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„Das strömt durch alle Gassen“Warum sich Köln nicht auf seinem Titel als Gaming-Hauptstadt ausruhen darf

6 min
Alexander Albrecht, Brille, Cap, dunkelblauer Pullover, steht mit verschränkten Armen vor dem Logo seiner Brand und lächelt.

Alexander Albrecht ist Kölner Gründer und E-Sport-Urgestein. Über zehn Jahre war er Teil der European Sports League (ESL). Mit dem Wissen berät er jetzt Unternehmen, die natürlicherweise nicht aus dem Gaming kommen, wie etwa SAP und Kitkat.

Alexander Albrecht ist Kölner E-Sport-Urgestein. Er warnt: Eine erfolgreiche Gaming-Vergangenheit in Köln ist nicht gleichbedeutend mit einer glorreichen Zukunft der Branche – die Gründe.

Herr Albrecht, die Bundesregierung hat der Gaming-Branche im Koalitionsvertrag steuerliche Anreize versprochen und direkte Zuschüsse bereits geltend gemacht, wie bei der Gamescom verkündet wurde. Warum ist das notwendig?

Alexander Albrecht: Gaming ist eine Milliardenbranche. Über 600 Milliarden Euro Umsatz prognostiziert man weltweit für 2030. Das ist eine absurd hohe Zahl. Warum sollte man nicht versuchen, auf diesen Zug aufzuspringen und Teile davon nach Deutschland zu holen?

Vielleicht, weil Gaming mit Daddelei und Zeitvertreib gleichgesetzt wird. Oder wie können Sie sich erklären, dass jahrelang keine planbare Förderung stattfand?

Es gab eine Generation an Politikern, die das Thema überhaupt nicht verstanden hat. Ich würde fast sagen, es herrschte jahrelang eine gewisse Kulturfeindlichkeit gegenüber Gaming. Das hat zu wenig konstruktiver Politik und Förderung geführt. Jetzt nimmt Deutschland an der Branche in großen Teilen nur als Konsument teil. Unsere Kinder spielen diese Spiele, wir verbringen sehr viel Zeit mit der Konsole. Aber ähnlich wie bei anderen digitalen Medien, Social Media oder Bezahlplattformen zum Beispiel, sind wir nicht der Entwickler dieser Technologien. Doch es braucht die gleichen Ingredienzien für Fortschritt, nämlich technologisches Know-how. Wenn du Gaming kannst, dann kannst du alles andere auch, Internetkabel legen, oder Codes schreiben. Denn es geht um Unterhaltung – die höchste Kunstform von etwas. Davon könnte man profitieren.


Alexander Albrecht, gebürtiger Kölner, ist gemeinsam mit Tobias Heim Geschäftsführer der 2016 gegründeten Gaming- und E-Sports-Agentur Build a Rocket, die globale Unternehmen wie SAP, Kitkat und Disney berät. Bei einem Umsatz im niedrigen zweistelligen Millionenbereich beschäftigt Albrecht im Hauptquartier in Ehrenfeld und an den Standorten in Barcelona, London, Paris, New York und Seoul 70 Mitarbeitende.

Alexander Albrecht bewegt Schachfiguren auf einem Schachbrett.

Die E-Sport-Agentur Build a Rocket entwickelt nicht nur Kreativkampagnen für andere Unternehmen. In diesem Jahr produzierten sie die TV-Übertragung und Internetstreams der Freestyle Chess Grand Slam Tour 2025 mit Schach-Größen wie Magnus Carlsen.

Tief im Kölner Gaming-Geschäft verwurzelt ist der 43-Jährige nicht erst seit Gründung seines eigenen Unternehmens. Anfang der 2000er Jahre war er am Aufbau der Electronic Sports League (ESL) beteiligt, einer der weltweit größten Veranstalter von E-Sport-Turnieren. Trotz ihres Verkaufs für eine Milliarde Euro nach Saudi-Arabien gilt die ESL noch immer als Aushängeschild des Kölner Gaming-Marktes, das vielen weiteren Marken und Entrepreneuren den Weg ebnete – so auch Build a Rocket. 


Was sind die Defizite auf dem deutschen Markt?

Wir haben es verpasst, ein attraktiver Standort zu sein. Die Kerbe heißt Digitalisierung. Warum werden die Spiele nicht bei uns entwickelt? Ganz einfach: Die Infrastruktur ist nicht da, die Arbeitsplätze sind nicht da, das Umfeld für Fachkräfte ist nicht so ansprechend wie in anderen Ländern. Gerade beim Gaming befinden wir uns in einem globalen Wettbewerb – anders als beim Film zum Beispiel, wo ein Tatort für deutsche Zuschauer produziert werden kann. Das geht bei Spielen nicht, wir bewegen uns auf internationalen Plattformen und sprechen ein internationales Publikum an. In Deutschland tun wir uns schwer, da mitzuhalten.

Auch in Köln? Wir sind doch schließlich selbst ernannte Gaming-Hochburg. Oder ist das nur Geprahle?

Ich glaube nicht, dass es nur dahingesagt ist. Mit Christoph Kohlhaas haben wir einen ehemaligen ESL-Mitarbeiter in der Wirtschaftsförderung, der dort gezielt Gaming-Themen in die Hand nehmen kann. Das passiert auf kleiner Flamme, weil die Budgets nicht in den Himmel wachsen. Aber zumindest haben wir einen Ansprechpartner in der Stadt. Es werden Runde Tische organisiert, es wird ein Förderverein gegründet. Wir merken, es geht voran, weil Leute nachkommen, die das Thema verstehen. Wir haben also viele Möglichkeiten und das Know-how einiger großer Player in der Region. Dass aber beispielsweise der Kölner Standort von Electronic Arts im Zollhafen sehr geschrumpft ist und es auch Ubisoft (französisches Unternehmen mit Sitz in Düsseldorf, Anm. d. Red.) in Summe nicht mehr so gut geht, wie noch vor ein paar Jahren, zeigt, dass wir uns darauf nicht ausruhen dürfen. Dass wir auf eine erfolgreiche Gaming-Vergangenheit in Köln zurückblicken, heißt nicht, dass wir auch eine große Zukunft vor uns haben.

Dass wir auf eine erfolgreiche Gaming-Vergangenheit in Köln zurückblicken, heißt nicht, dass wir auch eine große Zukunft vor uns haben.
Alexander Albrecht, Geschäftsführer von Build a Rocket

Aber wir haben die Gamescom, die weltgrößte Messe der Branche in Köln.

Das stimmt, sie ist das Zugpferd und eine unheimlich wichtige Institution in Köln. Aber auch eine Gamescom ist nicht gottgegeben. Das hat auch mit dem internationalen Wettbewerb zu tun. Wir merken, dass die Industrie ein Stück weit abwandert. Hinzu kommt, dass Gaming meistens nur einmal im Jahr in der Stadt wahrgenommen wird. Die Beflaggung ist dann immer ganz nett. Die hält eine Woche auf den Brücken. Ich würde mir aber wünschen, dass sie, zumindest in den Köpfen, das ganze Jahr über hält. Denn die Gamescom und die dahinterstehende Industrie, die passieren ja nicht nur einmal im Jahr eine Woche lang. Man bräuchte ein Mindset, das ständig auf diese Themen hinarbeitet.

Gibt es nicht wichtigere Dinge für die Stadt als eine Unterhaltungsindustrie zu fördern?

Das mag sein. Aber man will eben auch Medienstadt sein, man will weltoffen sein, man will wirtschaftlich vorankommen. Ich sage gerne „pick a lane and stick with it“ – entscheidet euch und bleibt dabei. Wenn wir damit werben, dass Gaming unsere Stärke ist, wenn wir an die Effekte glauben – Arbeitsplätze schaffen, Firmen und junge Menschen anziehen, langfristig in Infrastruktur investieren –, dann glaube ich, dass diese Themen ganz viel Momentum kreieren und weitere Investitionen freischalten können. Nur dann schaffen wir es, als Player in der Welt wahrgenommen zu werden. Diese Logik-Kette sehe ich dahinter. Es gab Zeiten, da hatten wir das Alleinstellungsmerkmal beim Thema Gaming bereits. Inzwischen haben wir uns von Berlin, München und an vielen Stellen auch von Hamburg aber den Rang ablaufen lassen.

Andere Städte haben Köln in Sachen Gaming den Rang abgelaufen

Inwiefern?

Gezielte Förderung für Start-ups und für Selbstständige, gezielt auch für Entwickler – da stehen zum Teil einfach andere Budgets zur Verfügung. Berlin zum Beispiel hat im Kulturbereich die Nase vorn und Computerspiele als Teil der Popkultur erkannt. Da stehen dann auch noch einmal andere Töpfe bereit. Und sie profitieren von der Start-up-Euphorie und davon, dass sich viele Talente dort angesiedelt haben. Dementsprechend steht auch mehr qualifiziertes Personal zur Verfügung. München ist einfach ein attraktiver Standort, wenn man sich die Firmen in der Gegend anguckt. Wo sitzen denn Apple und Google? Wo hat SAP Milliarden in Räumlichkeiten investiert? Ich weiß nicht, was die da unten mit ihrem Gewerbesatz machen, aber zumindest zieht es an. Allein die Fluganbindung ist besser.

Gibt es Faktoren, die die Branche trotzdem nach Köln ziehen?

Natürlich. Immer wenn ich mit Geschäftspartnern rede, ob aus Amerika oder Asien, loben die die tolle Umgebung, die tolle Energie in der Stadt. Gaming in dieser Woche hier zu erleben, das strömt durch alle Gassen, die ganze Stadt ist vereinnahmt davon.

Sie sehen also noch nicht schwarz für die Zukunft des Gaming-Standorts Köln?

Als geborener Kölner bin ich Optimist. Was ich mir wünsche, ist, dass wir der Gaming-Welt die Arme öffnen und sagen: Kommt zu uns, wir unterstützen euch dabei, die besten Spiele der Zukunft bei uns in Köln zu entwickeln. Durch ESL und die daraus entstandenen Gründungen und Fachkräfte, haben wir in Köln unfassbar gut ausgebildete Menschen, die schon seit 20 Jahren im Gaming- und E-Sports-Geschäft stecken. Die kann man mit Digital Natives zusammenbringen, um eine prosperierende und neue Generation an Gründern aufzubauen – nicht nur für das Thema Gaming, sondern auch, um beim Thema Digitalisierung einen Schritt nach vorne zu machen. Und dann kann in zehn Jahren gerne ein Spiel, das in Köln entwickelt wurde, auf der Gamescom zum Spiel des Jahres ausgezeichnet werden.