Depressionen und SelbstmordgedankenDie arme Lady Gaga und das böse Klavier

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Lady Gaga

Lady Gaga

  • Das Klavier hat gesoffen, nicht ich, witzelte einst Tom Waits – auf die Frage nach dem Schuldigen für Abstürze und Eskapaden.
  • Popstar Lady Gaga hatte lange mit schweren Depressionen und Selbstmordgedanken zu kämpfen. Jetzt hat auch sie die Schuldfrage gestellt!
  • In seiner Kolumne „Prominent verteidigt“ widmet sich Christian Bos diesmal den Schattenseiten des Ruhms – und den prominenten Klagen darüber.
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Lady Gaga beschimpft ihr Klavier: „Du hast mein Leben ruiniert. Du hast mich zu Lady Gaga gemacht und Lady Gaga ist mein größter Feind.“ Ziemlich melodramatisch, was Stefani Joanne Angelina Germanotta — die Frau, die sie Gaga nennen — da in der Sonntagmorgenshow des amerikanischen Senders CBS erzählt hat.

Als wäre ihr Piano eine Art Pygmalion und sie das unbelebte Idealbild, das von ihm geformt beziehungsweise verdammt wird. Sie können sich auch, falls sie die „My Fair Lady“-Version des Mythos bevorzugen, das Instrument als strengen Lehrmeister vorstellen. Und die Gaga als unbedarftes Blumenmädchen, das von diesem für den großen öffentlichen Auftritt dressiert wird.

Es war nicht die Musik an sich, sondern der Ruhm, der Lady Gaga in tiefste Depressionen stürzte: „Ich hasste es, ein Star zu sein“, klagte sie. Ausgelaugt, habe sie sich gefühlt, wie ein Ding, das man benutzt und dann wegwirft. Jeden Tag habe sie daran gedacht, sich selbst zu töten.

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Arme Lady Gaga. Böses Klavier. Die Klage über die Schattenseiten des Ruhms ist so alt wie das Konzept des Ruhms. Selbst Statistiken, nach denen Film- und Popstars und Athletinnen im Schnitt früher sterben als der unberühmte Rest, erzeugen kein Mitleid. Das ist der Preis für ein erfülltes Dasein voller Privilegien.

Nun stolpern manche Menschen gleichsam in die Prominenz hinein, obwohl sie doch nie darum gebeten haben: Holt mich hier raus — Ich will kein Star sein! Das gilt nun aber gerade nicht für Stefani Germanotta, die jahrzehntelang Musik und Schauspiel an den renommiertesten Instituten studiert hat und sich noch vor Erscheinen ihres ersten Albums nach dem Vorbild von Andy Warhols Factory mit einer kleinen Armee von Kreativen umgeben hat. Ihr ging es also von Anfang an um mehr, als nur einen unsichtbaren Platz in den Gewerken des Popgeschäfts.

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Und genau davon sang sie ja auch. Ihr Debüt nannte sie „The Fame“ und beschwor darauf die Paparazzi, die ihr bald nachrennen sollten, selbst herauf. Auf der EP „The Fame Monster“, die sie dem erfolgreichen Karrierestart hinterher schickte, besingt sie schon die dunklen Seiten des Ruhms und einige der bekanntesten weiblichen Opfer: Marilyn Monroe, Judy Garland, Prinzessin Diana. „The Fame Monster“ ist ihr Meisterwerk und die Abgründe des Ruhms sind ihr Lebensthema. Wenn sie jetzt im Fernsehen ihr Klavier beschimpft und von Suizidgedanken spricht, mag das schlicht Teil einer Langzeitperformance sein.

Angst vor einem Karriereknick

Ich habe Lady Gaga viermal im Konzert gesehen. Es war immer aufregend und am aufregendsten war stets die ins bunte Treiben eingebaute Selbstreflexion: Hier stand ein Popstar, der über die Fallen seines eigenen Popstarseins wusste. Ein einziges Mal zeigte sie dabei Unsicherheiten und meinte sich für das, was sie da tat, rechtfertigen zu müssen. Das war, als ihr Album „Art Pop“ gefloppt war. Nicht übermäßiger Ruhm hatte sie aus dem Konzept gebracht, sondern die Angst vor einem Karriereknick.

Können wir uns das Mitleid für Lady Gaga also sparen? Das Klavier hat gesoffen, nicht ich, witzelte einst Tom Waits. Ist Stefani Germanotta also das Opfer ihrer eigenen, sich selbst erfüllenden Prophezeiung? Nein, so einfach ist es nicht, dann wäre ja die Kunst deckungsgleich mit dem Leben. Es soll ja schon vorgekommen sein, dass ein alkoholkranker Schauspieler einen Alkoholkranken gespielt hat. Der sich dann, je nach Filmgenre, zu Tode trinkt oder mit Hilfe von Freunden, Fremden oder kleinen Hunden geheilt wird. Hilft seine Rolle dem Schauspieler, die eigene Sucht zu bekämpfen? Etwa, indem sie ihm die schrecklichen Konsequenzen vor Augen führt oder einen Ausweg aufzeigt?

Das geschieht wahrscheinlich nur in den seltensten Fällen. Nicht anders verhält es sich mit Lady Gagas gespaltenem Verhältnis zum Ruhm. Darüber zu singen funktioniert nicht als eine Art Bannzauber. Im starren Blick der Öffentlichkeit zu leben, das ist letztlich etwas ganz anderes.

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