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Chef der Uniklinik Köln warnt„Sind beim Gesundheitssystem nicht auf richtigem Weg“

2 min
Uniklinik Köln HEINEKAMP

Haupteingang und Bettenhaus der Kölner Uniklinik

  1. Seit zehn Monaten wütet die Corona-Pandemie in Deutschland. Aktuell fordert sie mehr Todesopfer als je zuvor. Aber es gibt Hoffnung: 2021 könnte das Jahr der Impfungen werden.
  2. Wir haben Kölner Mediziner, Psychologen und weitere wissenschaftliche Beobachter zurück und voraus blicken lassen.
  3. In diesem Text blickt Edgar Schömig, Chef der Kölner Uniklinik, auf tödliche Falschbehauptungen. Außerdem stellt er die Entwicklung des Gesundheitssystem infrage – und zeigt sich selbstkritsch.

Köln – Das Krisenmanagement an der Uniklinik hat sich bewährt. Wir haben ein tolles, hochmotiviertes Team. Und Krisen, das haben wir spätestens in diesem Jahr gelernt, schweißen zusammen und entfesseln ungeahnte Kräfte. Das geht durch alle Berufsgruppen und Bildungsgrade, ich finde das faszinierend.Wir haben auch gelernt, dass organisatorische Autonomie wichtig ist. Wir waren mit allen unseren Maßnahmen – Kontaktbeschränkungen, Masken und Hygiene – immer einige Wochen vor den politischen Maßnahmen. Ohne diese Autonomie wären wir in größere Probleme geraten.

Corona: Meinungen von Prominenten, die zu Todesfällen führen

Leider kann man sich nicht so sehr auf die globalen Lieferketten und Wirtschaftsverflechtungen verlassen, wie ich es erhofft habe. Von uns bereits bezahlte FFP-2-Masken sind im März an der französisch-deutschen Grenze von Frankreich beschlagnahmt worden. Das ist leider an unterschiedlichen Grenzen und mehrfach passiert, was mich durchaus schockiert hat. Auch hier ist das Prinzip Autonomie wichtig: Wir müssen uns als Land auf medizinische Krisen selbst besser vorbereiten und dürfen uns nicht zu sehr auf andere verlassen. Das gilt auch für die Produktion von medizinischen Geräten – und nicht zuletzt für Impfstoffe.

Ich habe auch gelernt, dass man sich mit erstaunlichen Meinungen kleiner Minderheiten auseinandersetzen muss. Thesen wie „Es ist nur eine Grippe“, „Wir brauchen die natürliche Herdenimmunität“ oder „Masken schaden“ kamen von einzelnen aber durchaus prominenten Experten, die für große Verunsicherung gesorgt haben. Der Widerspruch der großen Mehrheit und der Fachgesellschaften ging leider schnell unter. Das führt zu weniger umsichtigem Verhalten, zu Neuinfektionen und letztlich zu Todesfällen.

Mein neuer Blick auf unser Gesundheitssystem

Deutlich geworden ist zudem, dass wir unser Gesundheitssystem nicht so weiterentwickeln dürfen, wie wir es in den vergangenen 15 Jahren seit Einführung der Fallpauschalen gemacht haben. Wir haben das beste Gesundheitssystem der Welt, sind aber aus meiner Sicht nicht auf dem richtigen Weg. Vor einem Jahr hätte ich das skandinavische System, das auf diesem Weg der Rationalisierung weiter fortgeschritten ist, noch hoch gelobt.

Uniklinik-Chef Edgar Schömig

Prof. Dr. Edgar Schömig, Vorstandsvorsitzender und Ärztlicher Direktor der Kölner Uniklinik.

Heute wissen wir: Eine grenzenlose wirtschaftliche Optimierung ist fatal, sie führt dazu, dass wir keine Reserven mehr haben. Wir brauchen ein Umdenken hin zu mehr präventiven Kapazitäten, auch ich musste meine Haltung an dieser Stelle ändern. Wären wir heute fünf Jahre weiter auf dem Weg der strammen Rationalisierung, hätten wir nicht genug Intensivbetten. Deutschlands Gesundheitssystem ist ein Schatz, den es ab sofort zu schützen und zu bewahren gilt.

Lesen Sie hier weitere Stimmen medizinischer Experten zum Jahreswechsel:

  1. Gerhard Wiesmüller vom Gesundheitsamt
  2. Infektiologin Clara Lehmann
  3. Psychologin Damaris Sander
  4. Arzt Jürgen Zastrow
  5. Apotheker Thomas Preis
  6. Psychologe Peter Wehr