Köln-KonzertZwischen Krieg und Kuchen – Niedeckens Seiltanz in der Arena

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Wolfgang Niedecken mit seiner Band BAP in der Lanxess-Arena.

Köln – Drei Jahre kein BAP-Konzert in Köln. Für einen Mann wie Wolfgang Niedecken, der mit seiner Band in den Anfängen überall dort spielte, wo eine Steckdose war, ist das „verdamp lang her“. Für seine Fans erst recht. Aber seit Corona ist „nix wie bessher“. Dicht an dicht stehend Songs zu feiern, die einen schon so lange begleiten – so wie früher – all das erscheint kurz vor 20 Uhr an diesem Mittwochabend alles andere als selbstverständlich. In der Lanxess-Arena gilt offiziell Maskenpflicht, auch wenn es die Menge „aff un zo“ nicht so genau nimmt.

Doch es liegt am Geburtstagskind des Tages und seiner glänzend aufgelegten Band, dass dieses Lanxess-Arena-Konzert nicht nur für die treuesten Anhänger schon der „Wahnsinn“ ist: Auf eben jene eingekölschte Coverversion von „Wild Thing“ folgt der raderdolle „Waschsalon“. Spätestens bei der Party-Nummer scheint die Pandemie „wisch-wasch“ weg.

Lanxess-Arena Köln: Wolfgang Niedecken feiert Geburtstag mit BAP-Konzert

Es könnte eine unbeschwerte Feier mit dem nunmehr 71-jährigen Hauptdarsteller werden, für den die knapp 14.000 Arena-Besucher ein kanonartiges „Happy birthday“ anstimmen. Aber Wolfang Niedecken wäre nicht er selbst, würde er nicht gleich wieder den Blick aufs Wesentliche lenken. „Das ist ein bisschen Seiltanz, was wir hier heute machen“, weiß der BAP-Chef. Corona sei noch nicht vorbei, und in der Ukraine herrsche Krieg. Angezettelt von „einem skrupellosen Diktator, einem durchgeknallten Erpresser, der versucht, die Welt am Nasenring zu führen.“

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Es könne sein, dass die Sanktionen und Boykotte irgendwann auch Auswirkungen auf „uns hier“ haben. „Aber wir müssen weiterhin solidarisch bleiben, wir dürfen nicht nachlassen, empathisch zu sein.“ Klare Worte, die ebenso unmissverständlich sind wie die musikalischen Botschaften. „Die Songs stehen für sich“, hatte Niedecken zuvor im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ gesagt. Die Setlist trage dem aktuellen Geschehen Rechnung.

Niedeckens zeitlose Beobachtungen

Zum Beispiel „Absurdistan“: „Viel zu lange ha‘m wir alle akzeptiert, dass man Fakten einfach ignoriert. Schulterzuckend, su als ob nix wöhr, wegluhrt un verdrängk un resigniert ...“ Der Text von 2016 trifft auf so vieles in der Gegenwart zu. Ob uns nun der Klimawandel oder andere Gefahren auf der „globalen Geisterbahn“ begegnen, wie der BAP-Chef singt.

Der Abend zeigt wie zeitlos Niedeckens Beobachtungen, Beschreibungen und Mahnungen sind. In „Ruhe vorm Sturm“ geht es um die allgemeine Verrohung, um abhanden gekommene Werte – „und die Angst, sich irgendwann endgültig in einer Welt wiederzufinden, in der eine Katastrophe die Nächste ablöst“, sagte Niedecken bei der Album-Vorstellung 2020. Zwei Jahre später ist die Angst vor einem dritten Weltkrieg präsent. Und genau deshalb „darf die Nato da nicht reingehen“, mahnt Niedecken am Mittwochabend.

Keine Betroffenheitsmesse

„Kristallnaach“, der Song gegen Neonazis und Rechtsextremismus hat auch nach knapp 40 Jahren nichts von seiner Aktualität verloren. An diesem Abend geht der Blick nach Russland. Niedecken: „Es gibt neue Helden für mich. Es sind die Leute, die sich immer noch trauen, in Russland zu demonstrieren.“ Jetzt steht auch der Unterrang.

Dass es keine Betroffenheitsmesse wird, liegt an der Musik. Nach Klaus „Major“ Heuser und Helmut Krumminga hat Niedecken mit Uli Rode längst einen weiteren Ausnahmegitarristen, der nur das Pech hat, dass Soli in der aktuellen Rock- und Popmusik nicht mehr den Stellenwert haben wie zu Zeiten des Nato-Doppelbeschlusses. Hinzu kommen wie schon bei der vorherigen BAP-Tour die kraftvollen Bläser-Einsätze. Kraftvoller, drückender Kölsch-Rock gegen alles Schlechte in dieser Welt.

14.000 Fans singen mit

Immer wieder wird nach Köln abgebogen, am liebsten in die Südstadt. „Alexandra“, die Niedecken schon vor Jahrzehnten besungen hat, begeistert jetzt mit Schlagzeug-Solo und einer Musikalität, die sich Ende der 70er noch nicht so durch die Band zog. Zeiten, als ein junger Niedecken Liebeskummer bekämpfte und noch heute bewegende Hymnen wie „Jraaduss“ textete. Am 30. März 2022 singen 14.000 lautstark mit, und wohl jeder ist dabei in Gedanken bei einem anderen Menschen. Heute singt ein stolzer Großvater Niedecken über die erwachsene Tochter. „Mittlerweile Josephine“: Dieser und gleich mehrere Songs des 2000er Albums „Alles fließt“ feiern zwangsweise erst jetzt Live-Premiere in Köln.

Im Publikum sind alte Weggefährten und Bandmitglieder wie die ehemaligen Keyboarder Bernd Odenthal oder „Effendi“ Büchel - und ganz viele FC-Fans. Denen und ihrem FC-Trainer Steffen Baumgart widmet Niedecken den Hit aus alten Südstadt-Zeiten „Nix wie bessher“: Als die Toreinfahrt vom Schuster das Fußballtor war, und wo im Winter wie im Sommer „dä Papst ahm boxe wohr“ und klein-Hans-Schäfers spielten.

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Zum Geburtstag lädt man sich natürlich auch Gäste ein. Auf der Bühne gibt es ein unverhofftes Wiedersehen mit Ex-Schlagzeuger Jürgen Zöller. Mit Thees Uhlmann wird der Bruce-Springsteen-Klassiker „Hungry heart“ angestimmt.

Aber auch Niedecken wird überrascht: Beim „Jebootsdaachspogo“ kommt die „Crew“ auf die Bühne, darunter Niedeckens Ehefrau Tina und Tochter Jojo. Für den „Bap“ gibt es einen Kuchen samt Kerzen. Mike Herting, mit dem Niedecken zuletzt auf Bob-Dylan-Konzertreise war, malträtiert beim „Leopardefellhoot“ die Piano-Tasten derart, dass Keyboarder Michael Nass Sorge um sein Equipment gehabt haben dürfte. Wenig später steht Clueso auf der Bühne: „Wir Musiker haben lange keine Leute mehr gesehen.“ Dementsprechend genießt auch er „All die Aureblecke“. Julian Dawson reiste aus Südfrankreich für seinen Kölner Kumpel an. Der hatte weniger Lust, den nächsten Dylan-Titel anzusagen, sondern konstatierte ein deutliches „Fuck Brexit“.

Schon vor den Zugaben-Blöcken, in denen Perlen wie „Do kanns zaubere“ oder Gassenhauer wie „Verdamp lang her“ gespielt wurden, stimmt die Menge „Oh, wie ist das schön“ an. In der Tat hat man sowas lange nicht gesehen: Gegen das Schlechte in der Welt ansingen und zugleich Geburtstag feiern. Niedecken, ein Seiltänzer mit 71.

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