Drei Schüler erklären„Abi-Krieg hat mit Krieg nichts zu tun“

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Abiturienten dreier Gymnasien feiern gemeinsam und friedlich auf der Uniwiese.

Abiturienten dreier Gymnasien feiern gemeinsam und friedlich auf der Uniwiese.

  • Drei Schüler wurden bei den Krawallen während der Abi-Mottowoche in Köln verletzt. Zwei von ihnen schwer.
  • Die Polizei hat eine Ermittlungsgruppe gegründet. Am Freitag durchsuchten Beamte Wohnung und Auto eines Schülers.
  • Drei angehende Abiturienten erzählen, wie sie die vergangenen Tage erlebt haben - und was sie draus lernen.

Köln – Leonie, Jonas und Timo, eine Woche „Abi-Krieg“ ist zu Ende. Was sagen die Krieger? Jonas: Ich will als Erstes mal eines klarstellen: Dieser sogenannte Abi-Krieg ist nichts anderes als eine Wasserschlacht. Timo: Ein Spiel wie andere Kriegsspiele auch.

Aber eines mit Schwerverletzten und mit Großeinsätzen der Polizei. Timo: Niemand bestreitet, dass einige über die Stränge geschlagen haben. Wir als Bezirksschülervertretung wehren uns aber gegen die Übertreibungen und gegen die Pauschalisierung. Leonie: Ich war am Montagabend am Humboldt-Gymnasium mit dabei, und ich habe es ganz anders erlebt, als es danach in den Medien wiedergegeben wurde. Jonas: Es wurde so getan, als wären Horden schwer bewaffneter, gewaltbereiter Jugendlicher aufeinander losgegangen. Mit  Speeren sollen wir bewaffnet gewesen sein. Blödsinn! Dieser „Speer“ war  einfach nur die Stange von einer unserer Fahnen. Es gehört zum Spiel, dass man versucht, die Fahne der anderen zu erbeuten. Ich weiß auch, was ich mitgebracht hatte: Wasserpistole, Wasserbomben und Flaschen zum Nachfüllen. Ja, und so eine Art Schleuder, um die Wasserbomben in möglichst hohem Bogen schießen zu können, damit die anderen sie nicht so gut mit ihren Regenschirmen abwehren können. Das ist doch das Ziel einer Wasserschlacht: die anderen nass zu machen. Irgendwelche Leute haben immer ein Rad ab. Die meisten  wollten einfach ihren Spaß haben und den „Unbesiegbaren“ vom Humboldt, die seit 2013 den Abi-Krieg immer gewonnen hatten, endlich mal eine Niederlage beibringen. Leonie: Auf ihrer Facebook-Seite hatten die vom Humboldt  andere Schulen vorher sogar eigens dazu aufgerufen, mitzumachen.

Wie der „Abi-Krieg“ funktioniert

Wie gewinnt man denn diesen Krieg? Jonas: Indem man den Gegner in der Wasserschlacht zum Rückzug oder zum Aufgeben zwingt, Gruppenfahnen ergattert, unbemerkt das eigene Banner in einer fremden Schule aufhängt. Das sind alles Elemente des „Abi-Kriegs“, den es schon seit Jahren gibt.

Und die sich darüber aufregen, das sind halt blöde Spießer? Jonas: Nein, gar nicht. Die meisten haben bloß keine Ahnung, was sich hinter dem Wort „Abi-Krieg“ verbirgt. Leonie: Ja, und dann sagen sie, „es gibt doch schon genug Krieg in der Welt“. Dabei hat das eine nichts mit dem anderen zu tun. Bis auf das Wort eben.

Kann sein. Aber wir sind hier in Köln – es ist keine drei Monate her, da tobte am Bahnhof der Mob. Mit den bekannten Folgen. Und kurz danach kommt ihr und lasst zum Spaß die Sau raus. Jonas: Auch das lässt sich nicht vergleichen. Das eine hat nichts mit dem anderen zu tun.

Wie kommt es eigentlich, dass dieser Abi-Krieg nur in Köln so dramatische Ausmaße angenommen hat? Leonie: Ganz klar – drei Buchstaben: KKK, Kölsch Kraat Kommando. Das war eine Gruppe, die sich 2011 am Humboldt-Gymnasium gebildet hatte. Es gab sie bis voriges  Jahr. Dann hat sie sich  aufgelöst. KKK hat  den Trend gesetzt. Timo: Und der hatte   von Anfang eine Affinität zu Gewalt. Das gab es in anderen Städten so nicht. Das muss man schon zugeben. Jonas: Mottowochen und solche Sachen sind inzwischen  überall verbreitet. Aber ich denke, nach allem, was jetzt in Köln passiert ist, werden sie in anderen Städten umso zurückhaltender sein.  Nur: Am Konzept „Abi-Krieg“ werden sie auch anderswo festhalten, weil es etwas ist, das einfach Spaß macht. Leonie: Es ist eine coole Sache, mit den Leuten von den anderen Schulen, die man jahrelang kennt, in so einen Wettkampf zu gehen.

„Keiner legt es auf Gewalt an“

Spaß? Obwohl die Gewalt von Jahr zu Jahr zugenommen hat? Jonas: Das stimmt so  nicht. Timo: 2015 zum Beispiel ist es insgesamt ruhiger geblieben als im Jahr davor. 2014 war ziemlich heftig, das ist richtig. Offenbar war jetzt, nach zwei Jahren, die Erinnerung nicht mehr so da. Das ist natürlich ein Problem. Jeder neue Abi-Jahrgang sagt sich, „diesmal wird es schon nicht so schlimm werden, wir kriegen das hin.“ Keiner legt es auf Gewalt an, keiner geht hin und will andere verletzen. Trotzdem haben wir jetzt gesehen, man kann vorher noch so viel vom „fairen Abi-Krieg“ reden  – man kriegt es eben nicht hin.

Was folgt daraus? Timo: Für die Kölner Schülerschaft steht fest, wir wollen so etwas  zukünftig verhindern.

Und wie? Timo: Zwei Möglichkeiten. Entweder man sagt sich von den ganzen Ritualen los ... Jonas: ...das wird nicht passieren. Die heute Jüngeren werden sich das nicht nehmen lassen. Die haben gesehen, das macht Spaß mit den Wasserschlachten. Und diesen Spaß werden sie am Ende ihrer Schulzeit auch haben wollen. Timo: Deshalb Möglichkeit zwei: Die Jahrgangsstufen setzen sich vorher zusammen und überlegen, wie sie es angehen, gemeinsam mit allen Schulen. Leonie: Genau, es müsste Regeln geben. Aber man kann halt nie ausschließen, dass einige wenige sich nicht daran halten. Jonas: Ich halte die Vorstellung von Regeln für den  „fairen Abi-Krieg“ für utopisch. Was Fairness ist, weiß jeder. Dafür bräuchte es keine Regeln. Timo: Die Frage muss sein: Finden wir ein Konzept, mit dem wir die Gefahr der Eskalation so eindämmen können, dass wir Mottowochen und Abi-Krieg abhalten können. Sonst müssen wir es lassen.

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„Wir wussten alle, dass die Polizei vor Ort sein würde“ - Jonas Flocke.

Wie lange gebt ihr euch denn für diese Suchphase? Timo: Ein Jahr. 2017 muss es sich entscheiden. Punkt. Jonas: Aber im Moment  sind wir total unzufrieden, enttäuscht und wütend über das schiefe Bild, das die Medien verbreitet haben. Zum Beispiel wurden aus gut gemachten, aufwendig produzierten Spaß-Videos willkürlich einzelne Szenen herausgeschnitten, die dann als Beleg für Gewaltverherrlichung und Aufruf zur Randale herhalten sollten. Völlig daneben!

Schon klar. Schuld an allem sind die Medien. Mit dem Ergebnis, dass mir „Lügenpresse, Lügenpresse“ hinterhergerufen wurde, als ich gestern Abend an der Schule in meinem Viertel vorbeifuhr. Leonie: Das zeigt den Frust, der in uns steckt. Wir haben eigene Whatsapp-Gruppen, in die wir alles reingeben, was wir finden an Videos,  Zeitungsartikeln, im Netz, Kommentare, Blog-Einträge. Da fühlen wir uns einfach schlecht behandelt: „Unmöglich, diese Kölner Abiturienten ...“, heißt es dann. Jonas: Einfach alle in einen Topf geworfen!

„Wer hingeht, ist sich darüber im Klaren, dass es ausufern kann“

Ihr redet  von „Enttäuschung“, von  „Wut“ und „Erschrecken“. Und worüber? Wie über euch geredet und berichtet wird. Was ist denn mit der Wut und dem Erschrecken über die Gewalt, über Kopfverletzungen, über einen Mitschüler, der fast sein Augenlicht verloren hätte? Jonas: Kein Schüler, der bei Sinnen ist, prügelt so auf einen anderen ein, dass der einen Schädelbasisbruch erleidet. Das sind Hooligans. Hooligans machen immer so eine Scheiße. Deswegen bin ich da – mal hart formuliert – abgestumpft. Solche Nachrichten hört man  jeden Tag.

Selbst wenn die Gewalt nicht von Abiturienten, sondern – wie du sagst, Jonas – von Hooligans ausgegangen sein sollte: Ihr  wusstet, wenn ihr euren „Abi-Krieg“ veranstaltet, zieht ihr genau solche Leute auf euer „Schlachtfeld“. War euch das egal? Leonie: Wer zum Abi-Krieg hingeht, ist sich darüber im Klaren, dass es ausufern kann; dass  der Spaß eskaliert und es Stress gibt. So war es am Montag ja auch. Für mich war dieser Moment erreicht, als ich einen Typen mit voller Wucht auf ein Schild am Schultor vom Humboldt eindreschen gesehen habe. Da habe ich mir gesagt: „Okay, jetzt ist es genug. Ich gehe nach Hause.“

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„Den Abi-Ball kann eine Schulleitung nicht absagen“ - Schülervertreter Timo Kleiner.

Was sagt Ihr zu der Erklärung von Psychologen, das Ganze sei ein Ventil für Stress durch das G-8-Abitur und den Leistungsdruck? Jonas: Es ist ein unglaublich befreiendes Gefühl, wenn man morgens nicht mehr in die Schule muss. Nur noch die Abi-Klausuren,  dann war’s das. Leonie: In meiner Stufe treffen wir uns zurzeit so oft, weil wir wissen, bald geht es auseinander. Wir sehen uns vielleicht erst  zur 30-Jahr-Feier des Abis wieder.  Ich finde es völlig okay, dass wir  unseren Lehrern nach all den Jahren, in denen wir mehr oder weniger  viel Stress mit ihnen hatten, auf die letzten Tage einen auswischen wollen. Timo: Ich denke schon, dass sich ein Zusammenhang herstellen lässt zwischen Turbo-Abitur,  dem erhöhten Leistungsdruck einerseits und mehr Bedürfnis nach Ausgelassenheit andererseits.

Da spricht jetzt ganz der Bezirksschülervertreter? Timo: Wieso?  Ich mache nur auf  Bedingungen des Schulalltags aufmerksam, die es  früher so nicht gegeben hat. Und wir denken, dass das zum Verständnis dazugehört.

Dazu gehört auch die Frage nach Konsequenzen.   Leonie: Einem Großteil derer, die beim Abi-Krieg dabei waren, war klar: Wer sich etwas zuschulden kommen lässt, muss mit Sanktionen rechnen. Bei mir  hat die Polizei meine Personalien aufgenommen. Aber mit welcher Begründung! Weil  ich eine Fahnenstange getragen habe. Hallo?! Was soll das für ein Vergehen sein? Das kam mir  ziemlich wahllos und willkürlich vor. Jonas: Wir wussten alle, dass die Polizei vor Ort sein würde.  Viele von uns – ich auch – haben sich gesagt: Wenn wir einfach nur unsere Wasserschlacht austragen, haben wir nichts zu befürchten.

Abi-Krieg unter Polizeischutz? Jonas: Unser Gedanke war, wenn die Polizei da ist,  dann kann ja nichts passieren. Leonie: Wenn sie denn rechtzeitig  eingegriffen hätte. Es ist ja inzwischen oft genug gesagt worden, dass die Polizisten viel zu lang abgewartet und zugeschaut haben. Timo: Trotzdem muss man im Nachhinein sagen: Es war leichtsinnig und fahrlässig, überhaupt hinzugehen... Leonie: ...stimmt schon, nach allem, was in den Tagen zuvor schon abgegangen war.

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„Ein Typ hat mit voller Wucht auf ein Schild am Schultor eingedroschen“ - Leonie Lindauer.

Eine Sofort-Reaktion könnte sein: Schluss mit allen weiteren Aktionen, Absage von Abi-Feierlichkeiten. Was haltet ihr davon? Leonie: Hat bei uns bereits stattgefunden. Unser Schulleiter war ziemlich empfindlich nach allem, was passiert ist. Kann ich auch verstehen. Er muss sich schließlich fragen lassen, was an seiner Schule los ist; warum schon wieder die Polizei da ist und so weiter. Jedenfalls wurde der Abi-Gag deshalb verschoben. Er findet jetzt erst nach den Osterferien statt.

Denkt mal daran, wie lang und intensiv ihr euch auf die Zeugnisverleihung und den anschließenden Abi-Ball vorbereitet habt. Wenn das jetzt gestrichen würde, wäre das eine empfindliche Konsequenz? Timo: Den Abi-Ball kann eine Schulleitung gar nicht absagen. Der ist außerschulisch, privat von den Schülern organisiert.  Und die offizielle Zeugnisvergabe ist per Gesetz geregelt. Daran muss sich die Schulleitung halten.

Ach so. Für Schulleiter gelten Regeln, aber nicht für die Schüler. Timo: Nein, nein, nein. So nicht! Natürlich müssen auch die Schüler sich an die Gesetze halten. Sachbeschädigung, körperliche Gewalt – geht gar nicht!  Aber noch mal: Daran halten sich die allermeisten. Und ich finde, die dürfen dann nicht kollektiv für die Verstöße einiger weniger bestraft werden. Nur weil  einer aus der Stufe eine Flasche geworfen hat, sollen auch alle anderen ihr Abi-Zeugnis nicht ausgehändigt bekommen? Was soll das denn sein?

Ein Stück Gruppenzwang zur Deeskalation. Timo: Der – wie gesehen – am Ende nichts bewirkt.

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