Besten Tank!Die letzten Tankwarte in Oregon: Ein Beruf stirbt aus

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Illustration:  Ein Tankstellenwart steht an einer Zapfsäule

Tankstellenwart: Ein Beruf stirbt aus

In Deutschland ist er bereits seit Jahren eine Rarität, jetzt geht dem Tankwart auch in den USA allmählich der Sprit aus: Oregon hat gerade als vorletzter Staat das Verbot zur Selbstbedienung an der Zapfsäule gekippt. War’s das mit dem einst so stolzen Tankwart? Über ein aussterbendes Berufsbild.

Der Text könnte aus der Mappe des Berufswahltags 1975 einer beliebigen deutschen Realschule stammen – tatsächlich findet er sich so auf der Internetseite des Bundeswirtschaftsministeriums. „Sie warten“, heißt es geradezu mahnend zum Anforderungsprofil, „nicht einfach nur auf tankende Kunden. Service rund ums Auto ist ihr Geschäft.“ Aber Vorsicht: „Manchmal kann es ganz schön hektisch zugehen.“ Da braucht es jemanden, der die Ruhe bewahrt, mit Umsicht agiert. „Denn auch für Tankstellenkunden gilt: Wer gut bedient wird, kommt wieder.“ Tankwart, ein Job für Vollprofis.

Auch im Jahr 2023 ist das weiterhin ein anerkannter Ausbildungsberuf. Ob sich aber auch nur ein einziger Interessent – seltener sind es in diesem Job Interessentinnen – vom ziemlich angestaubten Werbesprech des Ministeriums für eine Karriere als Kraftstoffsommelier begeistern lässt, ist fraglich. Denn der Tankwart steht eigentlich schon seit einer gefühlten Ewigkeit auf der Roten Liste der vom Aussterben bedrohten Berufe. Ein paar Hundert Exemplare dürfte es in Deutschland noch geben, aktuelle Statistiken sucht man vergebens. Kein gutes Zeichen für die Zukunft des Tankwarts.

Dieses Gesetz ist eine eindeutige Bevorzugung großer Ölkonzerne gegenüber den Interessen der Arbeitnehmer
Dan Clay, Gewerkschafter

Er ist vielmehr längst Vergangenheit, ein Anachronismus, den bleihaltigen Geist der alten Bonner Republik atmend, Kind einer Zeit, in der das sachgemäße Betanken nur Experten überlassen werden durfte. Das war bequemer, und, na klar, auch sicherer. Dass man gleichzeitig ohne Gurt und mit kapitalem Schwips – bis 1973 lag die Promillegrenze bei 1,5 – unbehelligt durch die Gegend kacheln durfte, tat dem selektiven Sicherheitsempfinden keinen Abbruch.

Längst gibt es eine Anschnallpflicht und die Pflicht zum annähernd klaren Kopf am Steuer, was selbstverständlich ein Zugewinn ist. Ein Verlust ist indes, dass mit dem Aufkommen der Selbstbedienungs-Zapfanlagen zu Beginn der 1970er-Jahre schrittweise der Tankwart aus dem öffentlichen Raum verdrängt wurde. Diese ikonische Figur im ölbefleckten Blaumann, den Tankrüssel stets griffbereit, hat dieser Nation etwas gegeben, das über einen vollen Tank hinausgeht. Sie hat die Kulturlandschaft Deutschlands bereichert.

Noch 1988, da war der Tankwart schon eine unter Druck geratene Spezies, hat sich der verkannte Dichterfürst der Neuen Deutschen Welle (NDW), Joachim Witt („Goldener Reiter“), zu einer Hommage hinreißen lassen. Keine, an die man sich aus musikästhetischer Sicht großartig erinnern müsste. Aber diese lyrische Prophetie war schon frappant: „Der Tankwart heißt Lou / Und hat noch Pläne.“ Ein Lied, gehalten in Moll, was ahnen lässt: Seine Pläne wird Lou hier nicht mehr lange verfolgen können. Lou muss weg. Vielleicht in die USA, wo der „gas station attendant“ noch etwas gilt.

Seit Anfang August darf man in Oregon selbst tanken

Aber auch dort hat er es mittlerweile schwer. Nicht etwa, weil ihn die E-Mobilität mit ihrer kalten, kontaktlosen Logik verdrängen würde. Der ambitionierte Plan, dass bis 2030 die Hälfte aller Neuwagen in den USA keine Verbrenner mehr sind, ist angesichts von rückläufigen Absatzzahlen und schlechter E-Infrastruktur kaum zu halten. Dem Tankwart, der in den Vereinigten Staaten also durchaus noch eine Perspektive besitzt, bricht dafür gerade eine seiner letzten Bastionen weg, in denen er gesetzlichen Schutz genossen hatte. Namentlich: Oregon. Und das ist vielleicht noch viel schmerzhafter.

Dort oben, im Nordwesten der USA, ist es nämlich seit Anfang August erlaubt, sein Auto selbst zu betanken. Wozu natürlich erst einmal erklärt werden muss, dass das eigenständige Betanken des Autos im Vier-Millionen-Einwohner-Bundesstaat seit 1951 strikt verboten war. Vor fünf Jahren wurde dieses Verbot für den ländlichen Raum bereits etwas gelockert. Jetzt fällt es nahezu komplett, ein entsprechendes Gesetz hat die demokratische Gouverneurin Tina Kotek unterzeichnet.

Die Zeitenwende an der Zapfsäule gefällt selbstredend nicht allen. „Dieses Gesetz“, wird Gewerkschaftsboss Dan Clay vom Sender CNN zitiert, „ist eine eindeutige Bevorzugung großer Ölkonzerne gegenüber den Interessen der Arbeitnehmer.“ Das ursprüngliche Verbot der Selbstbedienung hatte schließlich nicht nur mit der Sicherheit im Umgang mit brennbaren Flüssigkeiten zu tun, sondern auch mit dem Erhalt von Arbeitsplätzen.

Die stehen nun im Feuer, auch wenn es, wie das bei Gesetzen so ist, Einschränkungen gibt: In den 16 bevölkerungsreichsten Countys Oregons darf nicht mehr als die Hälfte der Zapfsäulen von der Kundschaft selbst bedient werden. Die Anwesenheit mindestens eines Tankwarts ist hier vorgeschrieben. Retten wird das den Berufsstand nicht, er ist ab sofort ein Auslaufmodell. No country for oil men.

Tankstelle in der Provinz gesichert

Das ist zwar schade für den Tankwart, gut aber fürs Portemonnaie der Konzerne. Doch auch für die motorisierten Bürgerinnen und Bürger bietet das einen gewissen Vorteil, besonders vor dem Hintergrund des auch in den USA an allen Ecken und Enden Probleme bereitenden Fachkräftemangels. Hilfreich ist es, wenn die Kundschaft selbst zur Zapfpistole greift, ohne dafür bezahlt zu werden. Der Lohn dafür ist dann immerhin, dass nur der Tankwart verreckt (zum Glück nicht persönlich, so schlimm ist es noch nicht), nicht aber das Auto am Straßenrand. Die Tankstelle in der Provinz ist gesichert. Und damit auch die Spritzufuhr.

Ein Deal, der einleuchtet. Gerade aus deutscher Sicht ist die Entscheidung – man ist da Gewohnheitstier – nach Jahrzehnten der Selbstbedienung an der Zapfsäule selbstredend folgerichtig. Für die US-Amerikaner, gerade dort oben im Nordwesten des Landes, ist die Sache aber offenbar nicht so eindeutig. Der Gesetzentwurf passierte den Senat denn auch einigermaßen knapp mit 16 Ja- und neun Gegenstimmen.

Robustes Mandat für den Zapfpistolero

Und weil nun 49 Staaten der USA das eigenständige Tanken erlauben, heißt das auch, dass es einen 50. gibt, in dem die Welt zumindest für die stolze Tankwartgilde noch in Ordnung ist: New Jersey, von Oregon aus einmal 3000 Meilen rüber an die US-Ostküste, hält weiter am Verbot der Selbstbedienung fest. Seit 1949 wird hier fremdbetankt, was man in New Jersey nicht als Entmündigung, sondern als etwas ganz Wunderbares empfindet. Jedenfalls wollen laut einer Umfrage aus dem vergangenen Jahr 73 Prozent der befragten Männer und Frauen weiter vom Tankwart bedient werden. Ein robustes Mandat für den Zapfpistolero.

Mehrere Zehntausend von ihnen soll es in den USA Schätzungen zufolge noch geben. Das reicht auf der Roten Liste einstweilen nur für den Status „potenziell gefährdet“. Zwar schrumpft ihre Zahl durch die Zerstörung ihres natürlichen Lebensraums Oregon nicht unwesentlich. Aber die Staaten sind weitläufig, irgendwo findet sich hier immer eine Nische für den Tankwart. Und mehr noch als in Deutschland gehört er hier als Ikone dazu, er ist schließlich dank einiger Pinselstriche ein Heiligtum der US-Kultur: Edward Hopper, in der Maßeinheit Joachim Witt ausgedrückt so etwas wie die Nena des amerikanischen Realismus, hat ihm im berühmten Gemälde „Gas“ einst ein Denkmal gesetzt. Und das wird auch dann noch von seiner vormaligen Existenz zeugen , wenn der Beruf endgültig einer von vorgestern ist. Wann auch immer das sein mag.

Zu wenige Leute, die den Job machen wollen

In Deutschland steht der Tankwart einstweilen bereits am Abgrund, vielleicht ist er auch schon einen Schritt weiter. Denn wenn sogar schon ein Comebackversuch scheitert, muss das als untrügliches Zeichen dafür gelten, dass das Ende nah ist. Im Jahr 2006 hatte Shell eine Dienstleistungsoffensive gestartet und zeitweise an die 1000 seiner Tankstellen im Land wieder mit einem Tankwartservice ausgestattet. 2021 war damit aber Schluss – es fanden sich schlicht zu wenige Leute, die den Job machen wollen.

So geht’s dahin mit ihm. In den USA hat er zwar noch etwas mehr im Tank, der Tankwart. Und doch fährt er auch dort ab sofort nur noch auf Reserve. Wie ein Cowboy, dem Sonnenuntergang entgegen. (RND)


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