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100 Ideen für KölnEckart von Hirschhausen: „Wir brauchen ein Kältenetz für Köln“

6 min
Eckart von Hirschhausen

Eckart von Hirschhausen ist Deutschlands vielleicht bekanntester Arzt und noch dazu Kabarettist.

Der bekannte Arzt und Kabarettist wünscht sich mehr städtisches Grün, „pocket parks“ und Köln als „Schwammstadt“.

Was ist meine Idee für Köln?

Was mir vorschwebt, ist ein Kältenetz für Köln.

Nie werde ich den Moment vergessen, an dem ich vor vier Jahren im ausgetrockneten Flussbett des Rheins saß und hätte heulen können. Der in jedem Kölner Lied besungene „Rhing“ war zu einem Rinnsal geworden. Zudem war es unerträglich heiß. Und als ich zu den Zusammenhängen von Klimakatastrophe, Verlust von Natur und menschlicher Gesundheit in einer Talkshow befragt wurde, schlug ein Politiker vor, doch einfach die Fahrrinne zu vertiefen. Herr, wirf Hirn vom Himmel! Und genug Regen!

Man kann Autos tiefer legen, aber keine Flüsse. Naturgesetze gelten weiter, selbst wenn man Physik in der Schule abgewählt hat. Und zur Biologie des Menschen gehört, dass wir Hitze nicht gut abkönnen. Wir brauchen, um klar zu denken, einen kühlen Kopf. Sonst werden wir aggressiv, machen mehr Fehler und Unfälle. Hassmails und psychische Erkrankungen nehmen nachweislich zu, oder wie der Kölner sagt: „Da wirste janz rammdösisch.“

Not so Fun-Fact: Jedes analoge Fieberthermometer endet bei 43 Grad. „Mehr musste auch nicht messen, da biste nämlich tot.“ Bei dieser Überhitzung gerinnen unentrinnbar unsere Proteine. So wie beim Ei auch.

Eine grüne Hauswand in Paris mit 237 Pflanzenarten

Eine grüne Hauswand in Paris mit 237 Pflanzenarten

Zum Kühlen braucht es Wasser, in unseren Adern und in den Lebensadern, Zirkulation und Verdunstung. Vom Blut ins Hirn, auf der Haut in die Poren. Genauso in der Stadt, im Boden, in den Bäumen, in den Leitungen und im Rhein. Was gerade passiert, ist eine Katastrophe mit ausführlicher Ankündigung. Der CO2-Gehalt in der Atmosphäre steigt weiter. Jede Tonne Kohle, die wir jetzt noch aus dem rheinischen Revier durch den Schornstein jagen, fällt uns bitter auf die Füße. Wollen wir wirklich so lange weiter fossilen Strom machen, bis der Rhein kein Strom mehr ist? Bis wir alle am Rad drehen? Wenn es dann doch wenigstens ein Windrad wäre!

Die unschöne Nachricht zum Sommer 2025: Auch wenn er landesweit und global wieder Hitzerekorde gebrochen hat, wird 2025 eines der kühleren Jahre sein für den Rest unseres Lebens. Die bessere Nachricht: Damit Köln hitzeresilienter wird und auch in Zukunft cool bleibt, braucht es dringend Anpassung. Und die Ideen dazu gibt es.

Warum wäre das gut für die Stadt?

Seit bald 20 Jahren arbeite ich für den WDR und habe dadurch Köln kennen und lieben gelernt. Das Lebensgefühl mag ich, und das sage ich als bekennender Berliner und Protestant! Viel passiert draußen, auf den Straßen, in den Cafés, im „Veedel“ oder rund um den Dom und am Rhein. Aus meiner Arbeit im Nachhaltigkeitsbeirat NRW weiß ich leider auch, dass ausgerechnet dieses Lebensgefühl massiv gefährdet ist. Köln, mit dichter Bebauung und vielen Hitzeinseln wird sich stärker erwärmen als das Umland oder andere Städte. Ab 2031 bereits erwarten Experten bis zu 14 mehr Hitzetage und bis zu 20 mehr Tropennächte. Da kann man weder gut schlafen noch feiern. Oder tagsüber arbeiten, erst recht nicht im Freien.

Wie könnte die Umsetzung gelingen?

„Et hät noch immer jot jejange“ – hilft nicht. Anderswo zu schauen, wie es gut geht, hingegen schon. Am besten setzt man sich in den Zug und fährt zur Inspiration nach Paris. Dort ist man 20 Jahre weiter, zum Beispiel im Viertel Clichy-Batignolles, das ich für meine ARD-Doku „Medizin von Morgen“ besucht habe.

In der Hitzewelle von 2003 starben in Frankreich Tausende Menschen. Ein Schock für das ganze Land. Und der Moment zum Umdenken. Engagierte Bürgermeister haben seitdem die Lebensqualität der Stadtbevölkerung ganz oben auf die Agenda gesetzt. Hunderte Hektar neuer Parks sind entstanden, und aus einer Industriebrache wurde mitten in der Stadt eine Art Dschungel. Teiche, fließende Gewässer, ganz viel Grün im Park, an Häuserfassaden und auf den Dächern.

Man fährt kaum noch Verbrenner, sondern viel mit dem Fahrrad. Selbst zwischen den Schienen der Straßenbahn wurde der Beton entsiegelt und Gras gepflanzt. Litfaß-Säulen verbessern die Luft durch Moose und Algen im Inneren. Clichy-Batignolles ist an ein Wärmenetz angeschlossen mit 85 Prozent geothermischer Energie. Die hierzulande absurd gescholtene Wärmepumpe heißt übrigens auf Französisch „thermofrigopompe“: Sie wärmt im Winter und kühlt im Sommer.

Ein Kältenetz wurde 2024 zu den Olympischen Spielen für das Olympische Dorf geschaffen. Das bräuchten wir dringend auch in Köln, vor allem für Orte, an denen vulnerable Menschen versorgt werden: Krankenhäuser, Altenpflegeheime, aber auch Kitas und Schulen. Jeder Stadtbewohner sollte wissen, wer in seiner Nachbarschaft besonders hitzegefährdet ist, und gerade bei älteren Menschen mit Vorerkrankungen nachsehen, dass sie genug trinken, die Wärme möglichst gar nicht in die Wohnung lassen und rettende Orte kennen, eine alte Kirche, ein schattiger Friedhof oder auch ein Museum zur Kühlung.

Für ein Kältenetz braucht es zudem viel mehr städtisches Grün. Auch kleine sogenannte „pocket parks“ helfen. Köln muss eine „Schwammstadt“ werden. Im Karneval sind die Kölner fähig, in kurzer Zeit sehr viel Flüssigkeit zu sich zu nehmen. Dazu sollten sie auch ihre Stadt befähigen.

Was braucht es dafür?

Die Stadt Köln hat schon begonnen, den Hitzeschutz ernst zu nehmen – auch dank des sehr vorausschauenden langjährigen Leiters des Gesundheitsamts, Johannes Nießen. Es braucht jetzt viel mehr Tempo und die Kombination aus öffentlichen Rahmenbedingungen, Förderung und privaten Investitionen. Wir haben eine Jahrhundertaufgabe vor uns – und weniger als ein Jahrzehnt Zeit.

Das städtische Umweltamt fördert Dach- und Fassadenbegrünungen, Regenwassertanks oder die Umrüstung von Stein- zu Pflanzengärten. Unternehmen, die ihre Mitarbeiter schützen, Lieferketten sichern und Schadensrisiken reduzieren, verschaffen sich Standortsicherheit und Wettbewerbsvorteile. Und für alle, die bei Hitze draußen sind oder sein müssen, braucht es öffentliche Orte zum „Chillen“, was wörtlich ja nichts anderes meint als abkühlen.

Mein absolutes Highlight in Paris waren Stationen mit einem ganz feinen Sprühnebel – eine herrliche Erfrischung. Gibt es auch in Köln mittlerweile. Geht im Karneval sicher auch mit Kölsch.

Zur Person

Eckart von Hirschhausen ist Arzt, Autor, Wissenschaftsjournalist für den WDR und Gründer der Stiftung Gesunde Erde – Gesunde Menschen. Er wurde in den Nachhaltigkeitsbeirat NRW berufen und behält gerne einen kühlen Kopf.

Zur Serie „100 Ideen für Köln“

„100 Ideen für Köln“ ist die Serie des „Kölner Stadt-Anzeiger“, die der Stadt neue Impulse verleihen soll: „100 Ideen für Köln“. Was muss passieren, damit die viertgrößte Stadt Deutschlands mit ihrer Strahlkraft in die Region zukunftsfähig bleibt? Was ist dringend zu verbessern? Was fehlt in dieser Stadt? Im Vorfeld der Kommunalwahl am 14. September sammeln wir besten Vorschläge, Lösungen und Visionen – auch als Inspiration für die künftige Stadtspitze. Dazu fragen wir nicht nur prominente Vertreter der Stadtgesellschaft, sondern auch Sie, liebe Leserinnen und Leser: Stimmen Sie ab über die ersten 50 Ideen für Köln.