„Quatsch! Fahr bis Walsrode!“Mein Vater vs. Google Maps

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Illustration: Innenansicht eines Autos mit Blick durch die Windschutzscheibe, Lenkrad, Armaturenbrett, Navigationsgerät.

„Für meinen Vater ist schlicht alles falsch, was das Navi rä“t: Unser Autor über ein wiederkehrendes Debatten-Schema.

Mein Vater ist überzeugt, dass man ihn ohne Weiteres mit einem Kompass, einem Flitzebogen und einer Bifi im Amazonasdelta aussetzen könnte.

Nur wenig ist so schwer ins Wanken zu bringen wie die Überzeugung meines Vaters, in Sachen Navigation cleverer zu sein als Google Maps. In ihm residiert ein spezielles Selbstbewusstsein in allen Fragen des optimierten Individualverkehrs. Sobald er sich neben mir auf dem Beifahrersitz niederlässt, beginnt ein erbitterter Kampf gegen das Handy-Navigationsgerät.

Wenn Google Maps vorschlägt, nach links abzubiegen, widerspricht er sofort: „Nicht nach links! Fahr da vorne rechts, dann beim Schlachter links und über die Tankstelle, dann sparen wir eine Ampel.“ Mal abgesehen davon, dass der Schlachter seit etwa 30 Jahren geschlossen ist: Für meinen Vater ist schlicht alles falsch, was das Navi rät. Google Maps sagt: A?7 bis Schwarmstedt, dann links. Mein Vater bellt empört: „Quatsch! Fahr bis Walsrode und dann auf die A 27!“ – „Papa, laut Google ist da Stau.“ – „Da war noch nie Stau! Da ist immer frei, wenn ich komme.“ – „Da war wohl ein Unfall.“ – „Woher will Google das denn wissen? Die sitzen in Amerika!“ – „Ich folge lieber Google.“ – „Mach, was du willst.“ Dann schmollt er und guckt aus dem Fenster.

Mein Vater ist überzeugt, dass man ihn ohne Weiteres mit einem Kompass, einem Flitzebogen und einer Bifi im Amazonasdelta aussetzen könnte und er in Nullkommanix zurück in die Zivilisation fände – oder gleich eine ganz neue gegründet hätte. Leider weisen sein Selbstbild als patenter Orientierungskünstler und die Wahrheit nur an wenigen Stellen Schnittmengen auf.

Wenn wir jetzt da hinten langgehen?…
Der Vater des Autors

Symptomatisch war ein Vorfall bei einer gemeinsamen Reise nach New York: Wir kamen am Abend aus einer Vorstellung des Percussion-Musicals „Stomp!“ im East Village in Manhattan. Wohin jetzt? Mein Vater verschaffte sich sogleich mit kühnem Blick rundherum einen Überblick – ein Fels in der Brandung, ein harter Hund im Chaos der Elemente wie Russell Crowe als Captain Jack Aubrey auf dem Deck der „HMS Surprise“ in „Master and Commander“.

Er wird niemals aufgeben

Es fehlte nur das Messingfernrohr, mit dem mein Vater die Straßenschluchten von New York inspiziert wie die Wellenberge am Kap Hoorn. Dann hob er an, seine Erkenntnisse über unseren Standort mit der Welt zu teilen: „Wenn wir jetzt da hinten langgehen?…“, sagte mein Vater mit fester Stimme und zeigte ins Nirgendwo – „…?dann weiß ich auch nicht, wo wir sind.“

Im ewigen Kampf „Mein Vater vs. Google Maps“ steht es in etwa 0:38. Es ist ja auch nicht einfach, als einzelner Erwachsener gegen zwölf Fantastilliarden Terabyte von Daten anzutreten. Aber er wird niemals aufgeben.

Eines Tages wird sich dieses digitale Teufelszeug als kläglich und schrottig erweisen. Google Maps wird versagen, und mein Vater wird uns eine geheime Furt durch den Dschungel der Großstadt auftun, von Sonnenlicht durchflutet, ganz und gar ampel- und autofrei, ohne Stau und Unfälle. „Siehst du!“, wird er sagen, und der Triumph wird aus jeder Silbe blitzen, „ich hab’s immer gesagt: Navis taugen nichts.“

Schönes Wochenende!


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