Aus Chicago nach Köln angereistFamilie will mehr über ihre jüdischen Ahnen wissen

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ElisabethMoses

Köln – Caroline Elisabeth Moses-Steelberg sitzt mit ihrem Mann Jeremy, ihrer Schwester Pamela und den Söhnen Cameron und Graham vor einem Café an der Breite Straße und erzählt von ihren Vorfahren. Immer wieder schießen ihr Tränen in die Augen, zu stark ist die Vergangenheit mit der Gegenwart verwoben. Hätte Elisabeth Moses, ihre Großtante, vor 87 Jahren nicht die Zeichen der Zeit erkannt und Deutschland verlassen – „wir wären nicht hier“.

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Caroline Elisabeth Moses-Steelberg mit ihrem Mann Jeremy, ihrer Schwester Pamela und den Söhnen Cameron und Graham. Das  Schwarz-Weiß-Foto zeigt Elisabeth Moses (r.)

Caroline Elisabeth Moses-Steelberg kommt aus Chicago. Sie ist trotz der Corona-Pandemie weit gereist, um im NS-Dokumentationszentrum und an der Elisenstraße mehr über das Schicksal ihrer einst so angesehenen Ahnen herauszufinden. In der Elisenstraße lebte ihre Großtante, die aufstrebende Kunsthistorikerin, bis 1934 zusammen mit ihren Eltern und ihrem Bruder. Alle waren beruflich erfolgreich und kulturell engagiert. Bis die Nazis das Ruder übernahmen. Dass ihre Söhne mit nach Deutschland kommen, war der 59-Jährigen ein großes Anliegen: „Es ist sehr wichtig, dass sie die Geschichte der Familie verstehen.“

Nachbar der Vorfahren hat Kontakt aufgenommen

Wolf Scheller, der die amerikanischen Besucher bei ihrer Spurensuche begleitet, kennt ein gutes Stück dieser Geschichte. Seine Großeltern wohnten ebenfalls an der Elisenstraße. Während die Familie Moses jüdischen Glaubens war, waren seine Großeltern katholisch. Ein Problem war das Zusammenleben über Jahrzehnte hinweg nicht, im Gegenteil: „Sie haben sich an hohen Feiertagen gegenseitig eingeladen“, sagt der 76-jährige Journalist. Dann kam Hitler an die Macht und das Verhältnis kühlte sich ab. Die Juden wurden zunehmend drangsaliert, die Nachbarn schauten dabei weg: „Es gab keine Solidarität, die sich nach außen zeigte“, sagt Wolf Scheller, der vor vielen Jahren einen Radiobeitrag über Nachbarschaft in Dritten Reich produzierte und so mit der Familie Moses in Kontakt kam. Das Geschrei der Menschen, die in der Gestapo-Zentrale (heute NS-Dokumentationszentrum) gleich um die Ecke gefoltert wurden, sei bis auf die Straße zu hören gewesen: „Dann war es oft üblich, dass die Leute sich bekreuzigt haben und still weitergegangen sind, aber es hat keiner protestiert.“

Großtante war eine promovierte Kunsthistorikerin 

Elisabeth Moses merkte zum Glück frühzeitig, dass Deutschland für sie gefährlich wurde. Seit 1920 war die promovierte Kunsthistorikerin am Kölner Kunstgewerbemuseum angestellt, wo sie später die Textil- und Porzellansammlung leitete und auch für die Abteilung Alte Gemälde im Wallraf-Richartz-Museum zuständig war. Zur Jahrtausendausstellung 1925 konzipierte sie mit Rabbiner Adolf Kober zum ersten Mal überhaupt eine Ausstellung über jüdische Kultur. Manuskripte im NS-Dokumentationszentrum weisen sie als akribische Arbeiterin aus. „In der Wissenschaft war sie anerkannt“, sagt Irene Franken vom Kölner Frauengeschichtsverein: „Und sie war sicherlich eine emanzipierte Frau.“ Ein Foto aus guten Tagen zeigt sie lachend am Strand, im Mund eine Zigarette.

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Trotz ihres beruflichen Erfolgs wurde sie als Jüdin 1933 aus dem öffentlichen Dienst entlassen. Während viele andere Juden damals keine Konsequenzen zogen und später von den Nazis ermordet wurden, floh Elisabeth Moses 1934 über Italien in die USA. „Als sie gefeuert wurde, realisierte sie, dass es Zeit ist zu gehen“, sagt Caroline Elisabeth Moses-Steelberg: „Sonst wären alle im KZ gelandet.“ Auch Irene Franken glaubt, dass Elisabeth Moses durch ihren politischen Instinkt ihrer ganzen Familie das Leben rettete. „Wahrscheinlich hat sie durch ihre Entscheidung auszuwandern ihre Familie mitgezogen.“ Bis 1938 waren jedenfalls alle in die USA ausgewandert – gerade noch rechtzeitig vor dem Holocaust. Elisabeth Moses setzte in San Francisco ihre Karriere fort, bis sie 1957 starb. In Porz soll nun eine Straße nach ihr benannt werden, nachdem die Elisabeth-Moses-Straße in Dellbrück zuletzt umbenannt worden war.

Die beiden Häuser, in denen die Familien von Elisabeth Moses und die ihres Bruders Paul (Caroline Elisabeth Moses-Steelbergs Großvater) wohnten, existieren nicht mehr. Im Pflaster der Elisenstraße sind jedoch vier Stolpersteine eingelassen. Eingestanzt sind die Namen von Elisabeth Moses, ihrem Vater Sally, ihrer Mutter Louise und ihrem Bruder Paul. Anders als viele andere Stolpersteine tragen sie den Zusatz: „Überlebt“.

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