Neustarts und KlassikerFilm-Tipps für das lange Pfingstwochenende

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Sonnenbad auf dem Hochhausdach

Sonnenbad auf dem Hochhausdach

  • Dass das Kino am laufenden Band neue Stoffe produzieren kann, beweist Hollywood seit Jahrzehnten.
  • Schwarz-weiße Klassiker aus den Anfängen des Kinos beeindrucken auch heute noch genauso, wie die aktuellen Streaming-Neustarts. In unseren Film-Tipps finden Sie daher beides.
  • Ob skandinavisches Psycho-Drama oder Natalie Portman in ihrer besten Perfomance seit „Black Swan" - diese Neustarts sehen Sie am Wochenende.

Es ist erst ein paar Tage her, als in einem der öffentlich-rechtlichen Regionalnachtprogramme des Fernsehens „Solo Sunny“ zu sehen war. Selten, vielleicht niemals sah Ostberlin so traurig und zugleich so poetisch verhangen aus wie in diesem letzten Film des DDR-Regisseurs Konrad Wolf, dessen Hauptdarstellerin Renate Krößner damals – 1980 – bei der Berlinale einen Silbernen Bären gewann als beste Hauptdarstellerin gewann. Die Berlinale fand sozusagen gleich nebenan zu den Schauplätzen von „Solo Sunny“ statt, und doch hätte die Entfernung zwischen beiden Orten kaum größer sein können. Entsprechend sensationell war Krößners Triumph.

In Wolfs Film spielt sie eine Schlagersängerin, die im Arbeiter- und Bauernstaat vielleicht ein wenig zu mondän und selbstbewusst auftritt. Eine glamouröse Erscheinung, die mit ihren Chansons viel besser auf eine Bühne in Paris als in die Ostberliner Schuppen passen würde. Sie gehört nicht hierher, und sie ist dennoch ein Kind dieses seltsamen Landes – diesen Spagat zeigt Konrad Wolf grandios; „Solo Sunny“ ist einer der besten deutschen Filme überhaupt, man würde ihn gerne noch einmal auf der Leinwand sehen. Renate Krößner, seine wunderbare Hauptdarstellerin, ist nun mit 75 Jahren gestorben.

1. Pferde Stehlen: Landschaft der Erinnerung

Ein Film wie ein psychologisches Protokoll von Hans Petter Moland

Erinnerung funktioniert nicht auf Knopfdruck, sie ist oft wie eine Stimme, die ungebeten in die Gegenwart hineinredet, manchmal quasselt sie, manchmal ist sie überaus klar. Trond hat es als alter Mann zurück nach Norwegen gezogen, dorthin, wo er in jungen Jahren Zeit mit dem Vater verbrachte. Die Wälder sind gewaltig in dieser Gegend, versprengt, geradezu windschief einsam liegen Häuser dazwischen, und wenn man Menschen begegnet, geschieht dies aus Vorsatz – zufällig läuft man in dieser Ewigkeitslandschaft niemandem über den Weg. Das hat sich über die Jahre nicht geändert.

Es ist eine doppelte Landschaft, in die Hans Petter Moland die Figuren seines Films verpflanzt, der nach dem Roman von Per Petterson entstand. Das eine ist das weite Land, in das der Schwede Trond (Stellan Skarsgard) zurückkehrt; das andere ist die Erinnerungslandschaft, die sich besonders plötzlich vor dem inneren Auge ausbreitet, als mit Lars ein alter Bekannter aus Kindertagen wieder auftaucht.

Ein Blick in die Köpfe

Gegenwart und Vergangenheit beginnen sich zu durchdringen, Erinnerungen schießen wie Blitze hervor, und manchmal überlagern sie sich so stark, dass auch das Vergessen eine zentrale Rolle spielt. Ein Film blickt in die Köpfe seiner Protagonisten, das ist die faszinierende Wirkung von Molands „Pferde stehlen“.

Zum Beispiel die Geschichte mit dem Hund. Wie aus dem Nichts steht Lars eines Abends vor Tronds Haus, er hat einen Border Collie dabei, um dessen Leben Lars fürchtet, weil in den Wäldern Wölfe hausen. Einmal musste er auf Geheiß seiner Mutter einen Hund erschießen, der Rehkitze jagte, erzählt er Trond, der zu ahnen beginnt, dass dieser Lars kein Unbekannter ist.

Die Geschichte vom erschossenen Hund überdeckt eine andere Erinnerung, und auch in dieser Erzählung schießt Lars. Es ist ein Schuss, der sich im Spiel und aus Versehen löst, und tödlich getroffen wird der kleine Bruder.

Ein Film wie ein psychologisches Protokoll – nicht allein in der Verschränkung der Zeiten, im beständigen Wechselspiel zwischen Bildern aus der Vergangenheit und der Jetzt-Zeit, in der Trond und Lars ihre wortkargen Begegnungen mit gemeinsamen Mahlzeiten und einem fast bedrohlich wirkenden gegenseitigen Lauern verbringen.

Irgendetwas kommt nicht zur Sprache in diesem Aufeinandertreffen der beiden Männer, aber das Unausgesprochene ist präsent. Geht es zurück auf die Affäre, die Tronds Vater und Lars' Mutter miteinander verband? In einer Zeit, die vom Zweiten Weltkrieg überschattet war und beide im Widerstand gegen die Nazis kämpften? In den Rückblenden entspinnt sich eine Geschichte, die später im Fluss der dahingehenden Zeit untergeht, aber niemals ganz verschwindet.

Gewaltige Natur

Die Wahrnehmungen sind übergroß in Molands „Pferde stehlen“. Vor allem die Natur stürmt auf die Sinne ein, und dafür findet der Regisseur in der Urwüchsigkeit der norwegischen Wälder überreich Impulse: Der Flügelschlag eines Raubvogels peitscht wie ein Hieb, der Regen veranstaltet ein symphonisches Konzert, und wenn die Menschen versuchen, sich in dieser Umgebung zu behaupten, stoßen sie auf einen Widerstand, der erschütternd beiläufig geschieht: Als Tronds Vater und sein Freund abgeschlagene und bereits geschälte Baumstämme stemmen, kommt es zum Unfall, der wie durch ein Naturgesetz gesteuert ist.

Und als der junge Trond dem Filmtitel gemäß ein Pferd stiehlt und ohne Sattel und Zaumzeug davonstürmt, endet der Ritt im Desaster – niemand führt es herbei, keiner trägt Schuld. Die Natur besitzt ein Eigenleben, und am allerwenigsten weiß sie selbst davon.

Im Jahr 2010 hat Moland den Film „Ein Mann von Welt“ gedreht – auch darin spielt Stellan Skarsgard die Hauptrolle, in einer Weise, die das Gegenteil von dem zeigt, was der Titel behauptet. Sein Ulrik ist ein ehemaliger Häftling, der wegen Mordes gesessen hat, nun verbringt er seine grauen Tage damit, auf eine Welt zu blicken, die er nicht mehr versteht.

Flucht vor der Vergangenheit

Auch Trond in „Pferde stehlen“ leidet im Laufe des Films unter Weltverlust: Am Beginn beteuert er, dass er genau hier, in dieser Einsamkeit Norwegens, leben wolle, und wie er sich darauf freue, sich am Silvesterabend alleine volllaufen zu lassen, während die Leute im entfernten Dorf feiern. Dann lernen wir seine Vorgeschichte kennen:

Trond ist Witwer, und auch dieses Schicksal schildert Moland in einer unvergleichlich dichten Montage während einer Autofahrt, auf der Trond beinahe dasselbe geschieht wie vor Jahren seiner Frau. Alle Figuren in diesem Film sind in irgendeiner Weise Gefangene ihrer Geschichte, die Vergangenheit hält sie im Griff.

Was sich Trond im Alter in Norwegen noch einmal aufbauen wollte, womöglich, weil er vor der Vergangenheit flüchtet, bricht allmählich unter dem Druck ebendieser Vergangenheit wieder zusammen. Da ergeht es ihm wie dem Vater auf dem Haufen übereingeschichteter Holzstämme, die auf einmal ins Rollen geraten.

Es ist ein pessimistischer Blick, den Moland auf den menschlichen Willen wirft, eine Absage an jede Freiheitseuphorie. Als Refugium bleibt die Erinnerung, der man sich stellen muss. Daraus erst erschließt sich der Eindruck von Freiheit, der Aura Trond letztlich doch umgibt. Er läuft vor seinen Rückschlägen nicht davon – und findet so  etwas wie Glück.

Amazon/Maxdome/Google Play. Pferde stehlen. Norwegen/Schweden/Dänemark 2019, 122 M., R Hans Petter Moland, D Stellan Skarsgard. Psychologisch ungemein intensives und geschicktes Erzählgeflecht, das die Funktionsweise von Erinnerung sinnlich genau nachvollzieht

2. Vox Lux: Neuwerdung eines Stars

Können schlechte Menschen gute Lieder haben?  Ein Drama um Popmusik und Terror

Das Projektil aus der Waffe des jungen Amokläufers verfehlt die Wirbelsäule nur um Millimeterbreite. Immerhin überlebt Celeste, kommt nach langem, hartem Training wieder auf die Beine und verarbeitet ihre Gefühle in einem Song, den sie zusammen mit ihrer älteren Schwester Eleanor schrieb. Damit beginnt Celestes Aufstieg zum Popstar.

Nach blutigem Preludium und einem Vorspann, der die erste Hälfte des Nachspanns abspult, eröffnet die zweite Regiearbeit des immens talentierten und risikofreudigen Brady Corbet ihren ersten Akt, der Genesis heißt und die ersten Schritte eines traumatisierten Mädchen in Gestalt der fragilen Raffey Cassidy in ein verstörend somnambules Klima einbettet.

Ein Sprecher aus dem Off begleitet das Geschehen in der Funktion eines griechischen Chores, in 60-sekündigem Parforceritt wird das Wesen des schwedischen Popkalküls analysiert, bevor Celeste inmitten einer subtilen Kamerafahrt und zum beunruhigenden Violinenminimalismus aus der Feder des unlängst verstorbenen Scott Walker über die erste Stufe des Erwachsenwerdens gleitet.

Dann geht der Film zur Regenesis (Neuwerdung) über, die 15 Jahre überspringend ins Jahr 2017 führt. Celeste ist jetzt 31 Jahre alt, wird verkörpert von Natalie Portman und die dreht in einer Weise auf, wie man es nicht mal in ihrer Oscar-Rolle in „Black Swan“ für möglich gehalten hätte.

Celeste hat zwischenzeitlich durch alle Höhen und Tiefen des Popgeschäfts erlebt, in einem selbst verschuldeten Autounfall ihr linkes Augenlicht verloren und jemandes Leben zerstört. Heute Abend soll in einer spektakulären Show ihr neues Album „Vox Lux“ die Wende einläuten. Erst aber gilt es eine Krise abzuwenden, denn fernab in Kroatien feuerten Terroristen auf Sonnenbadende am Strand und trugen jene Masken wie Celeste im Video ihres Friedenssongs 16 Jahre zuvor.

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Die Steilvorlage, die kaltschnäuzige Beschwichtigungspolitik des Popgeschäfts ironisch zu karikieren, bleibt nicht ungenutzt, wenn Celeste sich auf einer Pressekonferenz zum einzig würdigen Vertrauensschöpfer ausruft, was vom Management (die hinreißend abgeklärten Jude Law und Jennifer Ehle) im Gegenzug dementierend bereinigt werden muss.

Natalie Portman bestreitet diese Szenen mit dem kaprizierten Selbstverständnis einer professionell ausdressierten Zicke, was auch dann amüsant anzuschauen ist, wenn sie im Anflug von Selbsterkenntnis das Gespräch mit ihrer halbwüchsigen Tochter Albertine sucht und dabei buchstäblich in den Spiegel schaut: Albertine wird ebenfalls von Raffey Cassidy gespielt, was in der Tat verstörende selbstreferenzielle Momente erzeugt.

Portmans rasende Performance, die mal in Zeitraffer forciert, dann wieder in Zeitlupe im besten „Birdman“-Stil intensiviert wird, entlädt sich in einem keimfrei blitzenden Finale, wenn die Show doch noch steigt, Portman mit dünner Stimme und makelloser Silhouette auftrumpft  und die Kamera nur in strahlende Gesichter blickt. Die Happyness ist verlogen, aber unglaublich schön.

Koch Films (DVD, BluRay) Vox Lux USA 2018 112 Minuten R Brady Corbet D Natalie Portman, Raffey Cassidy, Jude Law, Stacey Martin. Schillernde Melodramatik in superber filmischer Umsetzung, veredelt mit einer sensationellen schauspielerischen tour de force von Natalie Portman.

3. Las Insoladas – Sonnenstiche: Hitzetraum in Haribo-Farben

Sechs Frauen sinnieren unter sengender Sonne über das Leben

George Harrisons „Here Comes The Sun“ vermittelt zeitlos optimistisches Lebensgefühl. Das ist sogar in diesem Film so, wenn die Sonne über Buenos Aires auch skrupelloseste Hochhaussünden charmant aussehen lässt.

Es ist der Tag vor Silvester 1995, Hochsommer also. Um 9 Uhr 38 zeigt das Thermometer schon 27,3 Grad Celsius an. Die Freundinnen Sol, Vicky, Karina, Valeria, Lala und Flor haben sich auf dem Dach eines Hochhauses getroffen. Nach sechsmonatigem Training wollen sie am Abend beim Salsa-Wettbewerb abräumen. Ein kollektives Aufwärmritual zwischen Limo, Schokolade und Wasserbad soll entspannen. Derweil klettert das Thermometer der Grenze von 40 Grad entgegen. Die Gedanken beginnen zu fliegen. Wie schön wäre es doch, einmal gemeinsam nach Kuba zu reisen. Der Ausstieg ins Paradies wächst sich zur fixen Obsession aus.

Las Insoladas, die einen Sonnenstich haben, lautet der Künstlername der sechs attraktiven Señoras aus der Mittelschicht, die rund anderthalb Stunden über die kleinen Träume vom großen Glück plappern. Sie lieben die Sonne und den Planeten Erde und das Dach ist ihr Tempel. Hier ist man unter sich, diskutiert über das, was gerade in den Sinn kommt, was nicht immer sinnstiftend, aber ungemein authentisch ist.

Haarscharf hat man dabei im Auge, dass keine vorschnell davonzieht, aber auch keine dramatisch zurückfällt. Es sind schlichte Gemüter, nicht zu bildungsnah positioniert (immerhin eine studiert), aber ausgestattet mit beachtlicher gegenseitiger Sozialkompetenz; ein Schlag also, der gemeinhin im Kino am liebsten nur in Nebenrollen zugelassen ist, hier aber die zentralen Positionen einnimmt und das auch noch knusprig gebraten im Bikini.

Der Argentinier Gustavo Taretto inszeniert das als Hitzetraum in Haribo-Farben, ästhetisch dem frühen Almodovar zugetan; „Frauen am Rande des Sonnenstichs“ wäre sicher der schickere Titel gewesen. Zum spanischen Originalton wurden deutsche Untertitel zugestellt. Wer demnach nicht fließend spanisch spricht, der hat viel zu lesen.

VoD über vimeo.com Las Insoladas – Sonnenstiche ARG 2014 105 Minuten R Gustavo Taretto D Carla Peterson, Luisana Lopilato. In Haribo-Farben getränktes Kammerlustspiel um sechs Freundinnen im Smalltalk-Gewitter beim Sonnenbad auf einem Hochhausdach

FILMKLASSIKER FÜR JUGENDLICHE

Wie, alte Filme? Und dann noch schwarz-weiß? Das geht gar nicht! Das müffelt angestaubt, nach etwas, das man gar nicht aussprechen mag: „Filmklassiker“. Tatsächlich hat die Bezeichnung etwas mit „alt“ zu tun, aber im guten Sinne weit mehr mit „zeitlos“.

„Zeitlose“ Filme gefallen Menschen schon seit Generationen, und auch heute noch macht es alten und jungen Filmfans Spaß und Freude, Filmklassiker, die es im Kino oder im Fernsehen kaum noch zu sehen gibt, zu entdecken oder wiederzusehen.

Denn seien wir ehrlich, längst gehören sie zum popkulturellen Alltag: Wie anders kann man „Stranger Things“ genießen, wenn man nicht weiß, dass diese Serie voller Referenzen an Klassiker wie „E.T.“ oder „Stand By Me“ steckt? Wie kann man sonst die zahllosen Anspielungen bei „Family Guy“ entschlüsseln? Wie die „Love, Death + Robots“-Episode „Eiszeit“ verstehen, wenn man nicht weiß, dass sich das kleine Volk im Tiefkühlfach eines Eisschranks eine Welt wie in „Metropolis“ baut? Und dass man sich schon bei „Star Wars“ Fritz Langs Stummfilm aufmerksam ansah, um Coruscant, den Regierungssitz der Galaktischen Republik, zu gestalten? Und wie kann man nur annähernd das journalistische Credo der neunjährigen Hilde in „Home Before Dawn“ nachvollziehen, wenn man nicht „Die Unbestechlichen“ kennt? Also: Scheuklappen weg, Filmklassik ist jeden Versuch wert!

1. Wahrheitssuche: Die Unbestechlichen

Die neunjährige Hilde in der Serie „Home Before Dawn“ hat einen Lieblingsfilm: „Die Unbestechlichen“ von Alan J. Pakula aus dem Jahr 1976. Auf die Frage, ob sie sich nicht mal etwas anderes ansehen wolle, reagiert sie empört: „Aber der ist so gut...!“ Hilde gehört zu der jungen US-amerikanischen Generation, die mit einer ganz neuen Art der Fake News aufgewachsen ist. Da kommt ihr der Film gerade recht als vorbildliches kämpferisches Plädoyer für journalistische Integrität. „Die Wahrheit ist das, was alles wieder gut werden lässt“, sagt sie ebenso kindlich wie idealistisch.

„Die Unbestechlichen“ erzählt von den engagierten Journalisten Bob Woodward (Robert Redford) und Carl Bernstein (Dustin Hoffman), die die Machenschaften des obersten Politikers des Landes aufdecken. Heute gehört die Watergate-Äffare um Richard Nixon zu den einschneidenden Ereignissen der modernen US-Geschichte, damals war das Thema für das engagierte Hollywood ungeheuerlich: Ein Präsident hebelt die Prinzipien der Demokratie aus, um seine politischen Gegner mundtot zu machen!

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2. Unvergleichliches Juwel: Tatis herrliche Zeiten

Wie funkelnde Sterne ziehen Jacques Tatis kunstvolle Komödien ihre Bahn am Kinofirmament. Sanft-subtil erzählen sie von Ferien, Reisen oder Verkehr, von der Muße des bescheidenen Daseins oder dem Alltagswahn der Moderne.

In „Tatis herrliche Zeiten“ (1967) flaniert die freundliche Kunstfigur Monsieur Hulot durch urbane Stationen menschlichen Miteinanders, erkundet den Pariser Flughafen Orly als aseptischen Ort der Begegnungen, die sterile Atmosphäre eines gigantischen Bürokomplexes aus Stahl, Beton und Glas sowie die übersteigerten Umgangsformen in einem mondänen Edelrestaurant.

Tati drehte den Film im 70mm-Format und konzipierte ihn als überbordendes Bild- und Tongemälde, das die Räume in ihrer ganzen Tiefe nutzt. Vieles ist nur in Spiegelungen zu sehen, etwa der Eiffelturm, die menschliche Sprache wird zum abstrakten Geräuschwirrwarr. Irgendwo passiert immer irgendetwas, doch Tati baut keine Pointen auf, er überlässt es dem Betrachter, die unvorhersehbaren Momente zu entdecken. Eine verführerische Schule des Sehens und Hörens.

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3. Niemand ist vollkommen: Manche mögen’s heiß

In „Spider-Man 3“ baut der amerikanische Superheld Mist, zumindest privat. Tief hat er Mary Jane verletzt, nun singt sie traurig: „I’m through with love, I’ll never fall again, Said adieu to love…“ Hinreißend schön trägt Kirsten Dunst den Song vor, den es vielleicht nur einmal noch eindringlicher gab, gesungen von Marilyn Monroe in Billy Wilders „Manche mögen’s heiß“ (1959).

Man traut kaum seinen Augen, wie offensiv sie ihre erotische Ausstrahlung ausspielt, während sich der sichtlich zerknirschte Tony Curtis in den Schatten drückt und dabei selbst in biederen Frauenkleidern steckt. Jetzt erst begreift er die Folgen seines falschen Spiels mit vertauschten Geschlechterrollen, das sich extrem komisch, aber auch ziemlich rücksichtlos verselbstständigte. Am Ende ist völlig egal, ob jemand Mann oder Frau ist.

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4. Trauriges Ungetüm: King Kong und die weiße Frau

Die Geschichte von King Kong, der Affenkreatur, die aus dem fernen Urwald in die sensationsgierige, mitleidlose Broadway-Glitzerwelt verschleppt wird, wurde oft verfilmt, variiert und modernisiert, aber dem Klassiker von 1933 mit Fay Wray als Love Interest des geschundenen Tiers hat das nie geschadet.

Im Gegenteil: Mit jedem neuen Sehen prägt sich die Tragödie hinter dem spektakulären „Sensationsfilm“ tiefer ein, wobei man nicht umhin kann, auch an die Marvel-Filme zu denken, in denen Natasha Romanoff (Scarlett Johansson) die wilde, grüne Kreatur Hulk besänftigt: „Hi, mein Großer, die Sonne steht schon sehr tief…“

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5. Sommergeheimnis: Stand By Me

Wie bei den russischen Matrjoschka-Puppen schachteln sich die vielen Zeit-, Bild- und Bedeutungsebenen ineinander, die Rob Reiner mit seiner Stephen-King-Verfilmung vor mehr als 30 Jahren anstieß.

In der Rahmenhandlung erinnert sich ein Schriftsteller im Jahr 1986 an ein abenteuerliches Kindheitserlebnis in den späten 1950er-Jahren. Vier zwölfjährige Freunde im verschlafenen Nest Castle Rock im Nordosten der USA, die viel Zeit miteinander verbringen, suchen in den Wäldern nach der Leiche ihres verschollenen Mitschülers.

Melancholisch und tiefgründig handelt das „Geheimnis eines Sommers“ von der ersten Begegnung mit dem Tod, von Trauer und dem Verlust der kindlichen Unschuld. Und damit von all den „fremden Dingen“, den „Stranger Things“, die bis heute in den Initiationsgeschichten diverser Fantasy-Serien nachhallen.

Erhältlich bei Amazon, Sky Store, Rakuten TV, Magenta TV u.a.

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