Smitten KitchenWas macht einen guten Food-Blog aus?

Lesezeit 6 Minuten
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Köstliche Küche von Deb Perelman

"Warum hast du eigentlich keinen Food-Blog?“ Die Frage wurde mir bestimmt schon 80 Mal gestellt. Köchin und Journalistin, da liegt dieser Werdegang doch auf der Hand. Richtig, allerdings kann ich dann meinen anderen Job an den Nagel hängen. Einen professionellen Food-Blog zu betreiben ist ein Fulltime-Job. Die romantische Vorstellung, ich rühre mir morgens entspannt mein Müsli zusammen, halte da die Smartphone-Kamera drauf, Texte drei-vier flauschige Zeilen und fertig ist die Laube, entspricht leider nicht mal im Ansatz der Realität.

Rezepte entwickeln

Rezepte müssen entwickelt werden. Das heißt Läden nach Zutaten abklappern, Einkäufe quer durch die Stadt schleppen und vor allem protokolliertes Probekochen. Drei Esslöffel Crème fraîche sind wie viel Gramm? Was passiert, wenn ich einen Teil mit Buttermilch ersetze? Sollte ich den Ofen besser nach 20 oder 25 Minuten von 200 auf 160 Grad runterdrehen? Wie verändert sich dadurch das Garverhalten? Also noch mal losziehen, einkaufen, schleppen, kochen, messen, abwiegen, schreiben. Und zu dem Zeitpunkt ist noch kein einziges Foto im Kasten. Selbstverständlich gibt es haufenweise Blogs die ohne diesen Berufsethos beziehungsweise Qualitätsanspruch veröffentlichen, wonach ihnen gerade ist. „Ute probiert mal was“, „Petra liebt Süßes“, „Günther schmatzt“ – jeder kann ja bekanntlich bloggen. Da werden Konserven aufgerissen, Convenience-Produkte ohne jedes Schamgefühl zusammen gerührt, Maßangaben stimmen vorn und hinten nicht oder fehlen ganz, die Fotos sind unscharf, verwackelt, gnadenlos überbelichtet, die Küche sieht aus wie ein Schlachtfeld und die Kommentarleiste quillt über vor erzürnten Wortmeldungen. Ja gut, dann gibt’s heute Abend doch wieder Nudeln mit Tomatensauce.

Schreibe Rezepte so, dass sie jeder versteht

Die erste und wichtigste Regel, die ich als Food-Autorin gelernt habe: Schreibe Rezepte so, dass sie jeder versteht. Jeder. Auch Menschen, die kaum in der Lage sind, sich unfallfrei ein Käsebrot zu schmieren. Wir haben alle schon diese skurrilen Nachrichten gehört, wie ein vermeintlich verwirrter Autofahrer eisern der Stimme seines Navis folgte und wahlweise auf dem Truppenübungsplatz oder im Rhein landete: „Aber die hat doch gesagt, bitte folgen Sie der Straße.“ Genau dieser geistige Autopilot schaltet sich bei vielen Menschen ein, wenn sie eine Küche betreten: „Aber das steht doch so im Rezept.“

Mir ist kürzlich eine Null zu viel in den Text gekullert. Statt 100 ml sollte der Leser plötzlich 1000 ml Wodka in den Wackelpudding schütten. Der geübte Koch sieht sofort: Das kann gar nicht stimmen. Das wird grauenhaft schmecken und überhaupt nicht gelieren. Der Laie kippt unbeirrt die ganze Flasche Fusel in den Pudding und lallt anschließend erbost: „Das steht da aber so!"

Man macht sich die Mühe, gibt Geld für Zutaten aus, freut sich auf das Ergebnis und dann funktioniert der Quatsch nicht.

Die erfolgreichste Food-Bloggerin der Welt

Diese goldene Regel hat Deb Perelman verinnerlicht. Sie ist die mit Abstand erfolgreichste Food-Bloggerin auf dem Globus. Knapp fünf Millionen Menschen besuchen monatlich ihren Blog „Smitten Kitchen“. Seit mehr als zehn Jahren kocht sie in ihrer kleinen New Yorker Küche und lässt das World Wide Web daran teilhaben.

Deb Perelman ist zwar keine gelernte Köchin, lässt aber mit ihrem unglaublichen Perfektionismus so manchen Profi im Regen stehen. Egal ob süß oder salzig, aufwendig oder simpel – Ihre Rezepte funktionieren, weil sie mühselig und akribisch entwickelt wurden. Wie schwer ist eine mittelgroße Kartoffel? Wie viel wiegt das Eigelb eines kleinen Eies? Was passiert wenn ich  Meersalz und nicht Speisesalz hinzufüge? Deb Perelman hat es ausprobiert und protokolliert.

Smitten Kitchen - der ultimative Food-Blog

Regelmäßig überarbeitet sie ihre Rezepte. Smitten Kitchen ist natürlich englischsprachig. Als deutscher User braucht man dem entsprechend ab und zu eine Umrechnungstabelle: ¾ cups, ounces, sticks sind wie viel Gramm? 350 Grad Fahrenheit sind wie viel Grad Celsius? Google weiß Rat.

„Eine kleine Küche in New York“

Für ihr Kochbuch „Eine kleine Küche in New York“, welches nun auch auf Deutsch erscheint, wurden diese Hürden ausgeräumt. Alle Rezepte wurden übersetzt und umgerechnet. Die Auswahl reicht von herrlichen Frühstücksideen über kreative Salate, Sandwiches und Quiches, vegetarische Hauptgänge, Hauptgänge mit Fleisch, bis hin zu süßem Kleingebäck, Torten und Getränken. Deb Perelman kocht tendenziell klassisch, verleiht ihren Rezepten aber immer einen besonderen Dreh. Kleiner Wermutstropfen: Die Rezepte sind inhaltlich korrekt und verständlich, aber ein wenig holprig übersetzt worden. Dieser sprachliche Mangel wird dem Perfektionismus von Perelman leider nicht gerecht.

Was hat der Leser vielleicht jahrelang falsch gemacht?

Vor jedem Rezept steht eine ausführliche Einleitung. Die kann man locker überspringen und einfach mit der Zutatenliste und der Zubereitung starten, aber ich empfehle ab und zu einen Blick zu riskieren. Perelman beschreibt in diesen Texten wie sie auf das Rezept gestoßen ist, aber auch  was alles bei den ersten Versuchen schief ging. Das hat nicht nur einen hohen Wiedererkennungswert („Stimmt, mein Hefeteig wollte neulich auch partout nicht aufgehen.“), der Mehrwert ist erheblich. Der Leser erfährt über das Prinzip „learning-by-doing“, was er möglicherweise jahrelang falsch gemacht hat. Den Aufwandsgrad hat sie, als berufstätige Mutter, auch immer Blick. So gibt es in ihrem Buch ein Rezept für schnellen Pizzateig und ein Rezept für die zeitaufwendige, traditionelle Version. Perelman schreibt Rezepte für Laien und legt Wert darauf, nicht unnötig Geld für Küchengeräte oder Zutaten auszugeben. Sie betont immer wieder, dass man für kreatives Koch nicht zwangsläufig viel Platz und Material benötigt.  Improvisationstalent und  Ordnung sind die Zauberwörter. Ihre Begeisterung für leckeres Essen ist ansteckend und man ertappt sich beim Durchblättern dabei, wie man im Geiste den Inhalt des Kühlschranks überschlägt: „Muss ich noch zum Supermarkt oder habe ich  alles schon zu Hause?“ So muss ein Kochbuch funktionieren.

Rezept von Deb Perelman

Zutaten für vier Personen

  • 1  kg Hähnchenteile
  • (Schenkel, Flügel und/oder
  • Bruststücke) mit Haut und Knochen
  • Salz
  • schwarzer Pfeffer, frisch gemahlen
  • 1 EL Olivenöl
  • 1 Tasse (90 g) kernlose Weintrauben
  • 1 Tasse (130 g) Kalamata-Oliven, entsteint
  • 2 kleine Frühlingszwiebeln, in dünne Scheiben geschnitten
  • ½ Tasse (120 ml) trockener Weißwein
  • ½ Tasse (120 ml) Hühnerbrühe
  • 1 EL frischer Rosmarin, fein gehackt

Zubereitung: Den Backofen, mit einem Gitterrost in der Mitte,  auf 230 Grad  Ober-Unterhitze (Umluft: 210 Grad) vorheizen. Hähnchenteile trocken tupfen und großzügig mit Salz und Pfeffer würzen. Öl in einer ofenfesten 30-cm-Pfanne (am besten aus Gusseisen, falls vorhanden) auf mittlerer Stufe erhitzen, bis es zischt. Die erste Hälfte der Hähnchenteile anbraten, erst mit der Hautseite nach unten, dann wenden, etwa 5 Minuten weiterbraten.  Den Vorgang mit den restlichen Hähnchenteilen wiederholen. Bei diesem Arbeitsvorgang gehe ich sehr sorgfältig vor. Ich achte darauf, die Hähnchenteile erst dann zu wenden, wenn sich die Haut von selbst löst und einen schönen satten Braunton hat.

Nun alle Teile wieder in die Pfanne geben, mit der Hautseite nach oben, und Trauben, Oliven und Frühlingszwiebelscheiben dazwischen verteilen. Alles  etwa 20 Minuten im Ofen backen bis das Fleisch gut durch ist und Säfte freisetzt. Hähnchenteile, Trauben und Oliven mit einem Schaumlöffel auf eine Servierplatte geben, dann Weißwein und Hühnerbrühe zu dem Bratensaft in der Pfanne geben. Alles zusammen auf dem Herd aufkochen  dabei eventuell festgebackene braune Stückchen vom Pfannenboden -schaben  und zwei bis drei Minuten kochen lassen, bis sich das Volumen um die Hälfte verringert hat.

Die Sauce, falls gewünscht, durch ein Sieb streichen und über das Hähnchen gießen. Mit Rosmarin garnieren und dann abwarten, wie lange es dauert, bis Gäste anfragen, ob sie den Rest der Sauce von der Servierplatte löffeln dürfen.

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