„Angst um unsere Kinder”Kölnerin nimmt 13-köpfige ukrainische Familie bei sich auf

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13-köpfige Familie in Köln

Der Krieg in der Ukraine änderte für Muriel Breier alles: Sie hat eine 13-köpfige Familie bei sich aufgenommen.

Köln – Auch einen Monat nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine fliehen Tausende Menschen aus dem Land. Mindestens 5000 der Geflüchteten sind seit dem 24. Februar in Köln angekommen. Während sich die Stadt bemüht, ausreichend Unterkunftsplätze zu errichten und anzumieten, bieten zahlreiche Kölnerinnen und Kölner den ukrainischen Flüchtlingen eine Bleibe. Muriel Breier hat gleich eine 13-köpfige Familie bei sich aufgenommen. Eigentlich wollte Breier das Haus ihrer Eltern in Pesch verkaufen.

Die Mutter war 2014, der Vater im vergangenen November verstorben. „Ich war dabei, das Haus leerzuräumen“, sagt sie. Doch der Krieg in der Ukraine änderte alles. „Ich sah die Bilder im Fernsehen und wusste, dass man helfen muss.“ Breier ließ das Haus als Unterkunft beim deutsch-ukrainischen Verein registrieren und hörte schließlich, dass Südstadt-Pfarrer Hans Mörtter auf eigene Faust Flüchtlinge aus der Ukraine in Köln unterstützte. Kurze Zeit später war der Kontakt zur Familie um Elena Prosandeeva (45) hergestellt.

Großfamilie war drei Tage von der Ukraine bis Köln unterwegs

Drei Tag lang war die Großfamilie mit acht Kindern im Alter von drei bis 13 Jahren aus der Ukraine nach Köln unterwegs gewesen. Prosandeeva und ihr Sohn Danilo (13) wurden begleitet von ihrer erwachsenen Tochter Katerina (25) und deren Kinder Milana (3) und Timofey (7), Schwester Inna (44) und deren Kinder Timur (10), Michael (4) und Artem (11) sowie Schwiegertochter Tatjana (25) und Tochter Zlata (3) sowie deren Schwester Anna (33) und Tochter Anastasia (3).

Es war am 7. März, als die Familie beschlossen hatte, aus ihrer Heimatstadt Dnipro zu fliehen. Zwar waren bis dahin in Dnipro noch keine Bomben auf Häuser gefallen, hatten keine Raketen die Viertel verwüstet. Doch die Familie wollte nicht so lange warten, bis der Krieg auch in die zentralukrainische Metropole kommen würde. „Wir hatten jeden Tag Angst um unsere Kinder“, sagt Prosandeeva. Insbesondere weil es in der Nähe ihrer Wohnung keinen Luftschutzkeller gebe, der nächste Bunker sei nur mit der Straßenbahn zu erreichen. Bei Bombenalarm musste sich die Familie daher ins wenig sichere Treppenhaus flüchten. Einen Tag nachdem die Familie geflohen war, schlugen die ersten Raketen in der Stadt ein.

Kinder schliefen auf Abteiltischen

So packten sie wenige Sachen und fuhren zum Bahnhof, um einen Zug ins westukrainische Lviv zu erwischen. Prosandeeva, die in Dnipro in einem Pfandhaus arbeitete, zeigt auf ihrem Smartphone Fotos, wie sich Hunderte Menschen auf den Bahnsteigen drängeln. Zeigt Bilder von ihrer Familie, wie sie im Zug stehen, wie die Kinder auf Abteiltischen schlafen. Andere Kinder, die nicht einmal einen solchen Platz hatten, ruhten auf den Schultern der Erwachsenen. „Es gab nicht mal genug Platz, um die Füße zu bewegen“, sagt Prosandeeva.

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Nach 15 Stunden erreichten sie die Westukraine, nahmen einen Bus ins polnische Zamosc und fuhren weiter über Hannover nach Köln, wo sie ihre Kölner Freundin Natalia Novik abholte, die auch dieses Gespräch übersetzt. Müde, erschöpft, aber froh darüber, in Sicherheit zu sein. In Gedanken sind sie noch bei ihren Männern, die in der Ukraine geblieben sind. Prosandeevas Ehemann hatte sich bei den Milizen gemeldet, wurde aber zurückgestellt und geht nun seiner Arbeit als Fahrer nach. „Die Kinder vermissen ihren Vater“, sagt sie.

Weil bei Novik nicht genügend Platz war, um so viele Menschen unterzubringen, hatte sie sich an den Südstadt-Pfarrer Mörtter gewandt, der den Kontakt zu Muriel Breier herstellte. „Die Stadt kann das nicht alleine stemmen, jeder Kölner ist nun gefragt“, sagt Mörtter. „Die Leute müssen aufwachen und helfen.“ Über ein privates Netzwerk habe er mittlerweile 32 Geflüchtete vermitteln können. Gemeldet hätten sich etwa Familien, bei denen Kinder angeboten hatten, ihr Kinderzimmer zu räumen, um einer ukrainischen Mutter mit Kind eine Unterkunft zu bieten.

Stadt Köln arbeitet am Limit

Es ist der Einsatz von Kölnerinnen und Kölnern, die es möglich machen, dass viele Ukrainer einen Schutzraum finden. Denn die Stadt arbeitet am Anschlag. Derzeit erreichen täglich 200 Flüchtlinge die Stadt, hatte Sozialdezernent Harald Rau noch am Donnerstag im Sozialausschuss berichtet. Kein Wunder, dass binnen weniger Tage die Reserve von 1500 Unterkunftsplätzen belegt war.

Kein Wunder, dass innerhalb von vier Tagen auch die Notunterkunft in der Messe voll war. Nun errichtet die Stadt eine weitere Notunterkunft am Südstadion und mietet parallel Plätze in Hotels an. Turnhallen will man nach Möglichkeit nicht belegen, und auch keine Zeltstädte auf der grünen Wiese errichten. Es scheint ein Wettlauf mit der Zeit zu sein, den die Stadt ohne das Engagement der Kölnerinnen und Kölner womöglich schon verloren hätte.

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Der obere Teil der Messehalle wird noch für Flüchtlinge vorbereitet.

Zahlreiche private Anbieter haben Wohnraum, wissen aber nicht, wie man an Flüchtlinge kommt. Denn die Stadt lehnt es weiterhin ab, Anbieter und Flüchtlinge in einer Art Wohnungsbörse zu vermitteln. Der Grund: Die Kommune habe keine Kapazitäten, um die Angebote auf ihre Seriosität zu prüfen, so Rau. Den „Kölner Stadt-Anzeiger“ erreichen Leserbriefe, in denen Menschen schildern, dass sie im Alleingang im Ankunftszentrum ukrainischen Flüchtlingen Unterkünfte anbieten. Andere berichten, dass sie von einer Stelle zur nächsten geschickt würden – ohne Ergebnis.

Muriel Breier will ukrainischen Familie auch über Monate helfen

Breier will der Familie um Elena Prosandeeva wenn nötig auch einige Monate ein Heim bieten. Den Gästen aus der Ukraine soll es an möglichst wenig fehlen. Kurz bevor die Familie kam, hatte Breier eingekauft, für die Kinder wurden zahlreiche Spielsachen organisiert. Ihre langjährige Freundin Sonja Binkowski sorgte über ihren Arbeitgeber, ein Möbelhaus, dafür, dass zehn Matratzen für die Geflüchteten geliefert wurden. Und Novik hat der Familie gezeigt, wo man in Pesch einkaufen kann, wie man mit dem Bus aus dem Viertel kommt. Vor ein paar Tagen war sie mit den Kindern im Zoo.

Die Kinder sind mittlerweile in der Grundschule beziehungsweise im Pescher Gymnasium angemeldet, wo es Lehrkräfte gebe, die russisch mit den Kindern sprechen können. Noch ist einiges an Bürokratie zu meistern: Die kleineren Kinder sollen im Kindergarten angemeldet werden, die Erwachsenen sollen Sozialleistungen beziehen können. So dankbar die Familie ist, Elena Prosandeeva würde lieber heute als morgen in ihre Heimat zurückkehren. „Ich habe einen Traum: Ich möchte wieder nach Hause und hoffe, dass dann unser Haus und unsere Stadt noch stehen.“

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