Große Bilanz zu ImpfungenWie Köln das Wettrennen gegen Corona gewinnen will

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In Chorweiler fand die bundesweit erste Stadtteilimpfung statt.

  • Am zweiten Weihnachtstag 2020 wurde in einem Seniorenzentrum der erste Mensch in Köln geimpft. Nun sind 76 Prozent vollständig geschützt. Der Weg zu dieser Quote war alles andere als einfach. Eine Bilanz.

Köln – Am 26. Dezember 2020 war Gertrud Vogel in den „Tagesthemen“ und auf vielen Internetseiten von Zeitungen und Rundfunksendern zu sehen. Am zweiten Weihnachtsfeiertag wurde die 92-Jährige als erste Kölnerin geimpft – und sagte vor einer Traube von Journalisten: „Ich hoffe, dass sich jeder impfen lässt. Nur so kriegen wir das Virus in den Griff und junge Menschen können wieder leben, wie sie leben möchten.“

Ein Jahr später haben sich für Vogels Geschmack zu viele Menschen in Deutschland noch nicht impfen lassen. Während die vierte Corona-Welle nur langsam bricht, bahnt sich die nächste, womöglich bedingt durch die infektiösere Omikron-Variante höhere, bereits an. „Es ist schwer, an Menschen, die nicht an die Wissenschaft glauben, heranzukommen“, sagt sie, „das kann einen traurig machen.“ Die Lebenserwartung sei in den vergangenen Jahrzehnten vor allem wegen des medizinischen Fortschritts enorm gestiegen. Gertrud Vogel hatte Brustkrebs, ein akutes Nieren- und Blasenversagen und einige andere Krankheiten. „Ohne die moderne Medizin wäre ich längst tot“, sagt sie.

26 Millionen Euro für das Impfzentrum

Mit dem Pieks für Gertrud Vogel begann vor einem Jahr das, was Feuerwehrchef Christian Miller heute wie damals eine „Mammutaufgabe“ nennt. Hunderttausende zu impfen, einmal, zweimal, dreimal und wer weiß schon, wie oft denn noch – und zwar möglichst rasch, dabei aber gerecht für alle.

Grafik Impfquote Köln neu

„Wir wussten, dass die Mutationsrate des Virus relativ hoch ist. Es wird einen permanenten Wettlauf geben zwischen den Impfungen und der Mutationsrate“, sagt Miller heute. Er fordert, dass die bundesweite Impfkampagne an Geschwindigkeit zulegt, die Impfbereitschaft noch höher wird, um die Ausbreitung neuer Mutationen zu verhindern. „Auch deswegen stehen wir vor der Omikron-Welle.“

Nach einem Jahr also sind wir immer noch mitten drin in diesem Wettlauf. Dabei war der Aufwand hoch. Allein im Impfzentrum in der Deutzer Messe wurden knapp 646.000 Dosen gespritzt, die meisten davon von Biontech. Mehr als 1000 Helfer waren dort im Einsatz. Knapp 26 Millionen Euro haben Personal und Material allein die Stadt gekostet für neun Monate.

Etwa 76 Prozent der Kölnerinnen und Kölner sind inzwischen geimpft. Damit liegt Köln leicht über Landes- (74 Prozent) und deutlich über Bundesschnitt (71). Bei der Booster-Quote von 35 Prozent ist Köln etwa auf Bundesniveau. „Wenn man Kinder und Jugendliche herausrechnet, sind wir bei einer Impfquote von mehr als 90 Prozent. Das ist wesentlich mehr, als wir vor einem Jahr gedacht hätten“, sagt Rettungsdienst-Leiter Prof. Alex Lechleuthner.

Erst Run auf die Impfdosen, dann kaum noch Nachfrage

Im Frühjahr sah das noch ganz anders aus. Der Impfstoff war noch knapp, die Priorisierung noch nicht aufgehoben, als Stadtspitze und Feuerwehr in einer Vorbesprechung zum Krisenstab die Meldung aus dem Impfzentrum bekamen, dass aus bestimmten Stadtteilen kaum Menschen dorthin kamen. „Gleichzeitig kamen Analysen des Fraunhofer-Instituts, dass es Viertel gibt, in denen die Inzidenzen durch die Decke gehen“, berichtet Miller. „Dann saßen wir also in der Vorbesprechung und die Feuerwehr wurde beauftragt, dass wir folgerichtig einen Bus und Zelte besorgen und mit einem mobilen Team in die Stadtteile fahren müssen.“ Mit diesen Stadtteil-Impfungen war Köln lange Zeit Vorreiter.

Erste Impfung im Impfzentrum

Die älteste Kölnerin Elisabeth Steubesand wurde als erste im Impfzentrum geimpft.

Die Teams fuhren nach Chorweiler, Mülheim, auf dem Kölnberg. Knapp 60.000 Menschen wurden so erreicht, „die vermutlich nie ins Impfzentrum gekommen wären, unter anderem weil sie gesagt haben, dass sie keine Zeit hatten“, sagt Lechleuthner. Impfaktionen gab es auch in der Zentralmoschee, vor dem Bahnhof und am Stadion. „Ich habe nicht damit gerechnet, dass wir einen derartigen Aufwand treiben müssen. Ich dachte, dass das Impfzentrum und die niedergelassenen Ärzte reichen“, sagt Lechleuthner. „Als wir angefangen haben mit der Kampagne, gab es einen absoluten Run auf die Impfdosen. Euphorisiert von diesen Erfolgen haben wir gedacht, dass das so anhält. Im Mai kippte das dann.“

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Getrud Vogel wrde am 26. Dezember 2020 als erste Kölnerin geimpft.

Es folgte ein Sommer, an dem vieles zu sein schien wie früher, in dem sich auch viele gegen das Impfen entschieden haben. „Die Leute haben gefeiert und keine Masken getragen als wäre die Pandemie vorbei. Dabei hätten wir schon im Sommer stringentere Regeln gebraucht“, sagt Dr. Jürgen Zastrow, Kölns leitender Impfarzt. Vorbei die Zeit, als vereinzelt Menschen im Impfzentrum aggressiv wurden, weil sie nicht schnell genug ihre Spritze bekamen, wie sich Zastrow erinnert. Im August sind etwa 20.000 Reserve-Dosen im Impfzentrum verfallen, weil es keine Abnehmer gab und weil auch das Land nichts mehr anzufangen wusste mit dem Stoff.

Ende September schließt das Impfzentrum in der Messe, statt der möglichen 8000 Spritzen täglich wurden zuletzt nur noch rund 1000 verabreicht, erinnert sich Zastrow. „Dafür war der Aufwand zu groß. Deshalb war die Schließung zu diesem Zeitpunkt richtig“, sagt er. Die Impfungen seien jetzt mit den niedergelassenen Ärzten, den Impfzentren in Gesundheitsamt und Lanxess-Arena und mobilen Angeboten zu bewältigen.

Zastrow plädiert für Impfpflicht

Das größte Problem wird jetzt aber wohl sein, auch die Letzten noch zu bekommen. „Jetzt sind nur noch die übrig, die nun wirklich überhaupt nicht wollen. Darunter gibt es Menschen, die eine vorgefertigte Schablone haben. Zum Beispiel, weil sie als Kind mal ein schlimmes Impferlebnis hatten oder weil sie irgendwo mal etwas über Nebenwirkungen gelesen haben. Das sind dann eisenharte Verweigerer, denen nur sehr schwer beizukommen ist.“

Ob am Ende aber eine Quote von knapp 80 Prozent reichen wird gegen die nächsten Wellen und Varianten, ist unklar. „Die Herausforderungen sind groß. Aber es sind alles lösbare Aufgaben im Vergleich zur Leistung der Wissenschaft, diesen Impfstoff überhaupt bereitzustellen“, sagt Miller.

Impfung Moschee

In der Zentralmoschee in Ehrenfeld fand im Mai eine Impfaktion statt.

Zastrow sieht auch die Politik in der Pflicht, die weniger „angstgesteuert“ agieren und „auch mal unpopuläre Entscheidungen treffen“ müsse. Etwa die einer allgemeinen Impfpflicht, für die er deutlich plädiert. Gertrud Vogel hat mit ihrem Impf-Appell vor einem Jahr viele Menschen berührt: Sie habe das erste Mal in ihrem Leben „Fanpost“ erhalten, sagt sie und zeigt Karten und Briefe, die sie auf einem Tisch in ihrem Zimmer drapiert hat. Gefreut habe sie sich besonders, dass ihr auch Kinder und Jugendliche schrieben.

Sie hoffe weiter, „dass sich jetzt noch sehr viele Menschen impfen lassen“ und denke dabei „immer noch vor allem an die jungen Leute, denen eine so wichtige Phase genommen wird, solange sich nicht alle impfen lassen“.

Überblick: Die wichtigsten Kölner Impf-Meilensteine

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Impfzentrum in der Köln-Messe bekamen bis zu 7800 Menschen täglich eine Spritze.

27. Dezember 2020: Gertrud Vogel erhält als erste Kölnerin eine Coronaimpfung.

21. Januar 2021: Wegen Engpässen bei Hersteller Biontech/Pfizer verfügt das Land einen vorübergehenden Impfstopp in Senioren- und Pflegeheimen verfügt

8. Februar 2021: Das Impfzentrum in der Messe öffnet.

April 2021: Auch Niedergelassene Ärzte dürfen nun impfen.

3. Mai 2021: Die Stadtverwaltung schickt das erste mobile Impfteam in einen Stadtteil, nach Chorweiler. Es ist die erste Aktion diese Art in der Bundesrepublik.

9. Mai 2021: Bei einer Aktion in der Zentralmoschee in Ehrenfeld lassen sich an zwei Tagen 3180 Menschen impfen.

Frühjahr/Sommer 2021: Die Impfstoffknappheit lässt nach, die Impfbereitschaft allerdings auch.

August: Im Impfzentrum müssen rund 20.000 vom Verfall bedrohte Impfdosen verworfen werden.

28. September: Nach einer Verfügung des Landes schließt das Impfzentrums in der Messe.

23. November: Das Impfzentrum in der Lanxess-Arena öffnet.

9. Dezember: Erster Fall der Virusvariante Omikron in Köln.

13. Dezember: Die Impfung von Fünf- bis Elfjährigen beginnt. 

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