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„Zwei Kaffee, bitte!“Ein Lebensdrittel in Moskau, eins in der Ukraine und eins in Köln

Lesezeit 3 Minuten
Chorleiter Josef Nedzvetski in einem Café

Chorleiter Josef Nedzvetski

Was erzählen Menschen, wenn man sie anspricht und zum Kaffee einlädt? Dieser Frage geht Susanne Hengesbach in ihrer Rubrik „Zwei Kaffee, bitte!“ nach.

Wenn man diesem Mann in der Stadt begegnet, erübrigt sich wohl die Frage nach dem Woher oder Wohin. Er wird wahrscheinlich immer von einem Chor kommen oder er ist auf dem Weg dahin. Gerade ist es der Gemeindesaal von St. Maria im Capitol. Josef Nedzvetski und der Chor gehören zusammen wie Tim und Struppi. Das ist jedenfalls der Eindruck, den ich im Verlauf unseres gut zweistündigen Gesprächs gewinne.

Um alles auszuführen, was der freundliche 74-Jährige mir bei einer Tasse schwarzen Kaffees erzählt, bräuchte ich mehr als eine Zeitungsseite. Aber selbst dann wäre nichts darüber zu lesen, was dieser Mann, der das erste Drittel seines Lebens in Russland und das zweite in der Ukraine verbracht hat, in seinem Inneren fühlt.

„Unser Herz ist gespalten“

„Unser Herz ist gespalten“, ist das einzige, was er sagt. Zum Glück werde er nie gefragt, auf welcher Seite er stehe. „Die Leute verstehen alle, wie schwer die Situation für uns ist“, sagt er auch mit Blick auf seine ukrainische Ehefrau. Unsere Unterhaltung hingegen hat eine unerwartete Leichtigkeit, was damit zusammenhängt, dass sich fast alles um die große Passion dreht, die den gebürtigen Moskauer seit seiner Kindheit begleitet und die die Mutter, eine ausgebildete Sängerin, befeuert hat.

Nedzvetski erzählt, dass er bereits in seiner Kindheit Schallplatten von berühmten Tenören gehört habe. Und – weil es in seiner Heimat damals zum Prestige gehörte, dass Kinder die Musikschule besuchten – landete auch er als Siebenjähriger in einer solchen Einrichtung; freilich ohne ahnen zu können, dass sich von da an eine Auszeichnung an die andere reihen würde und er nach Abschluss von Musikschule sowie Musik-Kollegium praktisch mit Bestnoten fürs Konservatorium zugelassen wurde.

Weltstars der Musik im Bolschoi-Theater hautnah erlebt

Der Zufall oder das Schicksal wollte es, dass sein damaliger Professor Chorleiter im Bolschoi-Theater war und für den damals 19-Jährigen ein mehrmonatiges Praktikum einfädeln konnte. Nedzvetskis Augen beginnen zu leuchten, als er von dieser Zeit erzählt. Von dem riesigen Geschenk, in diesem geschichtsträchtigen Haus auch hinter die Kulissen blicken zu dürfen und weltberühmte Künstler wie den Geiger David Oistrach, den Cellisten Mstislaw Rostropowitsch oder den Pianisten Emil Gilels praktisch hautnah zu erleben.

Wegweisend für sein zweites Lebensdrittel war die Tatsache, dass etwa zu der Zeit, als er in Russland seinen Militärdienst verrichtete, in der Ostukraine ein neues Opernhaus errichtet wurde. Mein Gegenüber macht eine Handbewegung, der ich entnehme, dass die kölsche Form des „Man-kennt-sich-und-man-hilft-sich“ in anderen Ländern nicht gänzlich unbekannt ist, und er deswegen tatsächlich zu seiner eigenen Überraschung im Jahr 1974 in Dnepropetrowsk landet, der viertgößten Stadt in der Ukraine: als Leiter des Opernchores.

Bald 20-jähriges Jubiläum beim Chor Pro Musica Sacra Köln

Die Jahre, die er zunächst als „die glücklichsten meines Lebens“ bezeichnet, werden im Laufe der Zeit immer schwieriger. Am Ende sind es auch die düsteren wirtschaftlichen Perspektiven, die das Ehepaar veranlassen, gemeinsam mit dem Sohn die Heimat zu verlassen und nach Köln zu ziehen, „wo es eine Verwandte meiner Frau gab“, die offenbar schon seit Jahren für die Weltoffenheit der Stadt geworben hatte.

Der Musiker berichtet von den intensiven Sprachkursen in der Anfangszeit und von seinen unermüdlichen Versuchen, beruflich wieder dort Fuß zu fassen, wo er sich zu Hause fühlte. Das 20-jährige Bestehen, das er am 15. Oktober mit seinem Chor Pro Musica Sacra Köln im Rahmen eines Konzerts in der Kirche Karl Borromäus feiern wird, ist nur ein Beweis dafür, dass die Bemühungen gefruchtet haben.

Stand in der Vergangenheit oft Sakralmusik und Klassik im Vordergrund, gibt es inzwischen auch Formationen mit einem Schwergewicht auf Gospel- und Popmusik. Mein Gegenüber ist felsenfest davon überzeugt, dass man (fast) nichts Besseres für seine Gesundheit tun kann, als zu singen. Und das könne – unabhängig vom Alter – praktisch jeder.