Annette Frier über GeschwisterHinter jedem Zank steht der Wunsch nach Liebe

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Annette Frier wird derzeit im Drei-Tage-Rhythmus auf das Corona-Virus getestet.

  • Was gibt es Schöneres und Wichtigeres im Leben als die Liebe? Wie wir sie finden, pflegen und sie uns erhalten; was geschieht, wenn sie vergeht oder wir sie verlieren – darum geht es in unserer neuen Kolumne „In Sachen Liebe“.
  • Im wöchentlichen Wechsel beantworten die erfahrenen Psychologen Damaris Sander und Peter Wehr sowie Urologe Volker Wittkamp und Schauspielerin Annette Frier Ihre Fragen rund ums Liebesleben, Sex und alles, was Paaren begegnet.
  • Diesmal schreibt Annette Frier, Teil eines Schwestern-Trios und Mutter von Zwillingen, über Liebe und Zank unter Geschwistern.

Frau Frier, Sie haben geschrieben, Sie verstünden sich so gut mit Ihren Schwestern. Was ist eigentlich Geschwisterliebe?

Wenn meine Kinder und ich durch die Stadt laufen und die beiden in Zanklaune sind, sich also gegenseitig schubsen, schieben, zwicken und dabei den gehaltvollen Dialog „Höör aahauf! – Laaaass eeeeees!“ in einer Art Endlosschleife hin und her werfen, werden sie ab dem Erreichen einer gewissen Lautstärke ihres Nöl-Duetts von mir – fortissimo – mit dritter Stimme im Staccato übertönt: „Lasst! Es!! Hört!!! Auf!!!! Jetzt!!!!!“

In dem folgenden winzigen Moment der Stille, bevor die Zank-Partitur munter weitergedudelt wird, hebt sich mein Blick, spontan erleichtert, von meiner rotzfrechen Brut und schweift mit erzwungener Gelassenheit in die Weite der Straße. Wenn nun in eben diesem Moment jemand Fremdes vorbeigeht und sich unsere Blicke treffen, dann sagt er oder sie mit relativ hoher Wahrscheinlichkeit milde lächelnd und Schulter zuckend: „Geschwisterliebe!“

So weit, so nett, so viel zum situativen Zusammenhang, in dem mir (!) dieses Wort am häufigsten begegnet. Aber die Frage, was Geschwisterliebe eigentlich sei, geht ja weiter. Eine Definition, glaube ich, ist quasi unmöglich, weil die Liebe unter Geschwistern ähnlich unterschiedlich ausfällt wie die Ausführungen eines Prototyps von … wasweißich? … Leuchtreklame oder … Kindheitserinnerung oder … Karneval. Es gibt eine gewisse Schnittmenge: dieselben Eltern oder wenigstens nur Vater oder Mutter bei Halbgeschwistern, ja. Aber die Konstellationen und Interpretationen sind unendlich.

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Ich suche trotzdem als eine von drei Schwestern nach einer Antwort in dieser Sache. „Wahre Freundschaft zeigt sich in Krisen“, sagt der Volksmund. Die existenzielle Krise unter Geschwistern ist natürlich der Tod eines Elternteils. Und ja, da kann ich aus eigener Erfahrung berichten, dass wir drei uns geradezu ineinander verheddert haben, als mein Vater vor 16 Jahren starb. Regelrecht emotional verkeilt, sowohl positiv als auch negativ. Wie drei Mittelwaggons in so einer Kindereisenbahnkette. Komm her, geh weg! Meine kleine Schwester und ich kriegten uns am Abend vor der Beerdigung wegen irgendeiner Petitesse so in die Klamotten, dass wir beide am nächsten Morgen einigermaßen heiser am Grab standen.

Mein letzter Satz hierzu lautet übrigens, dass ich sie (beide Schwestern!) wie verrückt liebe, im Streit und im Frieden. Ein ganz anderes Beispiel aus der etwas weiter gefassten Verwandtschaft: Man stelle sich ein sehr wertvolles Bild vor. Der Besitzer ist Vater von fünf Kindern, sehr krank, es geht ans Sterben. Er macht sein Testament und setzt seine Kinder darüber in Kenntnis, dass das Bild – niemand erben wird. Auch nicht seine neue Frau. Stattdessen schenkt er es kurz vor seinem Ableben einem angesehenen Museum. Der älteste Sohn ist so erbost, dass er ein Wutschreiben an seinen Vater verfasst.

Er fordert seine vier Geschwister auf, ebenfalls zu unterschreiben. Zwei machen mit, die anderen beiden sagen ab, was zu einem jahrelangen Zwist der fünf Geschwister führt. Fairerweise muss ich sagen, dass unter ihnen zu diesem Zeitpunkt bereits vieles im Argen lag. Das Fass war quasi übergelaufen mit dem letzten Regenguss.

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Bei Todesfällen geht es ja angeblich nur kurz ums Trauern und dann lange ums Geld. Kann sein, ist aber nicht die ganze Wahrheit, glaube ich. Hinter der harten Währung Zaster steht doch immer die härteste Währung: Liebe. Wer ist hier am meisten wert? Wer wurde am dollsten geliebt?

Und wer vielleicht gar nicht? Bei dem kann man’s jedenfalls mit Kohle nicht gutmachen. Und während offiziell über Gerechtigkeit in der Verteilung von Vermögen diskutiert wird, werden subkutan die ganz alten offenen Rechnungen aufaddiert. Da kommt mit Trinkgeld ordentlich was zusammen.

Ich kann über sowas übrigens so souverän berichten, weil wir gar nicht in die Verlegenheit gekommen sind, etwas zu erben. Es gab nix.

When you got nothing, you got nothing to loose.

Aber das wird jetzt vielleicht zu kleinteilig, sind ja nur meine subjektiven Betrachtungen, die wirklich jeder Allgemeingültigkeit entbehren.

Deswegen: Wenn Sie das nächste Mal Zoff mit ihren Geschwistern haben – vergessen Sie Ihren ehrlichen Anspruch auf die Gewissheit, dass Sie im Recht sind! Es ist gut möglich, dass Ihr Bruder oder Ihre Schwester gerade genau dasselbe denken. Wir sind alle Teil des Ameisenhaufens. Es gibt keine Fakten. Keine Objektivität. Nicht in Sachen Liebe.

Sisters and Brothers, Relax! Love each other, fair enough!

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