„Ging uns nicht um Urteile“ARD-Autorin wehrt sich gegen Kritik an Widdersdorf-Doku

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Blick auf das Neubaugebiet, rechts ist der Golfplatz zu erkennen.

Blick auf das Neubaugebiet, rechts ist der Golfplatz zu erkennen.

  • Als die ARD den Film „Heimatland” über das Kölner Neubaugebiet Widdersdorf ausstrahlte, war ein Teil der Widdersdorfer empört.
  • Der Film stelle die Situation zwischen Alt- und Neu-Widdersdorfern falsch dar. Einige Aussagen seien sinnentstellend gekürzt.
  • In einem Interview weist die Autorin Julia Friedrichs stellvertretend für die WDR-Produktion den Vorwurf zurück, nicht umfassend recherchiert zu haben.
  • In einigen Facebook-Gruppe sei nach dem Film „mit Falschaussagen gearbeitet” worden.

Köln – Frau Friedrichs, Ihr Film „Heimatland“, in dem Widdersdorf eine zentrale Roll spielt, hat nach der Ausstrahlung im Ersten hohe Wellen geschlagen. Welche Reaktionen haben Sie erreicht?

Die Reaktionen aus Widdersdorf waren geteilt – so wie auch der Ort. Zwei von drei Familien, die länger porträtiert wurden, fanden den Film sehr gut und sich gut dargestellt. Eine Familie fand den Teil, in dem sie vorkam, korrekt, in Gänze aber Widdersdorf nicht gut wieder gegeben. Unser Film handelt ja auch davon, dass sich online viele Debatten aufheizen. Und es war interessant, dass man genau das im Nachgang des Films bei Facebook beobachten konnte. In vielen Gruppen nahm die Empörung ihren Lauf. Da wurde dann auch teilweise mit Falschaussagen gearbeitet.

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Welche Aussagen waren das?

Es hieß, wir hätten Interviews verfälschend geschnitten. Wir haben mit allen Familien, die wir porträtiert haben, noch einmal gesprochen und sie sind guter Dinge. Einer Familie haben wir ihr ausführliches Interview noch einmal zitiert - und danach sagten sie, dass alles korrekt wiedergegeben worden sei.

Wie erklären Sie sich denn die teilweise heftigen Reaktionen speziell aus Neu-Widdersdorf?

Das große Thema des Films war, was passiert, wenn zwei Lebenswelten aufeinander prallen. Wir hatten in Gesprächen mit den Neu-Widdersdorfern, die den Film nicht gut fanden, das Gefühl, dass sie es nicht legitim fanden, auch aus der Warte derjenigen zu berichten, die schon immer da waren und die sagen: Für uns ist vieles nicht besser geworden.

Aber es ging Ihnen nicht darum, die unterschiedlichen Lebensentwürfe zu beurteilen?

Es ging uns nicht im Geringsten darum, das Leben in Widdersdorf zu beurteilen. Man kann gar nicht sagen, das eine ist besser und das andere ist schlechter. Das haben aber manche so verstanden.

Es stand auch der Vorwurf im Raum, besonders Menschen mit Migrationshintergrund seien schlecht dargestellt worden.

Mich hat das sehr gewundert. Warum das problematisiert wurde in den Reaktionen, habe ich nicht verstanden. Es war ja gerade Kern des Films, dass es letzten Endes gar nicht um die Nationalität geht. Die Alt-Widdersdorfer haben dieselben Vorbehalte gegenüber Menschen mit und ohne Zuwanderergeschichte. Ihnen geht es darum, dass Menschen gekommen sind, die ihren Ort verändert haben. Ob die türkische, niederländische oder Leverkusener Wurzeln haben, ist sekundär.

Warum haben Sie sich überhaupt für Widdersdorf als Schauplatz entschieden?

Was in Widdersdorf passiert, passiert im ganzen Land. Überall erleben wir, dass rund um die Großstädte große Neubaugebiete entstehen, auch aus dem Druck, dass sich Familien in der Stadt keinen Wohnraum mehr leisten können. Man kann in Statistiken sehen, dass die Altersgruppe der 30- bis 59-Jährigen zum ersten Mal seit langer Zeit die Städte wieder verlässt und in das Umfeld zieht, weil sie da noch ihren Traum von Wohneigentum realisieren können. Das ist auch in Widdersdorf, im größten privaten Neubaugebiet des Landes, der Fall.

Wie und wie lange haben Sie für Ihren Film recherchiert?

Sehr gründlich und sehr lange. Wir waren über sechs Monate immer wieder da. An verschiedenen Tagen, bei verschiedenen Wetterlagen. Es gibt eine lange Tabelle, mit wie vielen Menschen wir gesprochen haben - aus dem alten und dem neuen Teil. Wir haben nur Dinge berichtet, die durch verschiedenste Quellen gedeckt waren und unstrittig sind. Ein Beispiel ist der Jakobsplatz, der das neue Zentrum des Ortes werden sollte. Das hat bisher noch nicht geklappt. Und das bestreitet auch niemand. Wir haben gehört, dass es Versuche gab, einen Markt zu etablieren als gemeinsamen Treffpunkt, was nicht geklappt hat. Wir waren bei der Freiwilligen Feuerwehr, die gesagt hat, wir hätten schon gehofft, dass mehr Menschen aus dem Neubaugebiet sich engagieren. Wir haben gehört, dass es früher fünf Kneipen gab, jetzt gibt es nur noch eine.

Julia Friedrichs

Julia Friedrichs

Ihnen wurde dennoch vorgeworfen, es sei vorher klar gewesen, wie die Aussage des Films lauten solle.

Diesen Vorwurf weisen wir ganz entschieden zurück, wir haben umfassend recherchiert und uns war vorher nicht klar, was wir in Widdersdorf zeigen würden. Uns hat interessiert, wie es in diesem riesigen Neubaugebiet ist. Dass es überhaupt eine Trennung in das alte Dorf und das Neubaugebiet gibt, haben wir erst in der Recherche erfahren. Es fehlten Orte, an denen Gemeinschaft wachsen kann, Orte des Miteinanders. Das zog sich durch alle Gespräche. Und so hat sich das ganz langsam rauskristallisiert als der Ausschnitt, den wir von Widdersdorf erzählen werden.

Aber es gibt doch auch ein Miteinander. Warum war davon nichts zu sehen im Film?

Natürlich ist ein solcher Film immer nur ein Ausschnitt. Er war 45 Minuten lang, Widdersdorf kommt darin ungefähr eine Viertelstunde vor. Da muss man sich beschränken. In unserem Drehzeitraum, von Spätsommer bis in den Januar hinein, war eines der Events, wo sich tatsächlich Alt- und Neu-Widdersdorfer getroffen haben, der Weihnachtsbaumverkauf der Freiwilligen Feuerwehr. Das haben wir auch gefilmt und in der längeren Fassung, die noch im WDR laufen soll, wird das, Stand jetzt, auch eine Rolle spielen. Aber für uns war das für den Alltag nicht prägend. Das sind singuläre Ereignisse. Und deshalb haben wir uns für diese Auswahl entschieden.

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