Heute vor einem Jahr wurde der Paragraf 219a zur Werbung für Schwangerschaftsabbrüche abgeschafft. An der Situation in Köln hat das nichts geändert.
„Praxen können das nicht leisten“Kölner Kliniken führen kaum Schwangerschafts-Abbrüche durch – Ärztin fordert Unterstützung
24. Juni 2022, Berlin, etwa 10.30 Uhr: Im Bundestag wird gejubelt. Die Ampelkoalition hat mit Unterstützung der Linken gerade den Paragrafen 219a abgeschafft, der das Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche regelte. Und der dazu führte, dass Ärztinnen und Ärzte ihren Patientinnen nur sehr eingeschränkt Informationen darüber zur Verfügung stellen konnten, ob und wie sie einen Abbruch durchführen.
Was hat sich in Köln seit der Abschaffung von Paragraf 219a getan?
24. Juni 2023, Köln: Was hat sich, ein Jahr nach der Abschaffung von 219a, hier in Köln getan? Wie ist die Situation für Frauen, die einen Schwangerschaftsabbruch durchführen lassen wollen oder müssen? In der Recherche haben sich zwei Aspekte herauskristallisiert. Erstens: Eine eigene Informationspolitik der Stadt Köln zu Schwangerschaftsabbrüchen ist quasi nicht existent. Zweitens: Die Versorgungslage für Frauen ist bei den operativen Abbrüchen dramatisch schlecht und wird immer schlechter – auch, weil die Kölner Kliniken kaum Schwangerschaftsabbrüche vornehmen.
Auf eine Anfrage des „Kölner Stadt-Anzeiger“ an die Stadt dazu, wie sie über die Möglichkeiten und Methoden für einen Schwangerschaftsabbruch in Köln informiert, verweist eine Sprecherin auf die Internetseite www.schwangerschaftsberatung-koeln.de. Dort seien alle Anlaufstellen zur Beratung aufgelistet. Doch ein Blick ins Impressum zeigt: Die Seite wird nicht etwa von der Stadt Köln selbst betrieben – sondern von der christlichen Beratungsstelle Donum Vitae.
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Stadt Köln verweist für Informationen vor allem auf andere
Auf der stadteigenen Homepage gibt es einen knappen Abriss zur Schwangerschaftskonfliktberatung – und, wie die Stadt in ihrer Antwort betont, eine Verlinkung zur Informationsseite der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. Das Informationsangebot der Stadt besteht im Wesentlichen also aus Verweisen auf andere. Es gibt keine Aufklärung über Methoden, keinen Hinweis auf Anlaufstellen zum Abbruch. Weitere Schritte zum Ausbau der Informationen seien nicht geplant, heißt es.
„Es ist nach wie vor schwierig, an Informationen zu kommen – auch nach der Abschaffung von Paragraf 219a“, sagt Gabrielle Stöcker, Gynäkologin und Beraterin bei Pro Familia in Köln. Frauenarztpraxen würden auf ihren Seiten, wenn überhaupt, nur Auskunft darüber geben, dass sie Abbrüche durchführen. „Über Methoden wird schon seltener, und über Kosten eigentlich nie gesprochen. Dazu kommen Ärztinnen und Ärzte, die aus Überzeugung Abbrüche durchführen, es jedoch zum Selbstschutz und dem ihrer Mitarbeitenden nicht öffentlich machen, um nicht zur Zielscheibe von Abtreibungsgegnerinnen und -gegnern zu werden.“
Oft bleibt in Köln zum Schwangerschaftsabbruch nur eine Adresse
Der Beratungsstelle seien, inklusive der Kliniken, 22 Adressen in Köln zum Schwangerschaftsabbruch bekannt. In den meisten Praxen würden allerdings nicht beide Methoden, also ein medikamentöser oder ein operativer Abbruch, angeboten. Auch die Kapazitäten sind begrenzt. „Man muss bedenken, dass in Köln auch viele Frauen aus dem rheinländischen Umland versorgt werden, in deren Heimatgemeinden es manchmal gar keine Möglichkeit für einen Abbruch gibt“, sagt Stöcker. Alle Faktoren wie Wohnortnähe, Fortschritt der Schwangerschaft und Methode des Abbruchs in Betracht gezogen, würde für die Frau manchmal nur eine Adresse übrigbleiben, so Stöcker.
Eine dieser Adressen ist die Frauenarztpraxis am Neumarkt. Julia Smidt ist Gynäkologin und führt medikamentöse Abbrüche durch. „Wir haben eine ganz normale gynäkologische Praxis, in der wir Schwangere betreuen, Krebsvorsorge machen, Spiralen setzen, Endokrinologie machen. Aber ich mache die Abbrüche aus dem Selbstverständnis heraus, für Frauen da zu sein – in allen Lebenslagen“, sagt sie. „Das gehört für mich zum Beruf der Frauenärztin dazu.“
Kölner Frauenärztin beklagt mangelnde Unterstützung der Kliniken
Auch sie erlebt, dass das Angebot in Köln dem Bedarf nicht entspricht. „Es tut mir leid, wenn ich Frauen ablehnen muss“, sagt Smidt. Sie hat Kapazitäten für maximal drei medikamentöse Abbrüche in der Woche. Den Engpass erlebt sie aber vor allem bei den operativen Abbrüchen.
„Das große Problem in Köln ist der Mangel an Möglichkeiten für den operativen Abbruch. Es ist schade, dass die städtischen Kliniken und die Uniklinik sich hier nicht mehr einbringen“, so die Frauenärztin. Ab der zehnten Woche der Schwangerschaft ist ein Abbruch nur noch mit einer Operation möglich. Krankenhäuser unter kirchlicher Trägerschaft führen die Eingriffe aus ideologischen Gründen meist gar nicht durch, die Uniklinik nur, wenn medizinische oder kriminologische Gründe vorliegen – also die Gesundheit der Schwangeren gefährdet ist oder die Schwangerschaft auf einen gewaltsamen Übergriff zurückgeht.
Nach der Beratungsregelung, also auf den Wunsch der Frau hin, die Schwangerschaft aus persönlichen Gründen nicht fortzuführen, führen nach Recherchen des „Kölner Stadt-Anzeiger“ das evangelische Krankenhaus in Kalk und das Porzer Krankenhaus operative Abbrüche durch. Die städtische Frauenklinik in Holweide tut dies nur, wenn ein ambulanter Eingriff aus medizinischen Gründen nicht möglich ist. Alle angefragten Kliniken äußern sich auf Anfrage äußerst zurückhaltend zum Thema Schwangerschaftsabbrüche.
Kölner Kliniken sehen sich nicht in der Verantwortung
„Ein Schwangerschaftsabbruch ist in der Regel eine ambulante medizinische Leistung, die in niedergelassenen gynäkologischen Fachpraxen umgesetzt wird“, heißt es beispielsweise aus Holweide. Laut Julia Smidt ist das für die meisten Praxen allerdings kaum mehr möglich. „Ich finde, es ist ein gesellschaftlicher Auftrag für die Kliniken, das zu leisten. Sie haben alle Strukturen für die kurzen, ambulanten Eingriffe. Wir Praxen können das nicht stemmen.“ Denn für einen operativen Abbruch braucht es in der Praxis einen extra OP-Raum sowie einen eigenen Anästhesisten.
„Die Kliniken, auch die städtischen wie in Holweide, halten sich sehr zurück“, sagt auch Gabrielle Stöcker von Pro Familia. „Ich weiß nicht, welche Handhabe oder Möglichkeiten der Einflussnahme die Stadt hat. Aber es wäre wünschenswert, wenn sie die Krankenhäuser dazu anhalten würde, mehr zu tun, um die Versorgung sicherzustellen.“ Ralf Unna (Grüne), Aufsichtsratsvorsitzender der städtischen Kliniken, bekräftigt das. „Es muss Institutionen in öffentlicher Hand wie die städtischen Kliniken und die Uniklinik geben, die Abbrüche durchführen“, sagt er. „Mit dem Aufsichtsrat können wir bei den städtischen Kliniken dafür sorgen, dass Versorgung erhalten bleibt.“
Auch ein Jahr nach der Abschaffung von Paragraf 219a bleiben viele Probleme in Bezug auf Schwangerschaftsabbrüche – auch in Köln. Frauenärztin Julia Smidt wünscht sich, abgesehen von der Verbesserung der Versorgungslage, vor allem eins: „Der Schwangerschaftsabbruch muss aus dem Strafgesetzbuch herauskommen. Theoretisch mache ich mich strafbar, werde unter bestimmten Bedingungen aber strafbefreit. Das macht mir keine Angst. Aber es stellt den Abbruch in ein falsches Licht.“