41 Jahre bei Feuerwehr Köln„Für mich war Weihnachten nie ein Fest der Besinnlichkeit“

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Weihnachten hat für ihn an Bedeutung verloren, Silvester bleibt Lothar Schneid (l.) lieber zu Hause. Zu viel Negatives hat er in seinem Beruf erlebt. Seine Kollegen vermisst der Ruheständler jedoch.

Weihnachten hat für ihn an Bedeutung verloren, Silvester bleibt Lothar Schneid (l.) lieber zu Hause. Zu viel Negatives hat er in seinem Beruf erlebt. Seine Kollegen vermisst der Ruheständler jedoch.

Köln – Beim Großfeuer im Ford-Ersatzteillager 1977 war er ebenso dabei wie beim Archiveinsturz 2009 oder bei den Hochwasser-Lagen der 1990er Jahre: 41 Jahre arbeitete Lothar Schneid als hauptberuflicher Feuerwehr-Mann, die längste Zeit auf der Feuerwache 1 in der Innenstadt. Insgesamt 15 Jahre lang gehörte er dem Rettungsdienst an. Mittlerweile ist Lothar Schneid im Ruhestand: Am 19. Oktober hatte er als stellvertretender Leiter der Innenstadt-Wache seine letzte Schicht. Im Gespräch blickt der 60-Jährige zurück auf seinen Beruf und seine Einsätze an Weihnachten und Silvester.

Herr Schneid, wie viele Weihnachten und Silvester waren Sie im Dienst?

An Weihnachten war ich 32 Mal im Dienst, Silvester etwa genauso oft.

Können Sie sich an das erste Weihnachten im Dienst erinnern?

Ganz gut sogar, das war Heiligabend 1976. Wir hatten an diesem Tag ein relativ großes Feuer an der Ecke Friesenstraße/Steinfelder Gasse. Das hat mit einem Wohnungsbrand angefangen und sich über zwei Etagen ausgebreitet. Das war gleich eine große Herausforderung.

Lothar Schneid war als hauptberuflicher Feuerwehr-Mann allein 28 Jahre lang in der Feuerwache Innenstadt aktiv. Gerade die Feiertage zum Jahresende haben ihn geprägt. „Die Erlebnisse, die ich über all die Jahre hatte, verblassen nicht“. sagt er.

Lothar Schneid war als hauptberuflicher Feuerwehr-Mann allein 28 Jahre lang in der Feuerwache Innenstadt aktiv. Gerade die Feiertage zum Jahresende haben ihn geprägt. „Die Erlebnisse, die ich über all die Jahre hatte, verblassen nicht“. sagt er.

Ist da ein Weihnachtsbaum in Brand geraten?

Soviel ich weiß, nein. Brennende Weihnachtsbäume haben ohnehin nur einen geringen Teil der Einsätze ausgemacht. Da kann ich mich eher an brennende Adventsgestecke in der Vor-Weihnachtszeit erinnern. Der Klassiker sind Ladenlokale, in denen ja oft Adventskränze mit echten Kerzen stehen. Dann wird freitagabends zugemacht und in der Nacht zu Sonntag ist die Kerze dann heruntergebrannt und setzt alles in Flammen. Aber brennende Weihnachtsbäume sind eher die Ausnahme.

Wahrscheinlich, weil die Leute an den Feiertagen zu Hause sind und aufpassen.

Was aber auch eine Gefahr in sich birgt. Ein Großteil der Bevölkerung verträgt es nicht, drei Tage mit der Familie zusammen zu sein. Da sind Konflikte vorprogrammiert und da spielt auch schon mal ein Weihnachtsbaum eine Rolle.

Inwiefern?

Indem er durch das Fenster fliegt, wenn sich die Leute zoffen. An einem ersten Weihnachtstag sind wir mal zu einem Einsatz an der Alteburger Straße gerufen worden, zu einer Familie mit fünf Kindern. Nach einigen alkoholischen Getränken haben sich die Eltern richtig in die Wolle gekriegt und das Familienoberhaupt fing an, diverse Sachen aus dem Fenster zu werfen. Wir bogen gerade in die Straße ein, als wir aus dem zweiten Stock einen Weihnachtsbaum auf die Straße fliegen sahen. Es sind vor allem die Konflikte innerhalb der Familien, die ich mit Weihnachten verbinde. Für mich ist das nie ein Fest der Besinnlichkeit gewesen.

War es für Sie emotional ein Unterschied, Feuerwehr- oder Rettungsdienst zu schieben?

Der Rettungsdienst war für mich psychisch anstrengender als der Feuerwehr-Dienst. Wenn man immer ein- und dieselben Probleme mitbekommt, sei es von Obdachlosen, der einsamen Oma oder dem Vater, der seine Frau und Kinder verprügelt, ist das belastend. Das sind Sachen, die können Sie einige Jahre professionell abtun, aber irgendwann ist ein Punkt erreicht, wo man auch nachts darüber nachdenkt. Wenn sich bestimmte Einsätze wiederholen, stecken oft große persönliche Probleme dahinter.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Im Stadtteil Humboldt gab es eine ältere Dame, die offenbar sehr einsam war. Die hat dann irgendwas zu Hause angestellt und die Feuerwehr gerufen, damit sie Leute um sich hatte. Zum Beispiel hat sie das Essen anbrennen lassen. Obwohl es nicht unsere Aufgabe war, haben wir versucht, Kontakt zu den Angehörigen und zu sozialen Einrichtungen aufzunehmen. Die Feuerwehr ist die letzte Instanz, sie muss sich kümmern. Wir sind immer wieder auch Sozialarbeiter.

Haben solche Fälle zugenommen?

Ja. Die Stadt wird größer und die Einsamkeit auch. Die Anzahl der Singles steigt. Viele gehen zwar an Weihnachten weg, viele bleiben aber auch zu Hause und vereinsamen. Das ist jedenfalls mein Eindruck. Weihnachten steht für mich auch immer für Selbstmorde. Letztes Jahr an Heiligabend hatte ich Dienst, als sich ein 18-Jähriger im Keller seines Elternhauses erhängt hat. Das geht durch alle Milieus. An einem anderen Heiligabend hatte ich einen Rettungsdienst-Einsatz im Hahnwald, wo auf einem Anwesen der Herr des Hauses erst seinen Jagdhund und dann sich selbst erschossen hat.

Weihnachten hat für ihn an Bedeutung verloren, Silvester bleibt Lothar Schneid lieber zu Hause. Zu viel Negatives hat er in seinem Beruf erlebt. Seine Kollegen vermisst der Ruheständler jedoch.

Weihnachten hat für ihn an Bedeutung verloren, Silvester bleibt Lothar Schneid lieber zu Hause. Zu viel Negatives hat er in seinem Beruf erlebt. Seine Kollegen vermisst der Ruheständler jedoch.

Wie wurden Sie mit solchen Einsätzen fertig?

Zum Selbstmord habe ich in all den Jahren eine Haltung entwickelt, die mit Sicherheit etwas mit Selbstschutz zu tun hat: Derjenige oder diejenige hat es eben selbst so entschieden. Damit komme ich zurecht. Aber tote Kinder etwa und das viele soziale Elend kriegt man nicht aus dem Kopf. Da ist es wichtig, darüber mit Kollegen und in der Familie zu sprechen.

Wie hat Ihr Beruf Ihre Einstellung zum Weihnachtsfest beeinflusst?

Nach außen hin wird Weihnachten als das Fest der Liebe verkauft, aber es ist kein Fest der Liebe, es ist zwanghaftes Beisammensein. Ich habe immer nur die negativen Seiten des Fests mitgekriegt und das prägt einen irgendwann. Ich habe durch die Arbeit einen relativ großen Abstand zu Weihnachten.

Wie war denn Ihr Weihnachten, jetzt, wo Sie nicht mehr arbeiten müssen?

Ich habe zwar mit Tochter, Schwiegersohn, Enkel und meiner Frau zusammengesessen. Und am ersten Weihnachtstag bin ich tatsächlich mal zu meiner Mutter gefahren, was ich seit Jahrzehnten nicht mehr geschafft habe. Aber Weihnachten hat für mich an Bedeutung verloren. Die Erlebnisse, die ich über all die Jahre hatte, verblassen eben nicht.

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Und Silvester?

Silvester werde ich zu Hause bleiben. Ich habe keine Lust mehr, raus zu gehen. Durch meine Arbeit habe ich auch daran die Freude verloren. Meine Frau hat gesagt, dass ich jetzt resozialisiert werden müsse. Das ist gar nicht so abwegig. Ich bin zu ernst geworden.

Sind die Einsätze an Silvester andere als an Weihnachten gewesen?

Silvester ist noch schlimmer hinsichtlich dessen, was die Leute sich selbst und anderen antun. Da ist die Stimmung weniger depressiv, dafür ist mehr Krawall. In der Hochhaussiedlung Gernsheimer Straße in Ostheim haben sich zwei Gruppen einmal an Silvester gegenseitig die Balkone mit Raketen in Brand geschossen. Als wir ankamen, fingen sie an, auch unsere Einsatz-Fahrzeuge anzuschießen. Solche Fälle häufen sich. Das zeigt den Geist der Leute, diese schnelle Bereitschaft, etwas zu tun, was vollkommen unlogisch ist.

Haben Sie auch den Eindruck, dass der Respekt vor Hilfskräften allgemein nachgelassen hat?

Die Standardsituation ist: Die Feuerwehr kommt an und sperrt den Einsatzbereich mit Flatterband ab. Und die Leute gehen trotzdem durch. An der Dagobertstraße hatten wir nachts einen Zimmerbrand. Daneben ist eine Tiefgarage. Da kam eine Frau heraus und fuhr mit dem Auto über die Abstützung unserer Drehleiter, die an der Ausfahrt stand. Sie müsse doch da raus, sagte sie. Viele halten sich für den Nabel der Welt.

Das klingt alles sehr ernüchternd, gibt es denn keine Dankbarkeit für die Feuerwehr?

Doch, natürlich. Ich finde es toll, wenn wir nach einem Einsatz einen handschriftlichen Dankesbrief bekommen. Wir haben mal im Kindergarten einen Jungen aus einer Astgabel befreit. Danach hat der ganze Kindergarten uns einen Brief geschrieben. Der hängt heute noch am Schwarzen Brett.

Hatten Sie auch mal schöne Einsätze an Weihnachten?

Ich habe im Rettungsdienst mal mitgeholfen, ein Baby auf die Welt zu bringen.

Was werden Sie in Ihrem Ruhestand vermissen?

Vor allem das Beisammensein mit den Kollegen. Da sind wir wieder bei Weihnachten: Man führt an Weihnachten mit den Kollegen andere Gespräche als an anderen Tagen. Da wird man auf der Wache schon mal ein bisschen besinnlich.

Das Gespräch führte Tobias Christ

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