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Interview zu KostümenMut zum Selbermachen

Lesezeit 3 Minuten

Herr Schmiel, Sie haben Befragungen unter anderem bei Kölner Jecken gemacht und sind zu dem Schluss gekommen, dass die Verkleidung sehr viel über den Charakter des Trägers aussagt.

Rolf Schmiel Ja, Kostüme sind wirklich nicht zum Verstecken geeignet. Durch das Kostüm tragen wir unsere innersten Sehnsüchte nach außen, wollen das sein, was wir im Alltag nicht sind.

Dann ist ja jeder Gang auf den Straßenkarneval so eine Art Seelen-Striptease.

Schmiel Wir können sicher nicht für jeden Einzelnen sprechen, aber es gibt gewisse Regelmäßigkeiten, was die klassischen Kostüme angeht. Der Cowboy etwa ist eher konservativ und vorsichtig und lebt privat und beruflich in recht engen Zwängen. Das gilt auch für den Piraten, der immer in den selben Sachen geht. „Einmal gekauft, für immer vertraut.“ Er wagt es vielleicht nicht, aus dem Gewohnten auszubrechen.

Rolf Schmiel ist Dipom-Psychologe, Buchautor und Motivationstrainer.

Wie sieht es bei den Standardkostümen der weiblichen Jecken aus?

Schmiel Niedliches Kätzchen und zarte Prinzessin drücken meist den Wunsch aus, hofiert, beschützt und gelobt zu werden. Die Prinzessin hofft auf Ritterlichkeit, die sie in ihrem Alltag nur selten erlebt. Sie ist in ihrer Sinnlichkeit nach Aschermittwoch eher zurückhaltend. Aber Vorsicht, es gibt auch durchaus wilde Prinzessinnen!

Wie ist es bei erotischen Verkleidungen?

Schmiel Wird die Sinnlichkeit sehr betont, ist sich die Verkleidete im Alltag ihrer Sexiness nicht so ganz sicher. Das sind oft Frauen, die ihren Marktwert noch einmal testen wollen, weil sie in selbigem verunsichert sind. Männer versuchen dagegen seltener, an Karneval besonders sexy zu wirken – außer natürlich im schwulen Karneval in Köln.

Hinter welcher Maske verbirgt sich die starke Frau?

Schmiel Wir haben festgestellt, dass gerade attraktive Frauen Mut zur Hässlichkeit zeigen und sich als Hexen mit Warzen und Buckel oder eklige Zombies verkleiden. Sie erleben im Alltag oft, dass sie auf ihr Aussehen reduziert werden und finden es dann ganz spannend, wenn Männer sich von der Maske nicht abschrecken lassen und die Frau dahinter kennen lernen wollen.

Was ist mit witzigen Kostümen – sind die weniger entlarvend?

Schmiel Ein Mann im Baywatch-Badeanzug oder im Bierflaschenkostüm will auf Teufel komm raus Humor beweisen. Das sind oft die Typen, die im Büro ständig Sprüche bringen, über die aber niemand lacht. Das tragischste Kostüm ist eigentlich der Clown. Der hat seine sexuelle Identität noch nicht gefunden. Und Trendkostüme, wie etwa derzeit der Protzbischof, zeigen, dass der Träger sehr leicht beeinflussbar ist.

Das klingt aber alles ganz schön vernichtend. Zu welcher Verkleidung würden Sie denn dann raten?

Schmiel Mut haben, selbst basteln, kreativ sein. Die selbst gemachten Kostüme sind die besten.

Wenn man das so hört, ist der Straßen- und Kneipenkarneval ja eine ganz schön anstrengende Sache, bei der man auch sehr enttäuscht werden kann.

Schmiel Nicht umsonst ist bei vielen neuen Bekanntschaften ja am Aschermittwoch alles wieder vorbei. Aber man sollte das alles nicht zu ernst nehmen und zu verkopft an die Sache herangehen. Schließlich sagen die 362 restlichen Tage mehr über die Menschen aus als die paar Karnevalstage.

Was raten Sie Menschen, die überhaupt keinen Spaß am Verkleiden haben?

Schmiel Die sollten sich dann aus dem Karneval ganz raushalten. Und es nicht mit einem Herzchen auf der Wange versuchen. Da muss man sich einfach auf die Spielregeln einlassen, sonst wird man zur Spaßbremse.

Das Gespräch führte Christiane Vielhaber