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Noch 300 freie PlätzeKölner Kindertagespflege klagt über Abwerbungen durch Kitas

6 min
Eine Kindertagespflegerin spielt mit drei Kleinkindern.

In der Großtagspflege „Pinta Caminos“ in Braunsfeld sind bislang alle Plätze belegt – aber die Sorgen sind groß.  

Der massive Ausbau der Kitaplätze und die niedrige Geburtenrate haben offenbar zu einer Konkurrenzsituation bei der Betreuung von Unter-Dreijährigen geführt.  

Die Stadt Köln hat zum Ende des Kitajahres mit dieser Nachricht überrascht: „In der Kindertagespflege stehen aktuell stadtweit noch freie Betreuungsplätze für Kinder unter drei Jahren zur Verfügung“, heißt es darin. „Etwa 300 Plätze“ seien für Anfang August noch zu vergeben, allerdings nicht gleichmäßig über das Stadtgebiet verteilt. So sei etwa in Chorweiler, wo der Mangel an Kitaplätzen seit Jahren so groß ist wie in keinem anderen Kölner Stadtteil, aktuell nichts mehr frei. In Nippes oder in der Innenstadt gebe es dagegen noch Plätze. 

Der Kitaausbau der vergangenen Jahre auf der einen und der Rückgang der Geburtenrate auf der anderen Seite, in Köln bekommen Frauen im Durchschnitt nur noch 1,17 Kinder, spielen da eine Rolle.

Die Kehrseite dieser Nachricht: 300 freie Plätze in der Kindertagespflege bedeuten hochgerechnet Existenznöte für rund 60 Kölner Tagesmütter oder Tagesväter. Sie sind auf die Betreuung der Kleinsten spezialisiert und kümmern sich in der eigenen Wohnung um maximal fünf unter drei Jahre alte (U3) Kinder.

Bisher war es üblich, dass Kinder, deren Eltern sich in den ersten Jahren für diese Form der Betreuung entschieden haben, mit drei Jahren in eine Kita weitergezogen sind. Nun klagen Kölner Tagespflegepersonen aber, dass die Kinder immer häufiger schon deutlich früher in eine Kita wechseln. Und das nicht unbedingt, weil die Eltern das so wollen, sondern weil die Kitas die Kinder abwerben.

Die Kitas machen den Eltern Angst.
Eine Kölner Tagesmutter

„Ich höre immer wieder von Eltern, dass die Kitas ihnen sagen, wenn sie den Platz nicht jetzt nehmen, stehe er bei den über Dreijährigen  wahrscheinlich nicht mehr zur Verfügung“, erzählt eine Kölner Tagesmutter, die seit über 20 Jahren Kinder bei sich zu Hause betreut. „Die Kitas machen den Eltern Angst.“

Die 63-Jährige hatte immer eine Warteliste, wechselte ein Kind mit drei oder dreieinhalb Jahren in die Kita, konnte sie den Platz nahtlos neu besetzen. „Heute gehen viele schon mit zwei Jahren wieder“, sagt sie. Ab August hat diese Tagesmutter aktuell nur einen Platz belegt. „Damit kann ich meine Miete zahlen, aber ich muss ja auch leben.“

Fälle wie dieser häuften sich seit ein, zwei Jahren, sagt Alice Birkenfeld, die Vorständin des Vereins Kölner Kindertagespflege, einem Zusammenschluss mehrerer Kindertagespflegepersonen. „Kinder werden von den Kitas massiv abgeworben und Eltern wollen die Chance auf einen Platz nicht verpassen“, sagt sie. Im Mai 2023 habe es in Köln noch 905 Tagespflegepersonen gegeben. Aktuell sind es nach Angaben der Stadt 808. „Viele haben schon aufgegeben“, sagt Birkenfeld. 

Seit dem vergangenen Jahr ist die Zahl der Kindertagespflegepersonen in Köln von 905 auf 808 zurückgegangen

Sie selbst arbeitet seit 2007 als Tagesmutter und ist Teil der bilingualen Großtagespflege „Pinta Caminos“ mit drei Ladenlokalen in Braunsfeld. Aktuell seien alle Plätze vergeben, „aber so ein wildes Spiel hatten wir noch nie, die Eltern sind reihenweise überraschend mit ihren Kindern in die Kitas gezogen“. Das Problem dabei sei: „Wenn ein Kind fehlt, wackelt bei uns gleich die Existenz.“ 

Die Stadt Köln erklärt in ihrer Mitteilung zu den freien Plätzen in der Kindertagespflege, dass sich das Angebot an Familien richte, „die auf der Suche nach einer verlässlichen und professionellen Betreuung in einem familiären Umfeld sind“. Die Kindertagespflege sei „eine gleichwertige Alternative zur Betreuung in der Kindertagesstätte (Kita)“ und biete „neben einer persönlichen Atmosphäre und einer festen Bezugsperson zudem flexible Betreuungszeiten“. Wer sich für einen Platz interessiere, solle sich an die „Kontaktstelle Kindertagespflege Köln“ wenden.

Vereins-Vorständin Birkenfeld sieht aber genau hier ein weiteres Problem neben den Abwerbe-Praktiken der Kitas. Die Zusammenarbeit mit der Kontaktstelle Kindertagespflege beschreibt sie als sehr unzufriedenstellend. „Warum wird nicht mit lauten Trommeln für die Kindertagespflege in Köln geworben?“, fragt sie. Die Mitteilung zu den freien Plätzen ist ihrer Aussage zufolge überhaupt erst auf Bitten des Vereins verschickt worden. Der Verein habe nun selbst eine interaktive Köln-Karte erstellt, auf der Tageseltern eingetragen sind. 

Die Tagesmutter, die seit über 20 Jahren Kinder betreut, ihren Namen aber lieber nicht in der Zeitung lesen möchte, sagt: „Die Stadt? Ich hatte nie Glück mit denen.“

Kölner Verein für Kindertagespflege bietet Übersicht auf interaktiver Karte

In ihrer letzten Bilanz zur Kindertagesbetreuung vermeldete die Stadtverwaltung Erfolge. „Mit der Eröffnung von neun neuen Kindertageseinrichtungen und der Schaffung von 480 zusätzlichen Betreuungsplätzen hat die Stadt Köln im Kindergartenjahr 2023/2024 einen bedeutenden Schritt unternommen, um den wachsenden Bedarf an frühkindlicher Betreuung zu decken“, heißt es darin.

Aktuell gebe es in der U3-Betreuung 11.069 Plätze in den Kölner Kitas und 3.576 in der Kindertagespflege, teilt die Stadt auf Anfrage mit. Seit dem Kitajahr 2021/22 seien insgesamt 987 U3-Betreuungsplätze in den Kölner Kitas geschaffen worden, allerdings nur 74 davon in Einrichtungen in städtischer Trägerschaft.  

Der massive Fachkräfte-Mangel konnte bei all diesen Fortschritten noch nicht behoben werden, und das bringt das System nach wie vor immer wieder ins Wanken. In den Kitas kommt es zu Notbetreuungen, Gruppenzusammenlegungen oder gar eingeschränkten Betreuungszeiten. Die vorhandenen Erzieherinnen und Erzieher werden über Gebühr belastet und sind dadurch häufiger krank – was zu einem Personalmangel-Teufelskreis führt.  

Kitas bekommen vom Land mehr als doppelt so viel Geld für U3-Kinder als für die Über-Dreijährigen

Und nun werben die Kitas massiv um die besonders betreuungsintensiven U3-Kinder – weil das für sie finanziell besonders lukrativ ist. So liegt die jährliche Förderpauschale des Landes für ein Kitakind in einer U3-Gruppe mit einer Betreuungszeit von 45 Stunden bei 27.024,56 Euro für das vergangene und 29.589,19 Euro für das kommende Kitajahr. Für Kinder in Ü3-Gruppen gab es 11.260,46 Euro, im kommenden Kitajahr werden es 12.329,08 Euro sein. 

Die Kindertagespflege und die Betreuung in den Kitas seien gesetzlich gleichgestellt, würden aber nicht gleich behandelt, argumentiert der Verein Kölner Kindertagespflege. „Gleichstellung muss auch finanziell und strukturell umgesetzt werden“, heißt es in einem Papier des Vereins mit Lösungsvorschlägen, in dem auch kritisiert wird, dass der „Kitaausbau ohne Personalstrategie“ erfolgt sei und sich der Fachkräftemangel dadurch verschärft habe. Die wichtigsten Forderungen des Vereins: Die Pro-Kopf-Förderung des Landes durch eine Einrichtungsförderung zu ersetzen und eine Anpassung der Förder- und Sachleistungen für die Kindertagespflege an die Inflation. 

Letzteres zumindest könnte am 4. September auf die Tagesordnung der letzten Ratssitzung vor der Kommunalwahl am 14. September kommen. Ralf Heinen (SPD), der Vorsitzende des Jugendhilfeausschusses, bestätigte, dass für eine Sondersitzung des Ausschusses am 26. August eine entsprechende Vorlage der Stadtverwaltung angekündigt wurde, die dann zur Entscheidung in den Rat weitergegeben werden könnte. Dass Kitas möglicherweise Kinder vorzeitig aus der Kindertagespflege abwerben, bezeichnet er als „nicht in Ordnung“. Stabilität sei „eines der höchsten Güter für Kinder und das wird damit konterkariert“.