Die Nachricht heizt auch die Debatte über Bidens Amtstauglichkeit neu an. Allen offiziellen Genesungswünschen zum Trotz nutzen Donald Trumps Vertraute die Diagnose für wilde Attacken und Verschwörungstheorien.
Joe Biden hat fortgeschrittenen ProstatakrebsEine Krankheit mit politischen Metastasen

Der ehemalige US-Präsident Joe Biden ist an Prostatakrebs erkrankt.
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Die Fassade des Anstands hielt keine halbe Stunde. „Jenseits aller Politik: Wir wünschen ihm eine schnelle Genesung“, hatte Donald Trump Junior am Sonntagnachmittag um 16.34 Uhr die Nachricht von der ernsten Krebserkrankung des früheren Präsidenten Joe Biden bei X noch kommentiert. Um kurz vor 17 Uhr schickte er einen zweiten Post hinterher: „Ich will wirklich wissen, wie Dr. Jill Biden den metastasierenden Krebs im fünften Stadium übersehen konnte. Oder ist dies eine weitere Verschleierung?“
Damit dürfte der älteste Sohn des derzeitigen US-Präsidenten den Ton für eine gnadenlose Schlammschlacht gesetzt haben. Das Privatleben amerikanischer Regierungschefs ist immer politisch. Das gilt ganz besonders für die Gesundheit und Leistungsfähigkeit des 82-jährigen Biden, die von den Republikanern seit langem angezweifelt wird. Die in früheren Zeiten übliche Zurückhaltung der politischen Gegner bei persönlichem Leid wird in der hasserfüllten amerikanischen Gegenwart daher kaum lange halten.
Joe Biden: Krebs hat bereits auf Knochen gestreut
Bidens Büro hatte am Sonntag mitgeteilt, dass der Ex-Präsident an einer aggressiven Form von fortgeschrittenem Prostatakrebs erkrankt ist, der bereits auf die Knochen gestreut hat. Die Diagnose sei am Freitag gestellt worden, nachdem wenige Tage zuvor bei einer Routineuntersuchung ein Knoten festgestellt worden war. Experten bewerten die Erkrankung in der „New York Times“ als „ernst“. Allerdings hätten sich die Behandlungsmethoden zuletzt deutlich verbessert, zumal der Tumor offenbar hormonempfindlich ist. „Die verbleibende Lebenserwartung wird nun in Jahren, nicht mehr in Monaten berechnet“, wird der Prostata-Experte Daniel Lin von der Zeitung zitiert.
Die schwere Erkrankung des Ex-Präsidenten wird zu einer heiklen Zeit bekannt. Die Demokraten ringen noch immer mit den politischen Folgen des späten Ausscheidens Bidens aus dem Präsidentschaftsrennen nach einer desaströsen TV-Debatte im vergangenen Sommer. Gerade sind zwei Bücher erschienen, die zunehmende altersbedingte mentale Aussetzer Bidens in seinem letzten Amtsjahr beschreiben, die von dessen Umfeld offenbar gezielt kaschiert wurden. Vor wenigen Tagen hat zudem die Trump-Regierung die fünfstündige Aufzeichnung einer Vernehmung Bidens durch Sonderermittler Robert Hur im Oktober 2023 veröffentlicht. Darauf redet der damalige Präsident mit stockender Stimme und hat sichtliche Probleme, Daten und Details zu erinnern.
MAGA-Influencer verbreiten Verschwörungstheorien
Einen „sympathischen, wohlmeinenden älteren Herrn mit schlechtem Gedächtnis“, hatte Hur den Präsidenten damals genannt, worüber sich Biden empörte. Eine eingehende Untersuchung durch seinen Leibarzt Kevin O'Connor im Februar 2024 stellte einen steifen Gang und eine Schlafapnoe fest, bescheinigte ihm ansonsten aber beste Gesundheit und Amtsfähigkeit. Blogger und Influencer aus der MAGA-Bewegung (Make America Great Again) von Trump unterstellen Biden nun ohne irgendwelche Belege, die Öffentlichkeit damals bewusst getäuscht zu haben und verbreiten die Verschwörungstheorie, der krebskranke Präsident habe die Wiederwahl angestrebt, um das Amt nach seinem absehbaren Tod seiner Stellvertreterin Kamala Harris zuzuschustern.
Offiziell hält sich Präsident Trump, der Biden regelmäßig als „geistig behindert“ diffamiert, mit solchen Anschuldigungen noch zurück. Er postete am Sonntag formelle Genesungswünsche: „Melania und ich sind betrübt über die jüngste medizinische Diagnose von Joe Biden“, schrieb er auf seiner Plattform Truth Social: „Wir senden Jill und der Familie unsere besten Wünsche und wünschen Joe eine rasche und erfolgreiche Genesung.“ Das Weiße Haus verbreitete dazu sogar ein bei der Amtsübergabe im Januar aufgenommenes Foto, das Trump und Biden gemeinsam im Oval Office zeigt.
Joe Biden richtet sich an die Öffentlichkeit: „Krebs betrifft uns alle“
Doch im Netz verbreitet Trumps Umfeld empathielose Beleidigungen und wildeste Spekulationen. Am offensivsten attackiert die rechtsradikale Bloggerin Laura Loomer, die bei Trump oft ein offenes Ohr findet, den „schlimmsten Präsidenten“ der Geschichte: „Donald Trump ist viel freundlicher, als er sein müsste.“ Ihrer Erzählung zufolge wusste Biden während seiner ganzen Präsidentschaft von seiner Krebserkrankung und hat außerdem versucht, Trump zu ermorden. Wie Donald Trump Junior insinuiert auch Loomer, dass Jill Biden den Prostatakrebs hätte feststellen müssen - dabei besitzt die ehemalige First Lady einen Doktor-Titel in Pädagogik, nicht in Medizin.
Für Joe Biden selbst ist die jüngste Diagnose eine weitere persönliche Prüfung in einem an Schicksalsschlägen reichen Leben. Kurz nach seiner ersten Wahl in den Senat waren 1972 seine erste Frau und seine kleine Tochter bei einem Autounfall ums Leben gekommen. 2015 verstarb sein Lieblingssohn Beau an einem Hirntumor. In seiner politisch aktiven Zeit hatte sich Biden daher besonders für die Stärkung der Krebsforschung eingesetzt. „Krebs betrifft uns alle. Wie so viele von euch haben Jill und ich gelernt, dass wir an den verletzten Stellen am stärksten sind“, postete der 82-Jährige am Montag bei X zu einem Foto von sich und seiner Frau: „Danke, dass ihr uns mit Liebe und Unterstützung aufrichtet.“