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350 Migranten geschleust
Wie die Schleuser-Bande von Köln aus agiert haben soll – und Millionen scheffelte

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Polizisten durchsuchen am 18. April in der Nähe der Dürener Innenstadt Wohnungen und Häuser während einer Razzia gegen Schleuserkriminalität.

Polizisten durchsuchen am 18. April in der Nähe der Dürener Innenstadt Wohnungen und Häuser während einer Razzia gegen Schleuserkriminalität.

Schon seit 2015 sollen zwei Anwälte aus Köln und Frechen über 350 Migranten nach Deutschland geschleust haben. 

Der eine Rechtsanwalt ist in seiner Kölner Kanzlei nicht zu erreichen. Bei seinem Kollegen in Frechen läuft nur der Anrufbeantworter. Auch der Geschäftsführer eines Immobilienunternehmens in Frechen ruft nicht zurück. Der Grund ist simpel: Die beiden Anwälte und der Unternehmer sitzen nach Informationen des „Kölner Stadt-Anzeiger“ in Untersuchungshaft. Die Beschuldigten gelten als die Köpfe einer weitverzweigten Schleuserbande, die wohlhabende Chinesen, Inder und Araber angeworben haben sollen, um ihnen hierzulande ein neues Leben zu verschaffen – inklusive dauerhaftem Aufenthaltstitel oder sogar die deutsche Staatsbürgerschaft.

Zwischen 30.000 und 350.000 Euro sollen die 350 geschleusten Personen an die beiden Kanzleien gezahlt haben. Laut Ermittlungsunterlagen, die der „Kölner Stadt-Anzeiger“ einsehen konnte, sollen die vermögenden Migranten 9,2 Millionen Euro auf Anderkonten der Kölner Anwaltskanzlei transferiert haben. Im Gegenzug sollen die Tatverdächtigen den Zuwanderern eine falsche Unternehmer- oder Arbeitslegende samt Businessplan, Vermögensnachweise  und einen Wohnsitz verschafft haben.

Die Schleuser sollen 9,2 Millionen Euro kassiert haben

Recherchen dieser Zeitung offenbaren ein Geflecht aus mutmaßlich korrupten Politikern, laxen amtlichen Kontrollen durch Ausländerbehörden sowie höchst kriminellen Machenschaften einer mutmaßlichen Schleuserbande. Geschickt wurde das deutsche Ausländerrecht umschifft, um auch die Familienangehörigen nachzuholen. Der „Kölner Stadt-Anzeiger“ hat die Rechtsbeistände der Hauptbeschuldigten um eine Stellungnahme gebeten, die sich jedoch nicht zu den Vorwürfen äußern wollten. Die Kanzlei des Kölner Beschuldigten teilte mit, dieser habe jetzt „seine Funktionen und Tätigkeiten niedergelegt“. Der Sachverhalt werde intern untersucht. Ermittelt werde nur gegen den Ex-Kollegen, nicht gegen das Unternehmen.

Die Geschichte beginnt im Jahr 2015. Seinerzeit sollen die beiden Anwälte mit weiteren Komplizen Schleuser-Verbindung aufgebaut haben, so steht es in den Akten. Bis 2018 soll der Kölner Jurist bei den Ausländerämtern in Solingen und Düren den Strafverfolgern zufolge für 76 Ausländer Aufenthaltserlaubnisse organisiert haben. Dabei sollen ihm Kanzleiangestellte geholfen haben. Drei Mitarbeiterinnen stehen im Verdacht, sich um die Logistik gekümmert zu haben.

Gefälschte Unterlagen für das Handelsregister und Ausländeramt

Nachdem man Interessenten über Vermittlungsfirmen und per Online-Werbung gefunden hatte, hätten diese der Kölner Anwalts-Sozietät Generalvollmachten erteilen müssen. Sogenannte D-Visa seien beschafft worden, die einen Aufenthalt in Deutschland bis zu sechs Monaten garantierten. Im Handelsregister Wuppertal wurden die meist arabischen Einreisewilligen zudem als Gesellschafter einer Offenen Handelsgesellschaft registriert. In Düren wurden reiche chinesische Flüchtlinge als selbstständige Kaufleute eingetragen. Nichts davon entsprach der Wahrheit.

Ebenfalls erfunden sollen die Berichte zu angeblichen Gründungsvorhaben der asiatischen Migranten gewesen sein, die bei den Ausländerämtern vorgelegt wurden. Zudem hätte man den Behörden Wohn- und Meldeadressen sowie den Kauf von Immobilien vorgegaukelt, so die Ermittler. Obwohl offiziell als Eigentümer eingetragen, konnten die Zuwanderer tatsächlich nicht über die Objekte verfügen.

Erste Bedenken beim deutschen Generalkonsulat in China

Von den Millionen der Kunden sollen in den ersten Jahren meist die beiden Anwälte sowie Sozietäts-Angestellte profitiert haben. Die Beschuldigten sollen die Gelder sogar auf das Geschäftskonto der Kanzlei umgebucht haben. Davon seien die drei Mitarbeiterinnen bezahlt worden. Und die beiden Anwälte sollen Entnahmen getätigt haben.

Eine Lizenz zum Gelddrucken sollte man meinen. Doch 2017 schöpfte das deutsche Generalkonsulat im chinesischen Kanton Verdacht. Mitarbeiter zweifelten daran, dass die Antragsteller für ein Langzeitvisum tatsächlich in Deutschland eine Firma aufmachen wollten. Sie verweigerten die Genehmigungen für die Einreise.

Die mutmaßliche Schleuser-Gruppe soll es daraufhin mit einer anderen Masche versucht haben. 2018 gründeten die beiden Anwälte nach Ermittlungserkenntnissen ein neues Büro in Frechen. Offiziell leitete der Frechener Anwalt die Zweigstelle. In jener Phase soll die Bande weitere Mitglieder ins Boot geholt haben. So etwa den Geschäftsführer eines Immobilienunternehmens in Frechen. Der Mann gilt in den Akten als weiterer führender Kopf der mutmaßlichen Schleuser-Gruppe. Offenbar verfügten die Tatverdächtigen über gute Kontakte zu namhaften CDU-Politikern im Rhein-Erft-Kreis. Und so kam es auch, dass die Ermittler bei zwei ehemaligen Partei-Granden durchsuchten und sie auf die Beschuldigten-Liste setzten.

Fingierte Arbeitsverträge als Geschäftsführer von Strohfirmen

Seit 2018 sollen die Migranten aus China dann mit einem Touristenvisum nach Deutschland geholt worden sein. Ausgestattet mit fingierten Arbeitsverträgen als angebliche Geschäftsführer von Strohgesellschaften erschwindelten sich die Neuankömmlinge bei den Ausländerämtern in Solingen, im Rhein-Erft-Kreis, Kerpen und Düren eine Aufenthaltserlaubnis. Für die Akquise soll der Frechener Firmenchef Mitarbeiter eingesetzt haben.

Bei den Ämtergängen habe der Unternehmer die chinesischen Staatsangehörigen begleitet. Zudem soll er Papiere für falsche Wohnsitze und Beschäftigungsverhältnisse beschafft haben. In Absprache mit den Anwälten liefen nach Erkenntnissen der Staatsanwaltschaft jetzt erhebliche Geldströme über Konten der Firma. Der Frechener Unternehmer soll neben den beiden Anwälten hohe Summen aus den Flüchtlingstöpfen abgezweigt haben.

SPD-Politiker der Kreisverwaltung Düren soll Schmiergeld angenommen haben

Vor sechs Jahren soll auch Jens Bröker, der einstige Geschäftsführer der SPD-Unterbezirke Heinsberg und Euskirchen, zur Bande gestoßen sein. Im Dezember 2018 avancierte er im Kreis Düren zum Leiter der Stabsstelle Innovation und Wandel. Bereits Jahre zuvor wurde Bröker zum Chef der kommunalen Entwicklungsgesellschaft „Indeland“ – mit einem üppigen Jahresgehalt von 150.000 Euro plus Dienstwagen.

Ein Polizist trägt im Rahmen der Razzia gegen Schleuser in Bonn einen Karton mit Beweismaterial aus einem Gebäude.

Ein Polizist trägt im Rahmen der Razzia gegen Schleuser in Bonn einen Karton mit Beweismaterial aus einem Gebäude.

Das scheint Bröker nicht gereicht zu haben: Laut Staatsanwalt Julius Sterzel sollen ihm die Beschuldigten etwa 300.000 Euro an Schmiergeldern in bar gezahlt haben. Im Gegenzug soll er bei den Dürener Behörden seinen Einfluss geltend gemacht haben, wenn Zweifel aufkamen. Auch soll er eine eigene Immobilie als vermeintlichen Wohnsitz für Kunden der Schleuser-Bande zur Verfügung gestellt haben. Als die Corona-Pandemie das illegale Geschäftsmodell beschränkte, soll Bröker über seine Stabsstelle per Einladungsschreiben einem angeblichen chinesischen Experten für innovative Fenster einen Persilschein für die Einreise ausgestellt haben.

Bis März 2022 hatten die Ausländerämter den Ermittlungen zufolge weiteren 185 Migranten einen Aufenthalts-Status gewährt. Als die Sachbearbeiter im Rhein-Erft-Kreis, in Solingen und Kerpen zunehmend misstrauisch wurden, nutze man nur noch die Ausländerbehörde in Düren. Dort, so scheint es, fielen die Kontrollen deutlich laxer aus. Behördenintern sei kurz nach Bekanntwerden der Vorwürfe eine Arbeitsgruppe eingesetzt worden, um jeden einzigen Vorgang zu prüfen, sagte der Dürener Kreissprecher Ingo Latotzki auf Anfrage. Sobald die Ergebnisse vorliegen, würden diese auch öffentlich transparent gemacht.

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