Leverkusener ClanAl-Zein-Prozess: „Ich habe Angst vor denen, die hier im Gerichtssaal sind“

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Der Hauptangeklagte (r) winkt zum Auftakt des Prozesses um eine Leverkusener Clan-Villa neben Anwälten im Gerichtssaal des Landgerichts. Angeklagt sind sieben Angehörige einer Großfamilie. Den Angeklagten werde vorgeworfen, zwischen 2014 und 2021 unberechtigt Sozialleistungen bezogen und Geldwäsche betrieben zu haben.

Zeugen fühlen sich von Mitgliedern des Clans gerade bei ihren Aussagen vor Gericht oft eingeschüchtert.

Am 22. Dezember geht der Prozess gegen die Leverkusener Clan-Familie Al Zein zu Ende. Die Angeklagten dürfen mit milden Strafen rechnen. Auch deshalb, weil Zeugen sich vor Gericht eingeschüchtert fühlen.

Saal 116 im Landgericht Düsseldorf. Journalisten werden in dem mit dunklem Holz getäfelten Schwurgerichtssaal von der Anklagebank aus drohend fixiert. Der mürrisch dreinschauende junge Mann gehört zum Leverkusener Clan-Ableger der Al Zein. Er ist einer von sieben Tatverdächtigen, die sich wegen Sozialleistungsbetruges, Raub, Steuerhinterziehung, schwerer Körperverletzung, Geldwäsche und Erpressung derzeit verantworten müssen. Die giftigen Blicke zur Pressebank an jenem Prozesstag Ende November scheinen zu sagen: „Verzieh dich, wir wollen dich hier nicht!“

Während der Sitzung hellt sich die Stimmungslage auf. Die fünf Männer und zwei Frauen lachen, feixen, wirken gelöst. Und das hat seinen Grund: Viele der Anklagepunkte sind längst vom Tisch. Somit sehen die teils mehrfach vorbestraften Tatverdächtigen dem Urteilsspruch am Donnerstag wohl entspannt entgegen.

Leverkusen: Teilgeständnis gegen mildere Strafe im Al-Zein-Prozess

Clan-Chef Badia Al Zein, der im bequemen Nike-Hoodie auftritt, durfte kürzlich gegen die Zahlung von 80.000 Euro Kaution aus der U-Haft spazieren. In der Leverkusener Villa, finanziert durch fortgesetzten Sozialleistungsbetrug, wurde die Freilassung dann auch gebührend gefeiert.

„Diese Vergnügtheit der Angeklagten fühlt sich an, als ob die dem Rechtsstaat hier auch noch frech ins Gesicht lachen“, sagt ein Prozessbeobachter. Da ist etwas dran: Schließlich haben sich Gericht und Staatsanwaltschaft auf einen Deal mit den Angeklagten verständigt: Teilgeständnis gegen mildere Strafen. Von Prozessökonomie ist die Rede. Tatsächlich aber sind etliche Belastungszeugen weggebrochen, die noch während der Ermittlungen ausgepackt hatten.

Sie müssen mich verstehen, ich habe drei Kinder, die sind meine Welt
Zeugin vor Gericht

„Sie müssen mich verstehen, ich habe drei Kinder, die sind meine Welt“, fleht eine junge Frau die Richter an. Bei der Polizei hatte sie noch von der heftigen Schlägerei im September 2018 berichtet, an der zumindest ein Mitglied der Al Zein-Familie beteiligt gewesen sein soll. Drei Männer sollen damals auf einen Hilflosen eingeprügelt haben. Als der Überfallene fliehen wollte, sei er verfolgt und in ein Auto gezerrt worden.

Offenbar aus Sorge um ihre Kinder, will die Zeugin vor Gericht aber nichts mehr zu dem Vorfall erzählen. „Ich habe Angst vor denen, die hier im Gerichtssaal sind, man hört Katastrophen und schlimme Sachen“, gesteht die Mutter freimütig. Und: „Klar habe ich Angst, dass sie mir was antun, wenn sie mich als Gegner wahrnehmen.“

Auch jener Mann, der zusammengeschlagen worden sein soll, weil er an die Al Zeins kein Schutzgeld zahlen wollte, leidet unter plötzlicher Amnesie. Er habe doch immer nur jede Menge Spaß mit den Al Zeins gehabt, behauptet er am Ende sogar.

Leverkusener Clan Al Zein: Machtdemonstration vor Gericht

Der Düsseldorfer Prozess belegt die Macht des kurdisch-libanesischen Clans. Ein Einfluss, der selbst vor Gerichtssälen nicht Halt macht. Mitunter steht die hiesige Justiz den kriminellen Machenschaften eines der größten Familiensyndikate der Republik hilflos gegenüber. Die Clan-Gangster bedrohen Zeugen, so dass sie sich an nichts mehr erinnern können. Mitunter fließt Schweigegeld.

Dies legen abgehörte Telefonate nahe. So soll Badia Al Zein in einem früheren Strafprozess bereits Zeugen manipuliert haben. Im Herbst 2019 musste sich die mutmaßliche Nummer Zwei in der Al Zein-Hierarchie mit weiteren Clan-Größen vor dem Essener Schöffengericht verantworten. Es ging um einen Überfall auf das Café „Olympia Grill“ in Essen knapp zwei Jahre zuvor.

Anklage gegen „Pumpgun Bilal“: Mit Schlagstock Olympia-Wirt angegriffen

Seinerzeit hatte ein 26-köpfiger Mob der arabischen Großfamilie den Olympia-Wirt attackiert. Gleich mehrfach sauste ein Schlagstock nieder. „Schlag ihn auf den Kopf, damit er stirbt“, soll einer der Al Zein-Schläger laut Staatsanwaltschaft gerufen haben. Das Opfer erlitt durch Schüsse aus einer Gaspistole eine Schädelprellung. Als mutmaßlichen Anführer der Schlägertruppe hatten die Ermittler Badia Al-Zein ausgemacht. Der Chef aus Leverkusen soll mit einer Pistole bewaffnet gewesen sein.

Der damaligen Anklage zufolge soll der Hartz-IV-Empfänger von dem Lokalbetreiber 5000 Euro Schutzgeld eingefordert haben. Als der Olympia-Wirt nicht zahlte, wurde er bestraft.

Im September 2019 saßen neben dem Leverkusener Chef führende Essener Clanmitglieder wie Bilal H., genannt Pumpgun Bilal, auf der Anklagebank. Letzterer soll bei dem Sturm auf das Café ein Messer und eine Pistole mit sich geführt haben.

Die Ankläger stützten sich damals auf ein Dutzend Zeugen, insbesondere auf den attackierten Lokaleigner. Der hatte in Polizeivernehmungen seine Angreifer schwer belastet. Im Prozess aber wiederrief der Überfallene seine Aussagen. Die anderen elf Zeugen erschienen erst gar nicht vor Gericht. Der Prozess endete mit Freisprüchen.

Al Zein: Hinweise auf Prozess-Manipulation schon 2019

Just in jener Zeit begann die Ermittlungskommission (EK) Panda der Düsseldorfer Polizei mit neuen Nachforschungen gegen die Leverkusener Al Zein-Clique. Dabei deutete vieles darauf hin, dass der Clan den Prozessverlauf um den Sturm auf den „Olympia Grill“ manipuliert hatte. Anfangs sendeten die mutmaßlichen Angreifer per WhatsApp erste Drohungen an das Opfer: In Essen werde es den Wirt nicht mehr geben, hieß es, denn nur der Clan habe in der Stadt das Sagen.

Seit dem 19. September 2019 registrierten die Ermittler laut einem Vermerk 46 Telefonate in der Causa „Olympia Grill“. Die Gespräche legten den Verdacht nahe, dass der Leverkusener Chef den überfallenen Lokalbetreiber derart eingeschüchtert hatte, dass dieser seine Aussagen im Gerichtssaal widerrief. In Bezug auf den Kronzeugen ist vom „Schlampenbruder“ die Rede, der es sich nun anders überlegt habe. Badia Al-Zein bemerkte hierzu: Wenn der Café-Besitzer vor dem Richter bekunde, dass er nicht wisse, wer ihn geschlagen habe, sei das Thema erledigt.

Ende September 2019 belauschten die Strafverfolger eine weitere brisante Unterhaltung: Der Chef der Leverkusener Großfamilie sollte zahlen. 25.000 Euro, „damit der Eine“ verzichte und Badia Al-Zein nicht verurteilt werde. Bei dem „Einen“ handelte es sich um den Lokalbesitzer und Hauptbelastungszeugen, der Schweigegeld erhalten sollte. Offenbar setzten die Clan-Bosse auf die Misch-Strategie Zuckerbrot und Peitsche. Mal drohte das Familiensyndikat mit Gewalt, mal offerierte man finanzielle Anreize. Die Taktik verfing. Anfang Oktober 2019 wurden die Verfahren gegen Badia Al-Zein und einen Großteil der Angeklagten gegen Zahlung einer Geldauflage von 500 Euro eingestellt.

Leutselig übermittelte einer der Schläger dem Leverkusener Clan-Chef per Handy die gute Nachricht aus der Hauptverhandlung. Der Zeuge habe erklärt, die Al-Zeins seien die beste Familie überhaupt. Hämisches Gelächter schallte durch den Hörer.

Leverkusen: Zeugen im Al-Zein-Prozess müssen mit Hausbesuchen rechnen

In ihrem schriftlichen Resümee zu den Geschehnissen folgerten die Kriminalbeamten, dass die Clan-Chefs „durch Bedrohung und Einschüchterung es schaffen, Zeugenaussagen zu ihren Gunsten abzuändern und so einer Verurteilung entkommen“. Aus Sicht der EK Panda handelt es sich um ein typisches Vorgehen: Wer seine Strafe nicht an den Al Zein-Clan begleiche, müsse mit einem „Hausbesuch rechnen und mit seiner körperlichen Unversehrtheit dafür büßen“.

Zugleich kritisierten die Ermittler das Urteil. Die Angeklagten seien beinahe gänzlich „ungeschoren davongekommen, dabei konnten sie mit dem Überfall auf das Café ihre Machtposition und Stärke demonstrieren“. Nach Einschätzung der Kriminalbeamten sendete der Richterspruch ein fatales Signal aus: Clan-Kriminelle könnten bei weiteren „Erpressungshandlungen (…) einen hohen Nutzen bei minimalem Risiko einkalkulieren“. (mit rar, riku)

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