des Ford-Betriebsrats

Derweil dürfte Ford-Geschäftsführer Marcus Wassenberg auf dem Gelände ziemlich allein in seinem Büro auf der Palisander-vertäfelten Chefetage sitzen. Nur der Wachdienst arbeitet, alles andere ruht – Stille. Wie mag sich das anfühlen? Und welchen Spielraum hat der Manager, der als Sanierer geholt wurde, nachdem die gesamte deutsche Geschäftsführung entmachtet worden war, in dieser schwierigen Lage. Was kann er, wie es im Verhandlungsjargon heißt, „am Tisch entscheiden“ – ohne Rückversicherung bei der US-Konzernzentrale in Dearborn? Die Fronten bleiben ohnehin vorerst verhärtet. Ein Angebot der Arbeitgeberseite von Dienstag habe kein Entgegenkommen in den zentralen Punkten der Konditionen für die Fordler ergeben, heißt es von Arbeitnehmerseite.

Vor den verriegelten Werkstoren in Niehl und Merkenich dagegen mischt sich an diesem Morgen Wut und Kampfgeist, aber auch tiefe Verunsicherung und fast schon ein Stück Wehmut. Dabei ist es noch nicht lange her, dass auf dem gesamten Areal völlige Aufbruchsstimmung herrschte. Die Zeichen des blauen Ovals standen in Köln auf Neuanfang und Wachstum.

2021 ist die Euphorie groß

Im Februar 2021 bekommt das Traditionswerk am Rhein den Zuschlag für das erste rein elektrische Modell von Ford auf dem europäischen Kontinent. Die Euphorie in der gesamten Belegschaft ist groß, Köln hatte sich gegen andere Werke durchsetzen können. Eine Milliarde Dollar will die US-Mutter am Standort investieren – die Zukunft scheint ein stückweit gesichert.

14.05.2025, Nordrhein-Westfalen, Köln: Ein Mitarbeiter trägt eine Jacke mit der Aufschrift „Wir bleiben Ford - Gemeinsam weiterkämpfen für Köln“ beim ersten Streik der Geschichte vor den Kölner Ford-Werken. Bei den Kölner Ford-Werken kommt es erstmals zu einem Streik. Die Protestaktion gegen einen geplanten Stellenabbau an dem Standort mit 11.500 Beschäftigten soll am Mittwochmorgen beginnen und bis zum Ende der Nachtschicht am Donnerstagmorgen dauern, wie die IG Metall mitteilte. Foto: Rolf Vennenbernd/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Ein Mitarbeiter trägt eine Jacke mit der Aufschrift „Wir bleiben Ford – Gemeinsam weiterkämpfen für Köln“.

Zeitgleich hatte die Corona-Pandemie da schon herbe Spuren hinterlassen – weltweite Lieferketten rissen, Computerchips waren nicht verfügbar und immer wieder musste die Produktion des von der Belegschaft geliebten Fiestas teils wochenlang unterbrochen werden. Allen Beteiligten ist allerdings auch klar, dass nur ein E-Modell nicht ausreicht, um das Werk richtig auszulasten und möglichst viele Jobs zu sichern. Denn batteriegetriebene Fahrzeuge brauchen grundsätzlich weniger Produktionsschritte und damit weniger Manpower. Umso größer die Erleichterung und Freude, als der US-Konzern im März 2022 verkündet, dass Köln auch den Zuschlag für das zweite europäische E-Modell bekommt und damit insgesamt zwei Milliarden investiert werden, um das Werk aus den 1930er Jahren komplett auf Stromer umzurüsten. Auch eine eigene Batterieproduktion soll es geben, um die beiden neuen Modelle vor Ort zu bestücken. Köln, so schien es, ist sicher und bestens für die Zukunft aufgestellt. Es gibt Lob und klare Bekenntnisse zum Standort aus den Chefetagen im amerikanischen Dearborn. „Diese Investition ist wirklich eine Ansage und sie sichert den Standort“, sagt auch Ford-Europa-Chef Stuart Rowley damals. Es kann also noch lange weitergehen im Kölner Norden am Rhein, so die Überzeugung.

Dass der Fiesta, das Kölner Herzensauto, den Aufbruch in die neue Zeit nicht überleben konnte, nimmt die Belegschaft mit leichtem Abschiedsschmerz hin. Auch, dass die neuen europäischen E-Fords auf der Plattform des Wolfsburger Rivalen Volkswagen gebaut werden, stößt zwar nicht überall im Werk auf Begeisterung. Aber der Schritt bleibt für die meisten Fordler damals noch weitestgehend nachvollziehbar.

Ford hat wie viele Autobauer weltweit lange nicht an eine Zukunft der Elektromobilität geglaubt und damit die Technologie auch nicht vorangetrieben. Wie die gesamte Branche, vor allem auch in Deutschland, wo der Verbrenner-Motor schließlich erfunden wurde, wurden die „Stromkisten“ lange nicht nur hinter verschlossenen Türen belächelt. Lieber den Otto-Motor sparsamer und effizienter machen, da wähnte man sich auf sicherem Terrain. Dann aber kam Tesla und machte batteriegetriebenes Fahren zum Lifestyle. Und auch in China, wo man jahrelang erfolglos versucht hatte, mit Verbrennern am Markt zu punkten, setzte man auf den neuen Antrieb – und als größter Automarkt der Welt die Hersteller unter Druck.

Als auch noch die europäische Politik, trotz millionenschwerer Lobby-Arbeit seitens der Autoindustrie, im Zuge des Klimaschutzes ein faktisches Verbrenner-Aus 2035 beschließt, muss auch Ford in Europa dringend handeln.

Schulterschluss zweier Erz-Rivalen

2019 schließlich kommt es zum Schulterschluss zweier Auto-Giganten und langjähriger Erz-Rivalen. Im Juli präsentieren in New York VW-Konzernchef Herbert Diess und der damalige Ford-Chef Jim Hackett ihre Zusammenarbeit. Kaum jemals zuvor haben Autokonzerne gut gehütetes Know-how in dieser weitreichenden Form ausgetauscht. Man schließt sich zusammen, um die enormen Kosten für Zukunftstechnologien gemeinsam zu stemmen. Und die Ford Motor Company hat entschieden, konsequent zu transformieren und geht „all in“ – setzt also in Europa alles auf die Elektro-Karte. Bis 2027/28 will der US-Konzern mit der E-Mobilität in Europa profitabel sein, so das ambitionierte Ziel.

dpatopbilder - 14.05.2025, Nordrhein-Westfalen, Köln: Mitarbeiter mit brennenden Fackeln stehen beim ersten Streik vor den Kölner Ford-Werken. Bei den Kölner Ford-Werken kommt es erstmals zu einem Streik. Die Protestaktion gegen einen geplanten Stellenabbau an dem Standort mit 11.500 Beschäftigten soll am Mittwochmorgen beginnen und bis zum Ende der Nachtschicht am Donnerstagmorgen dauern, wie die IG Metall mitteilte. Foto: Rolf Vennenbernd/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Mitarbeiter mit brennenden Fackeln stehen am frühen Mittwochmorgen beim ersten Streik vor den Kölner Ford-Werken.

Immerhin, die neuen Ford-Modelle auf VW-Basis werden von den Entwicklern in Köln-Merkenich konzipiert. Ein Ford aus Köln für Europa soll auch ein Ford bleiben. In kurzer Zeit – und noch mit all den Schwierigkeiten der Corona-Zeit – wird der Explorer entworfen – in Anlehnung an das ikonische US-Modell. Auch das zweite Modell, der Capri ist eine Neuinterpretation einer vergangenen Zeitgeist-Ikone.

Zeitgleich wird das Kölner Werk komplett auf   E-Mobilität umgerüstet. Es wird geplant und gebaut – nicht immer einfach innerhalb eines komplett bebauten Geländes. Neue Produktionsstraßen entstehen, Hallen werden abgerissen und nach neuem Standard wieder aufgebaut. Alles läuft nach Plan, in Köln entsteht eines der modernsten Auto-Werke weltweit und ist technologisch an vielen Stellen führend.

„Just in time“ sozusagen wird Mitte Juni 2023 das „Cologne Electric Vehicle Center“ eröffnet. Die Prominenz könnte bei so einem Anlass nicht größer sein. Neben dem damaligen Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) reist auch der Urenkel des Firmengründers Henry Ford, William Clay Ford Junior aus den USA an. „Fords Elektro-Zukunft geschieht hier“, so der damalige Deutschlandchef Martin Sander, der zuvor von Audi zu Ford an den Rhein gekommen war, voller Stolz.

Und dann – um das Bild zu bemühen – kommt der Motor ins Stottern. Der Start des Explorers verzögert sich wegen Batterie-Problemen um neun Monate. Ford verliert damit weiter Boden gegenüber den Wettbewerbern, die mit ihren E-Autos längst am Start sind und ihre Modelle schon weiterentwickeln. Monatelang steht die Produktion in Köln nach dem Aus des Fiestas still und der Konzern verdient nichts. Die Belegschaft will, aber kann nicht. Es werden Prototypen gebaut, trainiert und die Anlagen gewartet. Mit viel Verspätung geht es schließlich los, kurze Zeit später wird auch der Capri gelauncht und geht in Serien-Produktion – fast unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Man wolle erstmal ein Modell, nämlich den Explorer bewerben, heißt es vom Unternehmen.

Dann kappt die Ampel-Koalition die E-Auto-Förderung – auf dem Tisch harter Haushaltsverhandlungen. Die ohnehin nach wie vor teuren Stromer, auch von Ford, gerade erst angelaufen, brechen im Verkauf ein. Und auch in der EU wackelt plötzlich das Verbrenner-Aus. Die Käufer sind verunsichert. Doch lieber gewohntes Tanken mit nur einer Zahlkarte alle paar Meter, denken sich viele und kaufen wieder Verbrenner. Der E-Auto-Markt stockt.

Schließlich wirft auch Audi-Mann Martin Sander im vergangenen Jahr das Handtuch. Schockwellen in der Belegschaft, zumal auch kurze Zeit später die gesamte deutsche Führungsmannschaft entmachtet wird.

Das Nervenkostüm im amerikanischen Dearborn wird zunehmend dünner. Wie und wohin mit dem Pkw-Geschäft in Europa? Zur Wahrheit gehört leider, dass Ford mit Modellen wie dem Fiesta in der Vergangenheit kaum Geld verdient hat – dem Vernehmen nach pro Stück nur einen dreistelligen Euro-Betrag. So haben sich im Laufe der Zeit neun Milliarden Euro Schulden der Tochter bei der Mutter angehäuft.

14.05.2025
Köln
Erster Streik (nach einer Urabstimmung) bei den Kölner Ford-Werken. Alle Schichten bis zum frühen Donnerstagmorgen werden bestreikt. Um 9 Uhr ist eine Infoveranstaltung der IG Metall am Tor 3 der Ford-Werke geplant. Bislang gab es bei Ford nur sogenannte Warnstreiks. 
Foto: Martina Goyert

Die Mitarbeiter der Halle Y wollen um jeden Arbeitsplatz kämpfen.

Schließlich kündigt die US-Mutter vor einigen Wochen die Komplett-Bürgschaften für die Tochter auf. Zwar gibt es frisches Kapital und einen Business-Plan. Ob der aber funktioniert in der schwierigen Marktlage, ist fraglich. Die Gefahr einer Insolvenz, die Arbeitnehmervertreter für ein denkbares Szenario halten, würde alle Rechte und alle ausgehandelten Abfindungen auf einen Schlag zunichte machen.

Und wird bei der Mutter in den Vereinigten Staaten in Detroit, der US-Automobil-Kapitale, überhaupt noch gerechnet – so spitz der Stift auch mittlerweile sein mag – oder wurde eine schrittweise Abkehr vom europäischen Pkw-Markt längst beschlossen?

Am Rhein direkt am Sitz der Geschäftsführung steht immer noch der Satz von Henry Ford in einem Gedenkstein: „Und trotzdem vorwärts“.