Analytische TaskforceSpezialteam der Kölner Feuerwehr kümmert sich um große Gefahren

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  • Die ATF rückt aus, wenn Feuerwehrleute bei einem Einsatz zusätzlich Alarm aufgrund von biologischen, chemischen sowie atomaren und terroristischen Gefahren auslösen.
  • Der Kölner Standort der ATF besteht seit 2009.

Köln – Ein leises, mechanisches Surren erklingt, wenn Volker Ruster den runden, etwa 30 Zentimeter durchmessenden Sucher eines Infrarotspektrometers aus dem Dach des Einsatzwagens ausfährt. „Damit kann eine Gaswolke in einem Radius von fünf Kilometern auf chemische Inhaltsstoffe untersucht werden“, sagt der Doktor der Chemie auf dem Gelände der Feuerwache in Weidenpesch. Das Fahrzeug, das er bedient, steckt bis zum Rand voller Spitzentechnologie und dient als mobile Kommandozentrale. Nicht gerade typisch für ein Feuerwehrauto, aber auch Ruster ist kein typischer Feuerwehrmann. Auf den Türen des Wagens prangt ein Logo mit den Buchstaben A, T und F – sie stehen für „Analytische Taskforce“.

Branddirektor und Chemiker – Volker Ruster leitet die ATF von einer technisch spezialisierten mobilen Einsatzzentrale aus.

Branddirektor und Chemiker – Volker Ruster leitet die ATF von einer technisch spezialisierten mobilen Einsatzzentrale aus.

Ruster ist Branddirektor der Feuerwache Weidenpesch, Wissenschaftler und Leiter dieser Spezialeinheit. Die ATF rückt aus, wenn Feuerwehrleute bei einem Einsatz zusätzlich Alarm aufgrund von biologischen, chemischen sowie atomaren und terroristischen Gefahren auslösen – etwa weil sie bestimmte Stoffe oder Gefahren nicht bestimmen oder ausschließen können. Die Mitglieder der ATF können für ihre Arbeit auf mobile Messstationen mit spezialisierten Testgeräten zurückgreifen, wenn sie bei Verdacht auf entsprechende Verunreinigungen angefordert werden. Ruster und seine Leute liefern dann schnell möglichst genaue Analysen der Gefahrenquellen.

Einsatz im Bunker

„Im Schnitt sind wir 30 bis 35 Mal jährlich im Einsatz“, sagt Ruster. Der letzte größere fand Ostern statt, als ein achtjähriges Mädchen aus Kevelaer unter Grippe-Symptomen leidend in ein Krankenhaus eingeliefert wurde, wo es verstarb. Die Eltern leben auf einem ehemaligen, zu einem Wohngebiet umfunktionierten Militär-Munitionsdepot. „Die Kollegen vor Ort wussten nicht, ob Schadstoffe im Spiel waren, darum haben sie uns angefordert“, sagt Ruster. „Ursache für den tragischen Tod des Mädchens war allerdings eine medizinische, unser Team hat keine Verunreinigungsspuren entdeckt“.

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Der Kölner Standort der ATF besteht seit 2009 – das war in der Zeit nach den großen Terroranschlägen in den 2000er Jahren. „Mit den Explosionen in Madrid erreichten sie auch Europa“, erläutert Ruster. Damals sei ein neues Bewusstsein dafür entstanden, dass man das Thema Gefahrenabwehr nach Ende des Kalten Krieges lange vernachlässigt hatte.

Mit 100.000 Euro im Jahr vom Bund und 170.000 Euro vom Land NRW finanziert

Der 55-jährige Chemieexperte hat die ATF-Einheit drei Jahre lang mit aufgebaut. Dafür gab es vom Bund eine Million Euro Startkapital. Seitdem finanziert der Staat das Projekt jährlich mit 100.000 Euro und stellt die Geräte zur Verfügung. Das Land NRW steuert pro Jahr zusätzlich 170.000 Euro bei. Für Volker Ruster ist Nordrhein-Westfalen seitdem „das gelobte Land“. Zumindest wenn es darum geht, wie viel Aufmerksamkeit man hier im Vergleich zu anderen Bundesländern dem Schutz vor und der Prävention von Katastrophen widmet.

Die Initiative zur Gründung der ATF ging vom Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe aus, nachdem Bund und Länder sich 2002 auf eine „Neue Strategie zum Schutz der Bevölkerung in Deutschland“ verständigt hatten. Bundesweit gibt es sieben Standorte der ATF, zwei davon in NRW. Das Innenministerium hatte 2008 den Startschuss für je eine in Dortmund und Köln gegeben.

Um in Ernstfall vorbereitet zu sein, führen die rund 35 Mitglieder der ATF regelmäßig Übungen durch – vier von ihnen sind stets im Schichtdienst in Rufbereitschaft. Liest man den Brandschutzbedarfsplan, den die Stadt regelmäßig erstellt – zuletzt im Jahr 2014 – wird offenbar, wie viele Gefahren das Leben in einer Großstadt beeinträchtigen können: Fünfmal wöchentlich werden in Köln demnach 240 Tonnen Blausäure quer durch das Stadtgebiet transportiert – beispielsweise zu oder aus den Chemieparks in Wesseling und Dormagen. Zahlreiche riesige Rohöltanks befinden sich hier, mit einem Fassungsvermögen von 105 000 Kubikmetern gehört auch der zweitgrößte Europas von Shell im Hafen Godorf dazu. Auf 67 Kilometern Wasserstraßen werden hochgefährliche Güter rund um Köln verschifft – in der Stadt gibt es elf Güterbahnhofe sowie 22 Chemie-Produktionsstandorte, die unter die sogenannte erweiterte Störfallverordnung fallen. Die Liste der für normale Stadtbewohner beklemmend wirkenden Beispiele ließe sich fortführen – daran wird deutlich, dass seitens der Stadt eine enorme Verantwortung besteht, aus den Gefahrenquellen keine Katastrophen entstehen zu lassen.

Ein Blick in die jüngere Vergangenheit zeigt, dass dies nicht zu 100 Prozent gelungen ist. Immer wieder kam es zu Großeinsätzen, bei denen die Rettungskräfte teils über Tage in Aktion waren: 2012 etwa bei einer Explosion in einer Polymeranlage in Godorf, und im selben Jahr in Worringen, als eine Produktionsanlage vollständig ausbrannte. In Niehl gab es 2013 einen Großbrand in einer Gewerbemüll-Sortieranlage, 2014 fing ein Tank Feuer, in dem 4000 Kubikmeter der Flüssigkeit Toluol gelagert wurden – ein entzündliches und gesundheitsschädliches Lösungsmittel, das in der chemischen Produktion genutzt wird.

Die Landesregierung hatte die ATF gegründet, um eine schnell handlungsfähige und landesweit vernetzte Einheit zu haben. „Unser Einsatzgebiet ist ganz Nordrhein-Westfalen“, sagt Volker Ruster, „die Kollegen vom Umwelt dienst der Berufs- und der Freiwilligen Feuerwehr unterstützen uns vor Ort bei der Arbeit.“ Aber auch andere Bundesländer dürfen die ATF anfordern, die Zusammenarbeit zwischen den sieben Standorten ist Ruster zufolge ebenfalls ausdrücklich erwünscht.

Seinen Beruf bezeichnet der Doktor der Chemie mehr als Berufung – darin habe er etwas gefunden, was er mit „Leib und Seele“ tue. „Menschen helfen zu können, das fühlt sich gut an“, sagt der 55-Jährige. Dass er und sein Team dabei nicht selten auch ihr eigenes Wohl riskieren, schreckt ihn nicht ab. Ruster: „Wir haben es im Prinzip sogar leichter als der Rest der Bevölkerung, denn immerhin können wir das Risiko in einem Katastrophenfall zuerst einschätzen.“

Einmal im Jahr veranstalten alle ATFs eine gemeinsame Großübung. Aber auch internationale Einsätze schließt der Branddirektor künftig nicht aus: Man kooperiere bereits mit dem THW – und kürzlich haben Ruster und sein Team auf Einladung der Europäischen Union die Arbeit der ATF in Lyon und Brüssel vor Vertretern der EU-Staaten vorgestellt. „Dafür gab es viel Lob und Anerkennung“, sagt der Kölner Einheiten-Chef stolz. So bleiben Volker Ruster und die ATF weiter in Alarmbereitschaft.

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