Meine RegionMeine Artikel
AboAbonnieren

Nächtliche EntschärfungWie viele Weltkriegsbomben liegen noch im Kölner Erdreich?

Lesezeit 4 Minuten
Am Montagabend wurde bei Bauarbeiten an der Hardefuststraße ein Bombenblindgänger aus dem Zweiten Weltkrieg entdeckt.

Am Montagabend wurde bei Bauarbeiten an der Hardefuststraße ein Bombenblindgänger aus dem Zweiten Weltkrieg entdeckt.

Knapp eine Woche nach der Evakuierung in Lindenthal war in der Nacht zu Dienstag die Südstadt dran. Mit wie vielen Bombenfunden muss man in Köln noch rechnen?

Am Montagabend wurde bei Bauarbeiten an der Hardefuststraße ein Bombenblindgänger aus dem Zweiten Weltkrieg entdeckt. Wie die Stadt mitteilte, handelte es sich um eine Fünf-Zentner-Bombe mit Heckaufschlagzünder. Noch in der Nacht musste das Gebiet rund um den Fundort evakuiert werden. Der Evakuierungsradius betrug 400 Meter und erstreckte sich unter anderem über Teile des Pantaleons- und des Volksgartenviertels, rund 5200 Anwohnerinnen und Anwohner mussten ihre Wohnungen verlassen.

Die Evakuierung und die Entschärfung zogen sich bis in den frühen Morgen. Erst um kurz nach 7 Uhr durften die Anwohner zurück in ihre Wohnungen. Die Nacht mussten sie bei Freunden, Verwandten oder in den beiden von der Stadt kurzfristig eingerichteten Anlaufstellen verbringen. 51 kranke oder gehbehinderte Personen mussten mit Krankentransporten aus dem Evakuierungsbereich gebracht werden.

Warum musste so kurzfristig evakuiert werden?

Bei dem Bombenblindgänger handelte es sich um einen Zufallsfund, erklärte eine Sprecherin der Stadt: „Der Blindgänger wurde bei Bauarbeiten durch die Überfahrt mit einem Kettenfahrzeug bewegt und dadurch entdeckt.“ Um kein Risiko einzugehen, entschied der Kampfmittelbeseitigungsdienst schließlich, dass die Bombe unverzüglich entschärft werden müsse. Doch bis zu der Entscheidung dauerte es. Der Fund der Bombe wurde dem Ordnungsamt schon gegen 16 Uhr gemeldet. Doch weil der Kampfmittelbeseitigungsdienst (KBD) noch außerhalb Kölns gebunden war, dauerte es, bis er an der Hardefuststraße eingetroffen war und eine Entscheidung fällen konnte. „Ausschließlich die Experten des KBD können einen Blindgänger und dessen Beschaffenheit abschließend beurteilen und das weitere Verfahren vorgeben.“

Blick auf die Baustelle an der Hardefuststraße /Sachsenring am Dienstagmorgen (27. 5.)

Blick auf die Baustelle an der Hardefuststraße /Sachsenring am Dienstagmorgen (27. 5.)

Allen Beteiligten sei bewusst gewesen, welch hoher personeller Aufwand und welche Belastung für die Anwohnerschaft eine Evakuierung in der Nacht bedeuten würde, so die Sprecherin weiter. Allerdings: „Im Rahmen der Gefahrenabwehr konnte die Entschärfung nicht auf einen späteren Zeitpunkt verschoben werden.“

Danach mussten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Ordnungsamtes, der Feuerwehr und von Hilfsorganisationen zusammengetrommelt und teilweise aus dem Feierabend geholt werden. „Außerdem mussten für die Bevölkerung angemessene Anlaufstellen gefunden und ein Shuttle-Betrieb organisiert werden, was zu dieser späten Stunde eine weitere Herausforderung war“, so die Sprecherin.

Wie viele Bomben liegen noch im Kölner Erdreich?

Das weiß niemand, aber es gibt Näherungswerte. Fest steht: 262-Mal wurde Köln im Zweiten Weltkrieg zwischen 1940 und 1945 aus der Luft bombardiert. Nach Angaben der Stadtverwaltung sind bei diesen Angriffen insgesamt ungefähr 1,5 Millionen Bomben niedergegangen, das lässt sich vor allem aus Aufzeichnungen der Alliierten rekonstruieren. Die Stadt Köln geht von einer Blindgängerquote von 20 Prozent aus. Darüber geben zum Beispiel Luftbildauswertungen von damals Aufschluss. Das würde bedeuten, dass nach Ende des Krieges rund 300.000 Blindgänger im Boden zurückgeblieben sind.

Wie viele davon wurden bis heute ausgegraben und entschärft?

Auch das ist nicht bekannt. Denn vor allem in den ersten Jahren und Jahrzehnten nach dem Krieg wurde darüber nicht zentral oder systematisch Buch geführt. Die Zuständigkeit für die Kampfmittelräumung hat seit 1945 zudem mehrfach gewechselt – anfangs waren die Besatzungsmächte zuständig, seit den 50er Jahren dann schrittweise die Bundesländer. In der DDR war es wieder anders geregelt. Erst seit 2014 verzeichnet die Stadt Köln jeden einzelnen Fund intern in einem Dashboard. Demnach wurden in den vergangenen elf Jahren allein knapp 450 Kampfmittel in Köln aus der Erde geholt – die meisten waren Sprengbomben. Erst mit großem Abstand folgen Granaten und andere Munition. Jan Leipertz von der Fachgruppe „Kampfmittelangelegenheiten“ im Kölner Ordnungsamt, schätzt, dass es noch mal weitere 70 bis 80 Jahre dauern wird, „bis man wahrscheinlich sagen kann: Wir haben den Großteil gefunden.“

Was verrät das Dashboard der Stadt noch über die einzelnen Funde?

So ziemlich alles: wo die Bombe gefunden wurde, wie, von wem, wann, welchen Zünder sie hatte; aber auch wie viele Anwohner evakuiert werden mussten, wie viel Personal das Ordnungsamt eingesetzt hat, wie viele Anwohnerinnen und Anwohner mit Krankenwagen transportiert und wie viele betreut werden mussten. Zusammenfassend lässt sich sagen: Die meisten Kampfmittel wogen fünf Zentner, hatten einen Aufschlagzünder, wurden an einem Mittwoch entschärft und zufällig gefunden, häufig bei Bauarbeiten. Zunehmend aber werden Bomben durch systematische Sondierungen im Zuge von geplanten Baumaßnahmen identifiziert.

Wo in Köln liegen die meisten Blindgänger?

Einen eindeutigen örtlichen Schwerpunkt gibt es nicht. Vor allem mit Beginn der Flächenbombardements auf Köln im Mai 1942, mit denen gezielt Wohngebiete ins Visier genommen wurden, um die Kriegsmoral der Bevölkerung zu brechen, gingen Bomben nahezu überall nieder. Lediglich der Kölner Norden, Chorweiler zum Beispiel, blieb im Vergleich zu anderen Stadtteilen eher verschont.